Der Umgang mit dem Jobverlust

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Meine Schmerzlektionen, Teil 4. Agnes Richener verrät ihre besten Tipps gegen Schmerzen. Trick Nummer 4: Trauern Sie einer verlorenen Arbeitsstelle nicht nach, sondern planen Sie sofort den Neustart.

Leider gibt es immer noch viel zu viele Schmerzpatienten, die ihren Job verlieren und in der Gesellschaft auf grosses Unverständnis stossen. Ich bin froh, dass ich all die Demütigungen und Anschuldigungen nicht mehr erleben muss, denn die Existenzängste kann nur jemand verstehen, der das selber erlebt hat.

Vor ziemlich genau zehn Jahren verlor ich meine lieb gewordene Arbeitsstelle auf der Bank. Zwanzig Jahre lang habe ich dort meinen Lebensunterhalt verdient. Ich ging gerne zur Arbeit. Wir waren ein kleines Team, und ich war die Älteste und fühlte mich unter den jüngeren Arbeitskolleginnen und -kollegen lange Zeit sehr wohl. Bis die Schmerzen kamen.

Alles fing sehr schleichend an, und so schluckte ich ab und zu eine Tablette. Leider war das immer öfter der Fall. Auch die Schmerzen wurden schlimmer, und kein Arzt fand etwas heraus. Es hiess immer nur: „Sie sind gesund! Sie haben gar nichts, also reissen Sie sich einfach ein bisschen zusammen!“ Das tat ich dann auch, das heisst ich versuchte es, doch es gelang mir immer weniger, sodass ich mich krank melden musste. So nahm das Unglück seinen Lauf.

Ein ganzes Jahr lang ging das auf und ab, bis man meinte, ich sei ein Fall für die IV. Aber das wollte ich doch gar nicht! In jenem Jahr erlebte ich das Leben wie auf einer Achterbahn. Ich musste mir die dümmsten Sprüche von Arbeitgebern und Ärzten anhören. Damals kränkte mich das sehr. Der Personalchef meinte mal zu mir „ihm stinke es manchmal auch, zur Arbeit zu kommen, aber er täte es trotzdem!“ Und ein Arzt sagte: „Solche Schmerzen kommen nur aus dem Hirni von hysterischen Frauen!“ Da waren noch einige solche Aussagen, doch ich will der Sache gar nicht mehr so viel Kraft geben.

Solche Dinge höre ich in der Beratung von vielen Schmerzpatienten immer noch – und ich weiss, wie sich das anfühlt. Man unterstellt den Menschen, sie seien zu faul um zu arbeiten. Solche Arbeitgeber und auch Ärzte gibt es heute leider immer noch. Würde mir heute solches widerfahren, hätte ich kein Problem mehr damit, denn solche Menschen kann ich inzwischen sehr gut ignorieren, weil ich aus der Opferrolle herausgefunden habe. Dazu braucht es aber die richtigen Menschen, die einem auffangen können. Damit meine ich auch solche, die gerade heraus sagen, wie es in der heutigen Zeit läuft. Denn Mitleid hilft uns nicht weiter, aber Mitgefühl, denn das ist etwas ganz anderes.

Und so schrieb mir ein junger, intelligenter Arbeitskollege folgenden Brief, den ich anfangs nicht wirklich verstand. Irgendwann aber wusste ich, was er mir damit sagen wollte. Ich bin ihm heute noch sehr dankbar für seine ehrlichen Worte. Ihm war damals wohl gar nicht bewusst, wie hilfreich dieser Brief letztlich für mich war.

Aus dem Brief meines damaligen Arbeitskollegen

Liebe Agnes

Falls dich der Arbeitgeber „rausschmeissen“ will, gibt es 2 Punkte:

  1. Wieso ist dies so?
  2. Was mache ich daraus, resp. kann/will ich daran etwas ändern?

Zu Punkt 1.

Das Arbeitsumfeld ist in den letzten Jahren deutlich härter geworden. Das hat nicht zuletzt mit „shareholder value“ zu tun. Der schnelle Gewinn hat die menschliche Seite verdrängt. Dies ist einfach der Zeitgeist. Emotionale Aspekte sind schlichtweg verloren gegangen. Was du früher für die Bank getan hast, interessiert heute niemand mehr.

Ich denke, es ist müssig zu diskutieren, ob dies gut oder schlecht ist. Es ist einfach so! Und wenn du dies auch so akzeptierst, erspart dir das vermutlich viel (sinnloses) Grübeln.

 Zu Punkt 2.

Wenn man die finanzielle Seite weglässt (was nicht einfach ist), kann dies auch eine Chance bedeuten. Du wirst offensichtlich bei der Bank nicht mehr gebraucht resp. du fällst ihnen sogar zur Last. Wenn das so ist, musst du dich fragen, ob du überhaupt dort weiterarbeiten würdest. Lohnt sich das? Willst du das?

Viel wichtiger ist doch die Zukunft. Viele Menschen, die ich kenne (zum Beispiel der Kollege mit dem Herzinfarkt) hatten Zukunftsängste. Alle (!!!) fühlen sich aber heute befreiter und besser, weil der Druck weg ist. Das wird bei dir garantiert auch so sein. Das Ende mit Schrecken ist immer ein Neustart mit Hoffnung.

Also grüble nicht über warum und weshalb nach! Plane die Zukunft! Dein Leben ist zu kurz, um dich darüber aufzuregen. Du kannst vermutlich sowieso nichts ändern.

 Es geht jetzt mehr darum, über die Art des Abgangs bei der Bank nachzudenken. Ein Punkt ist das Finanzielle (hier hat die Bank sicher Spielraum), der andere Punkt ist die Hilfe bei der Suche einer neuen Stelle (werden sie vermutlich auch tun).

 An einem Kurs habe ich folgendes gelernt: Versetze dich 5 Jahre in die Zukunft und schaue dann 5 Jahre zurück (auf heute). Du wirst dann vermutlich sagen können „Es war auch ein Glück, dass sich mein Leben geändert hat“. Du wirst Neues erfahren haben, was du ohne dieses Ereignis nicht erfahren würdest.

 Es ist schwierig, meine Gedanken niederzuschreiben. Ich möchte dir aber sagen, dass du dich nicht ärgern sollst über Vergangenes, sondernfreuen über die neue Zukunft. Diese existiert auch für dich.

Agnes, ich bin gerne bereit, dir auf irgendeine Art zu helfen. Ich bin zwar psychologisch nicht der Beste, würde aber den Teufel in Bewegung setzten, falls dir das etwas bringt. Ich möchte dich aber nicht bedrängen und überlasse dir die Initiative, ob und wie du mein Engagement beanspruchen willst.

 Ich wünsche dir alles Gute. Falls du wieder mal nicht schlafen kannst, grüble nicht, sondern denk doch einfach „ich freue mich, was nun Neues auf mich zukommt.“

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