Die blutige Wahrheit

Bluttransfusionen während einer OP bergen viel mehr Risiken als ­allgemein bekannt ist. Mit der richtigen Vorbereitung der Patienten lässt sich die Transfusionshäufigkeit halbieren.

Blutspenden gilt als eine gute Tat am Mitmenschen, als Akt der Nächstenliebe. Und das zu Recht. Blutspenden können Leben retten. Auch darüber müssen wir nicht diskutieren. Und doch bergen Bluttransfusionen Risiken, die lange unterschätzt wurden. Die Rede ist nicht von der Übertragung von AIDS oder Hepatitis. Mit einer sorgfältigen Auswahl der Spender und mit systematischen Tests hat man diese Gefahr heute im Griff. Es geht um ganz andere Gefahren, die in der Öffentlichkeit und zum Teil auch in der Ärzteschaft wenig bekannt sind. «Vor allem bei grösseren Operationen werden häufig Bluttransfusionen verabreicht, um den Blutverlust durch die Operation auszugleichen und den Blutkreislauf stabil zu halten. In den letzten Jahren haben aber viele grosse medizinische Studien gezeigt, dass mit den Transfusionen weitere Risiken verbunden sind. So können nach Operationen vermehrt Wundinfektionen oder Lungenentzündungen auftreten, und auch die Rate an Thrombosen, Herzinfarkten und Nierenversagen kann ansteigen», sagt Prof. Donat Spahn, Direktor des Instituts für Anästhesiologie am Universitätsspital Zürich. Die erhöhte Rate an Komplikationen, die verlängerte Hospitalisationsdauer und die erhöhte Sterblichkeit sind nur ein Teil der Wahrheit. Ein weiterer Aspekt sind die höheren Kosten.

Experte Eisenmangel WPIn den letzten Jahren haben führende Kliniken damit begonnen, mit einem speziel­len Konzept die Anzahl Bluttransfusionen auf das absolut Notwendige zu beschränken, wie es die Weltgesundheitsorganisa­tion WHO seit 2010 verlangt. «Patient Blood Management» wird das Konzept im Fachjargon genannt. Es soll die Risiken für die Patienten minimieren, und zwar vor allem dort, wo bei geplanten Operationen genügend Zeit zur Verfügung steht. Umgesetzt wird das Konzept in drei Säulen. Die erste Säule bildet die Vorbehandlung von Risikopatienten vor operativen Eingriffen. Durch ein standardisiertes Prüfverfahren wird ermittelt, wie hoch das Risiko für eine Bluttransfusion ist. Denn klar ist: Der wichtigste Risikofaktor für eine Fremdblut-Transfusion während der Operation ist eine vorbestehende Anämie, das heisst ein zu tiefer Gehalt an rotem Blutfarbstoff Hämoglobin. Verantwortlich dafür ist in vielen Fällen ein bis dahin unbekannter Eisenmangel.

«Eine unbehandelte Anämie, selbst wenn sie nur geringfügig ausfällt, ist im Rahmen einer Operation immer mit einem erhöhten Risiko für Komplikationen und Sterblichkeit verbunden», sagt Prof. Spahn. Die Zahlen geben zu denken: Eine präoperative Anämie findet man bei rund einem Drittel der Patienten vor chirurgischen Wahleingriffen. «Deshalb kommt der Früherkennung und Behandlung einer vorbestehenden Anämie grosse Bedeutung zu.» Untersuchungen an 11 europäischen Zentren zeigen, dass eine Korrektur der präoperativen Anämie jedoch oft unterlassen wird. So wurde bei über 15 Prozent der Patienten mit Knie- und Hüftoperationen zwar eine Blutarmut diagnostiziert, jedoch nur gerade mal bei 7 Prozent behandelt. Das ist wenig nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass eine häufige Ursache, nämlich ein Eisenmangel, durch eine Eisen-Infusionstherapie in wenigen Wochen korrigiert werden kann. Prof. Spahn vergleicht eine Operation eines Patienten mit vorbestehender Blutarmut mit einer Autofahrt in die Wüste mit halbleerem Tank und mahnt: «Die präoperative Anämie darf man nicht einfach hinnehmen. Man soll sie abklären und vor allem behandeln.»

Die zweite Säule des «Patient Blood Management» umfasst Massnahmen, die den Blutverlust während und nach der Operation minimieren. Dazu zählen blutsparende Operationstechniken, eine konsequente Blutstillung und die Verbesserung der körpereigenen Blutgerinnung. Darüber hinaus kann Wundblut bei grösseren Blutverlusten aufgefangen, gewaschen und dem Patienten als Infusion­ zurückgegeben werden. Die dritte Säule zielt auf den möglichst rationalen Einsatz von Blutpräparaten auf Basis der gültigen Richtlinien. «Wenn bei einem gut vorbehandelten Patienten das Hämoglobin während der Operation sinkt, und wenn man weiss, was in diesem Fall zu tun ist, passiert rein gar nichts, selbst bei Risikopatienten mit Herzkrankheiten», sagt Prof. Spahn. Befürchtungen, dass es durch einen restriktiven Einsatz von Bluttransfusionen zu einer unzureichenden Sauerstoffversorgung des Gewebes kommen könnte, hält er für einen überholten Mythos.

Die Wirksamkeit des «Patient Blood Managements» ist wissenschaftlich unbestritten und konnte wiederholt gezeigt werden. «Die Transfusionshäufigkeit konnten wir mit diesem Programm schlicht halbieren», sagt Prof. Spahn. «Das ist ein riesiger Schritt für die Sicherheit der Patienten und zur Einsparung von Kosten.» Das gehe aber nur im Teamwork mit allen Beteiligten, mit dem Blutspendedienst, den Chirurgen und Anästhesisten und vor allem mit den Hausärzten. Denn sie sind es, welche ihre Patienten am besten kennen, eine vorbestehende Anämie abklären und diese wirksam behandeln können.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 14.08.2014.

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