Mehr Mut – weniger Angst

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Besser kommunizieren Teil 7. Prof. Jürgen Steiner von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich nennt Regeln für das Gespräch mit alten Menschen.

 

 

 

  • Achtung – „das“ Alter gibt es nicht: Die Gruppe älterer, alter und langlebiger Menschen ist so heterogen wie man sie sich nur denken kann. In der Regel haben wir mit 65 plus die Gruppe der jungen, leistungsfähigen „Alten“ mit hohem Selbstwertgefühl und hoher Lebensqualität – und die Gruppe um 85 plus mit einer deutlichen Leistungs- und Gesundheitsminderung.
  • Ja, es sterben Zellen ab: Auch wenn das verminderte Zellwachstum unbestreitbar ist; die Fähigkeit, Probleme zu lösen, nimmt nicht ab. Die Schnelligkeit und die Leistungsfähigkeit verringern sich zwar, aber Erfahrung, Vernetzung und Kommunikation können das recht locker kompensieren.
  • Entgegen „forever young“: Das Leben ist flexible Anpassung und mutige Erprobung – nicht stures Weitermachen und krampfhaftes Aufrechterhalten. Gut, wenn man früh damit anfängt. Suchen Sie Gesprächspartner über Generationen hinweg, dann pflegen Sie Ihre Anpassung.
  • Von wegen „alt und nutzlos“: Die Gruppe 65 plus hat das, was die Gesellschaft wirklich braucht: Zeit und Besonnenheit. Vor lauter Multitasking überholen sich die Menschen heute selbst; Zentrifugieren statt Konzentrieren. Genau dazu, also zum besonnenen Konzentrieren bzw. Fokussieren, ist aber ein „Ältestenrat“ fähig. Stellen Sie älteren Menschen Fragen und nehmen Sie sich Zeit; es könnte sich lohnen. Nehmen Sie sich einen Coach – einen, der älter ist.
  • Plastizität: Unser Gehirn ist ein auf Kompensation ausgelegtes Organ. Die entscheidenden präventiven Massnahmen zum Aufbau einer Reserve und zum Ausbau von Plastizität folgen der A-B-C-D-E-Formel: A wie ärztliche Kontrolle (Diabetes, Blutdruck), B wie Bewegung (Walking, Tanzen), C wie cerebrale Herausforderung (neues Handy kaufen, lebenslanges Lernen), D wie Diät (Gifte vermeiden, sich dosiert ernähren), E wie ebenbürtige Partnerschaft (das Gegenteil wäre „fürsorgliche Bevormundung“).
  • Kein Vogel Strauss: Ab 80 oder 85 plus, wenn man bis dahin noch gut beieinander ist, sollte man zwar eine Bilanz ziehen im Sinne von „Kann ich das so noch aufrechterhalten?“. Es gibt aber keinen Grund, dem Alter generell eine Lernfähigkeit abzusprechen. Studien zeigen eindeutig, dass Lernen nicht für die Jugend reserviert ist. Die Plastizität ist grundsätzlich und steht bis zum Tode zur Verfügung. Und schreiben ist ein Königsweg, die Kognition zu trainieren.
  • Besonderheiten sind individuell und nicht generell: Durch Schwierigkeiten bei der Anpassung einer Zahnprothese können Genauigkeit und Tempo bei der Artikulation leiden. Im Bereich Semantik sind Wortabrufstörungen ohne jeden neurologischen Hintergrund möglich, während der passive Wortschatz stabil bleibt. Eine Reduzierung der Flexibilität, sich auf den Gesprächspartner einzustellen, ist auch möglich. Die Tragfähigkeit der Stimme kann sich beim Sprechen und Singen verändern. All das kann, muss aber nicht passieren.
  • Mensch sein: Autonomie ist die Möglichkeit der Wahl. Jeder Mensch sorgt selbst dafür. Ob jung oder alt – wir alle sind Kooperateure der Autonomie. Wenn wir immer weniger selbst können, wollen wir uns so lange wie möglich zumindest selbst orientieren und selbst entscheiden, mit wem wir was reden; wir wollen uns mitteilen, teilhaben, und eine sinnhafte Aktivität selbst wählen.
  • Abbau: Eintönige oder abstruse Antworten, allgemeine Ablehnung, vermehrter Rückzug aus dem Gespräch und allgemeines Desinteresse sind ein Grund, den Arzt hinzuzuziehen.
  • Alles Demenz oder was? Wenn jemand nur fragend schaut und nicht reagiert kann es sein, dass sich eine Sehminderung (lange nicht angepasste Brille) und eine Hörminderung (die Dunkelziffer der Hörminderungen ab 50 ist enorm) multiplizieren. Bitte keine Schnelldiagnose Depression oder Demenz.
  • Emotionale Verfügung: Überlegen Sie, ob Sie die Zeit im Jetzt nutzen, um einen Text für den Fall der Fälle zu verfassen: „Im Falle des Verlustes an Autonomie oder bei Pflegebedürftigkeit bitte ich die nachfolgenden Zeilen über mich zu lesen, die ich als gesunder, aktiver Mensch geschrieben habe. Ich würde mich freuen, wenn Sie als Betreuende / Pflegende trotzt Ihres Alltagsstresses sich die Zeit für mich nehmen. Aus meiner Lebensgeschichte sollten Sie wissen …. Auch wenn ich jetzt eingeschränkt handlungsfähig bin, möchte ich Ihnen sagen, was für mich in Bezug auf Lebensqualität, Mobilität, Beziehungen und Einstellungen wichtig war und auch sicher noch in der jetzigen Situation ist: ….“
  • Noch ein Schlag: Auch alte Menschen haben bei einem Schlaganfall das Recht auf einen Therapieversuch, der zunächst befristet sein sollte. Das gilt auch für eine beginnende Demenz. Hier sollte der Arzt und die Logopädin gefragt werden.
  • Auf Leben und Tod: Wir atmen ein und atmen aus. Danach kommt eine Pause. Wenn wir diese Pause auskosten – als Innehalten und Besinnen – haben wir jederzeit eine Möglichkeit, uns im Leben zu beruhigen. Vielleicht können wir uns am Ende auf den Tod konzentrieren. Das ginge dann genauso: Ausatmen, Pause auskosten und sich dem, was kommt, überlassen.

Alle anderen Lektionen von „Besser kommunizieren“ finden Sie hier

 

Prof. Dr. habil. Jürgen Steiner HfH MitarbeiterInnen 2013

www.hfh.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 29.01.2015.

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