Mein Penis raubt mir den Schlaf

Er schmerzt, er ist kalt und er fühlt sich an, als komme ständig Urin. Wegen seinem Penis kann ein 75-jähriger Leser kaum schlafen.

Penis Schlaf Bild AdobeStock Urheber Andrii Zastrozhnov
Bild: AdobeStock, Urheber: Andrii Zastrozhnov

Verzweifelt meldete sich der Mann bei uns: „Meine Beschwerden sind anscheinend unlösbar. Begonnen hat’s im Jahr 2000. Bei der Mündung der Harnröhre verspürte ich ein Brennen und ich hatte immer das Gefühl, aufs WC zu müssen, obwohl ich die Blase erst geleert hatte. Täglich habe ich diese Beschwerden und sehr oft schmerzt der Penis. Wenn ich längere Zeit sitze, baut sich zudem irgendwie ein Druck im Bereich des Bauches auf. Ich muss mich dann wenn möglich hinlegen, was beruhigend wirkt. Mittlerweile kann ich aber vor lauter Schmerzen nicht mal mehr schlafen. Mein Penis und mein Hodensack fühlen sich fast immer kalt an. Ich habe das auch meinem Arzt gesagt. Er meint, das sei in meinem Alter normal. Ich liess alles abklären, habe weder Blasenentzündung noch Geschlechtskrankheiten. Eine Blasenspiegelung ergab auch keinen Befund. Ich wechselte den Hausarzt, machte auch Akupunktur. Die Beschwerden wurden nur schlimmer. Schmerzmittel, Schlafmittel, Homöopathie: Nichts half. Es geht mir gar nicht gut. Bitte helfen Sie mir.“

Chronisches Beckenschmerzsyndrom

Wir haben den Fall dem Urologen Dr. Martin Baumgartner am Zentrum für Urologie Klinik Hirslanden in Zürich unterbreitet. Er meinte sofort, dass es sich hier mehr um ein Problem des Nervensystems handle, und übergab die Frage der Neurourologin Prof. Regula Doggweiler vom Kontinenzzentrum Hirslanden in Zürich. Hier ihre ausführliche Antwort:

„Es scheint, Sie haben langjährige Probleme mit einem chronischen Beckenschmerzsyndrom. Von den Organen des Beckens können schmerzhafte Empfindungen ausgehen, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Es kann sich um Schmerzen handeln, die durch die Blase, die Prostata, den Darm, die Geschlechtsorgane oder den das Becken stützenden und stabilisierenden Bewegungsapparat hervorgerufen werden.

Schmerzen nennt man dann chronisch, wenn sie seit mindestens drei bis sechs Monaten fast immer vorhanden sind oder häufig wiederkehren, und den Patienten körperlich (Beweglichkeitsverlust, Funktionseinschränkung), körperlich-kognitiv (Befindlichkeit, Stimmung, Denken) und sozial (Einschränkungen im Alltag, Beruf und in der Freizeit) beeinträchtigen.

Im Unterschied zu akuten Schmerzen enthalten chronische Schmerzen kein sinnvolles Alarmsignal mehr, dass auf eine Schädigung des Körpers (Verletzung, Erkrankung etc.) hindeutet. Chronische Schmerzen werden oft von weiteren Beschwerden begleitet, zum Beispiel Schlafstörungen, Appetitmangel, gesteigerte Reizbarkeit und depressiver Verstimmungen.

Wie in Ihrem Fall bestehen neben den Schmerzen oft Probleme beim Wasserlassen, mit Symptomen wie Harndrang, Verzögerungen beim Wasserlassen oder vermindertem Harnstrahl. Das häufige Aufstehen in der Nacht, um Wasser zu lassen, führt dazu, dass Sie sich nicht mehr richtig erholen. Sie können sich am Tag müde fühlen und unter Schmerzen und Abgeschlagenheit leiden. Längeres Sitzen kann die Schmerzen noch verstärken. Es ist auch möglich, dass saure, scharfe oder koffeinhaltige Getränke und Speisen die Schmerzen grösser werden lassen.

Woher kommen chronische Beckenschmerzen?

Der Auslöser ist nicht bekannt. Es gibt verschiedene Theorien. Manchmal ist eine bakterielle Infektion von Prostata oder Blase der Grund für eine chronische Entzündung. Es kann sogar eine Blockade der produzierten Samenflüssigkeit entstehen. Manchmal ist einfach eine Verspannung der Beckenbodenmuskulatur für die Symptome verantwortlich. Die Verspannung kann die Folge von Stress, Trauma oder Operationen sein. In den meisten Fällen sind verschiedene Faktoren involviert. Patienten klagen gleichzeitig auch über Probleme mit dem Stuhlgang (Reizdarm), mit Verstopfung und. Durchfall, mit schmerzhaftem Stuhlen oder auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

Ein chronisches Schmerzsyndrom kann durch diese Faktoren begünstigt werden:

  • Anhaltende psychovegetative Spannung (jemand steht ständig „unter Stress“)
  • Angst und Depression in der Vorgeschichte
  • Länger andauernde Stress- oder Schmerzerfahrungen in der früheren Lebensgeschichte
  • Schmerzkranke Angehörige in der Familie
  • Neigung zum „Katastrophendenken“ – jemand stellt sich immer die schlimmsten möglichen Folgen vor
  • Ständiges Ignorieren von Belastungsgrenzen, ständiges Durchhalten
  • Angst-Vermeidungs-Überzeugung (aus Angst vor verstärkten Schmerzen werden Bewegung und körperliche Aktivität vermieden)
  • Unzureichende Schmerzbehandlung, als die Schmerzen begonnen haben
  • Die Schmerzen werden nicht thematisiert
  • Familiäre Konflikte
  • Soziale Probleme im Umfeld (etwa am Arbeitsplatz) oder finanzielle Schwierigkeiten

Was können Sie tun?

Lassen Sie alle körperlichen, psychischen und sozialen Aspekte abklären und besprechen Sie mit Ihrem Arzt mögliche Behandlungen.

Zuerst muss eine detaillierte Krankengeschichte erfasst werden:

  • Wann haben die Schmerzen begonnen?
  • War zur selben Zeit noch ein weiteres Ereignis? (Operation, Lebensstilwechsel, Probleme und Stress usw.)
  • Was hilft gegen die Schmerzen? (Kälte, Wärme, Hinlegen, Wasser trinken, Joggen, Medikamente)
  • Wann werden die Schmerzen stärker?
  • Beschreiben Sie die Schmerzen genau.
  • Bestehen andere gesundheitliche Probleme?
  • Was haben Sie bereits alles unternommen?

Dann werden Sie wie folgt untersucht:

  • An Bauch und Genitalien
  • Rektal an Prostata und Beckenbodenmuskulatur. Der Arzt/die Ärztin kann die Prostata sanft mit einem Finger durch den After massieren. Wenn die Prostata infektiös verändert ist, werden hierbei Bakterien in die Harnröhre ausgestossen und mit dem Urin abgegeben. Der Sammelurin wird nach dieser Form der Prostatamassage abgenommen und untersucht. Wenn man an einem chronischen Beckenschmerzsyndrom leidet, findet man keine Bakterien im Urin.
  • Urin und Sperma werden untersucht, um eine Infektion oder andere Krankheiten auszuschliessen
  • Eventuell muss eine Zystoskopie (Blasenspiegelung) gemacht werden, um die Harnröhre, Prostata und Blase untersuchen zu können.
  • Es wird ein Ultraschall der Hoden, der Prostata und der Nieren gemacht, um Tumore, Nierensteine und andere Pathologien auszuschliessen
  • Sehr hilfreich ist das Schmerz- und Blasentagebuch. Dort tragen Sie ein, wie stark die Schmerzen sind, welche Charakteristik sie haben, wie oft und wie viel Wasser gelassen wurde und wie viel Flüssigkeit Sie zu sich genommen haben.
  • Je nachdem folgt eine urodynamische Untersuchung, um die Ursachen der Blasenfehlfunktion zu identifizieren.

Die Behandlung

Die Behandlung ist abhängig von den erhobenen Befunden und den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen Patienten. Sie sollte wenn möglich multidisziplinär erfolgen, also an spezialisierten Zentren mit enger Zusammenarbeit von Hausarzt, Urologen, Gynäkologen, Gastroenterologen, Physiotherapeuten und Psychologen.

Es gibt keine universelle Therapie. Es braucht viel Geduld und eine Zusammenarbeit von Ihnen als Patient, dem Arzt oder der Ärztin und dem ganzen Team. Als erste Massnahme können Medikamente helfen, oft zusammen mit Beckenbodenphysiotherapie und individuellen Anpassungen von Ernährung und Lebensstil.

Aber es gibt einiges, das Sie selber tun können:

  • Ernährung: Vermeiden von sauren, scharfen, koffeinhaltigen Getränken und Speisen. Eventuell ein Tagebuch führen und feststellen, ob es auch andere Nahrungsmittel gibt, die die Symptome verstärken
  • Yoga, TaiChi oder Meditieren kann die Schmerzen dämpfen. Versuchen Sie etwas zu finden, das für Sie entspannend ist. Etwas, das sie überall tun können, wie z.B. einfach tief ein- und ausatmen für 10 Minuten.
  • Versuchen Sie die stressauslösenden Faktoren in Ihrem Leben zu reduzieren. Sie können lernen anders mit Stress umzugehen, ihn anders zu empfinden.

Physiotherapeuten und Osteopathische Medizin verschreiben häufig auch TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation) zur Behandlung der Schmerzen. Andere Alternative Behandlungsmöglichkeiten sind unter anderem Akupunktur, Homöopathie, Hypnotherapie, Phytotherapie. Wenn die genannten konservativen Behandlungen keine Verbesserung erbringen, kann es sein, dass die Sakrale Neuromodulation helfen kann. Manchmal ist auch der Besuch in einer Schmerzklinik der richtige Weg.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 21.04.2022.

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