Wege aus der Einsamkeit

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Meine Schmerzlektionen, Teil 9. Agnes Richener verrät ihre besten Tipps gegen Schmerzen und fotografiert sie gleich selber. Trick Nummer 9: Gedanken lenken und sich neuen Aufgaben stellen.

Wenn Menschen unter Schmerzen oder Einsamkeit leiden, werden im Gehirn die gleichen Nervenzellen aktiviert. Das habe ich in einer deutschen Studie über Hirnforschung gelesen. Doch was hilft den Betroffenen das blosse Wissen? Wie leben wir damit? Gibt es überhaupt ein einigermassen gutes Rezept gegen das Gefühl der Einsamkeit? Immer wieder stelle auch ich mir diese Frage. Ich habe Tage, da muss ich mich sehr bemühen, dass auch mich die Einsamkeit nicht einholt. Es ist oft minutiöse Arbeit, die Gedanken zu bündeln, damit die Seele nicht in argen Stress gerät. Es sind ja nicht nur die Schmerzen, es ist auch das Älterwerden, und es kommen noch viele andere Leiden hinzu, die es oft unmöglich machen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Und so ist die Gefahr gross, in der Einsamkeit zu ertrinken.

Ganz ehrlich – wenn ich mal bei meiner Person bleiben will – ich wäre nicht so viel unterwegs, wenn ich meinen Hund nicht hätte. Was tun, wenn die traurig machenden Gedanken einfach auf uns herunterrieseln und uns einsam stimmen? Ich versuche jeweils, die aufkommenden Gedanken in eine positive Richtung zu lenken – manchmal hilft es, manchmal auch nicht.

Ein Beispiel für solche und ähnliche Gedanken: Weshalb rufen mich meine Kinder nicht an? Ich vermisse sie und habe das Bedürfnis, sie zu sehen. Warum geben meine Enkelkinder auf das SMS keine Antwort? Wie wichtig bin ich ihnen überhaupt? So könnte ich noch eine ganze Gedankenflut loslassen und mich dabei verrückt machen und mich in der Einsamkeit so richtig panieren. Ich könnte auch mit Wut und Trotz reagieren. Aber wem bringt das etwas? Also bin ich am Bündeln meiner Gedanken, und zwar wie eine erwachsene Person.

Punkt eins: Wie war es denn damals bei mir? Vielleicht ging es meiner Mutter ja genau so. Punkt zwei: Die Kinder arbeiten, haben Familie. Und vor allem haben sie ein berechtigtes Eigenleben. Die Enkel haben Lernstress, nehmen Klavierunterricht, Reiten und haben andere Aufgaben. Also kann ich glücklich und stolz sein, dass ich eine solche Familie habe. Schliesslich ist das ein bisschen auch mein Verdienst. Schliesslich habe ich meine Kinder ins Erwachsenenleben begleitet und habe ihnen Selbständigkeit vorgelebt. Wenn ich ihre Hilfe brauche, sind sie zur Stelle. Und dann sind ja noch die vielen Feiern das Jahr hindurch und ab und zu ein spontanes Nachtessen bei mir oder bei ihnen. Mit solchen Gedanken geht es mir sehr schnell wieder besser, denn ich weiss, für meine Unterhaltung bin ich ganz alleine verantwortlich.

Da ich mit meinem Hund alleine lebe, habe ich mir trotz der Schmerzen neue Aufgaben zugelegt. Ich habe viel Spass an den Kursen, die ich mit meinem Hund mache, sei das ein Schnüffelkurs, Spiel und Spass mit Hund oder ein Klickerkurs. In der Hundeschule treffe ich mich mit gleichgesinnten Menschen jeden Alters, und dort habe ich auch neue Freundschaften geschlossen, die mein Leben bereichern. Zwischendurch bin ich auch ganz gerne alleine, denn das Alleinsein hat auch seinen Reiz. Ich kann essen, lesen, fernsehen, schlafen und so weiter wann und so viel ich will, und keiner stört sich daran.

Bei einigen kommt jetzt sicher das grosse „aber“. Es kostet ja alles so viel Geld. Die Dinge, die ich aufgezählt habe, kosten nicht viel Geld, ausser ein Kurs, der einen ganzen Tag dauert, und der mit einem zusätzlichen Referat verbunden ist. Solche Dinge muss ich mir auch manchmal vom Mund absparen. Wenn ich es früh genug weiss, kann ich jeden Monat etwas auf die Seite legen, und auf gewisse Sachen muss ich halt verzichten. Wie zum Beispiel Freunde besuchen, die nicht in meiner Nähe wohnen. Die Bahnfahrten sind leider sehr teuer geworden. Ich habe das grosse Glück, nicht zu rauchen. Also an alle Raucherinnen und Raucher: aufhören! Damit sparen Sie nicht nur Geld, sondern tun ganz viel Gutes für die Gesundheit. Es ist erwiesen, dass Nichtraucher auch weniger schmerzempfindlich sind.

Und da sind noch die Sonntage, die ich nicht so gerne mag, wobei es nicht an den Sonntagen liegt, sondern ganz allein an mir. Manchmal gehe ich an Sonntagen einfach auf Entdeckungsreise, wie heute, wenn es regnet. Dem Wetter entsprechend gekleidet mit Hund und Fotokamera fange ich die Bilder ein, die mich ansprechen. Heute habe ich ein Haus fotografiert, das mit Efeu bewachsen ist. Dabei habe ich mich gefragt, ob die Menschen, die hinter diesen Fenstern leben, auch alleine und glücklich sind. So habe ich wieder einen verregneten Sonntag hinter mich gebracht – und es war gut so.

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