Weniger trinken kann man lernen

Übernehmen Sie Verantwortung für Ihren Alkoholkonsum. Nüchterne Gedanken für die Festtage. Von Dr. Toni Berthel und lic. phil. Silvia Gallego.

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Alkohol wird seit Menschengedenken als Nahrungs-, Heil-, Genuss- und Rauschmittel gebraucht. Der Konsum wird in der ganzen Menschheitsgeschichte beobachtet und kommt in allen Kulturen und Gesellschaften vor. Im Alkohol – generell in psychoaktiven Substanzen – suchen Menschen Entspannung, Lusterlebnisse, Entgrenzung und Berauschung. Oft wird Alkohol in kollektiven Ritualen eingenommen, in lebensgeschichtlich wichtigen Übergangsphasen konsumiert und zur Unterstützung transzendentaler Erlebnisse eingesetzt. Die bevorstehenden Feiertage berühren alle drei dieser Momente. Alkohol entspannt, verbessert die Stimmung, erleichtert die Kontaktaufnahme zum Mitmenschen, kann berauschen. Der gelungene Konsum ist in diesen Fällen in der Regel eine gewinnbringende und hilfreiche Kulturtechnik. Daneben kann Alkohol bei verletzlichen und anfälligen Menschen auch zu Problemen oder Abhängigkeit führen.

Niemand ist immer nur vernünftig

Von jeher gehört das Feiern zur menschlichen Kultur. Und das ist gut so. Denn, so der Philosoph Robert Pfaller: «Immer nur vernünftig zu sein, ist kein Kennzeichen davon, dass man tatsächlich vernünftig ist. Erst wenn wir unvernünftige Dinge tun – tanzen, trinken oder uns verlieben –, wissen wir doch, wofür es sich zu leben lohnt.» Zum Feiern gehört in unserer Kultur auch der Alkohol. Aber, und dies müssen wir uns immer vor Augen halten: Alkohol kann auch Schwierigkeiten bereiten.

Feste heben sich durch besondere Bräuche aus dem Alltag heraus. Ihnen kann ein wildes, anarchisches oder destruktives Moment zugrunde liegen, etwa im Karneval. Feiertage können aber auch ruhig zugehen, wie die Advents- und Weihnachtszeit. Feiertage sind Ausnahmetage mit bestimmtem Grund: Weihnachten gilt als Fest der Liebe. Silvester ruft uns den Jahreswechsel ins Bewusstsein. Damit sind oft heftige Gefühle verbunden: Gefühle der Freude, Begeisterung und Zusammengehörigkeit, aber auch Melancholie, Schuld oder Enttäuschung. Ob man mitmacht oder sich verweigert – für jeden von uns ist die Besonderheit dieser Tage spürbar. Wie aber können wir diesen Gefühlen auf gute, gesunde Weise begegnen?

 

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Alkohol kann alle Organe schädigen

Die Substanz, die allen alkoholischen Getränken zugrunde liegt, wird als Ethylalkohol (Ethanol C2H5OH) bezeichnet. Ethanol entsteht bei der Vergärung kohlenhydratreicher Früchte, Kartoffeln oder Getreide. Durch den Prozess der Destillation kann die Alkoholkonzentration erhöht werden. Alkohol entfaltet seine Hauptwirkungen im Gehirn. Einerseits beeinflusst der Alkohol verschiedene Systeme der Informationsübertragung wie Rezeptoren, anderseits kann die Zellwand verändert werden. Alkohol hat angstlösende, beruhigende und schlafanstossende Wirkungen. Moderat konsumiert hat Alkohol einen stimmungsbessernden, entspannenden und enthemmenden Effekt. Übermässiger Konsum führt zu Schäden im Gehirn, in der Leber, den Nerven und der Magenschleimhaut. Kurz gesagt: Alkohol kann alle Organe schädigen.

Ein paar Faustregeln

Es gibt Empfehlungen, wie viel Alkohol getrunken werden soll. Ein paar wenige Faustregeln genügen, damit Sie die positiven Wirkungen von Alkohol unbeschwert geniessen können. Zur besseren Illustration der Faustregeln wird die konsumierte Alkoholmenge in Standardeinheiten angegeben. Unter einer Standardeinheit verstehen wir eine Stange mit drei Deziliter Bier oder ein Glas mit einem Deziliter Wein oder ein Gläschen mit 2 Zentiliter Schnaps. Dies bedeutet, dass in einem solchen Glas jeweils circa 12 Gramm reiner Alkohol enthalten ist. Ärzte, Suchtfachleute und die Weltgesundheitsorganisation empfehlen bei Männern nicht mehr als drei bis vier, bei Frauen nicht mehr als zwei bis drei Standardgetränke pro Tag. Wer regelmässig mehr als diese Menge konsumiert, kann seinem Körper und dem Gehirn schaden oder eine Sucht entwickeln. Daneben ist es für den Körper sehr herausfordernd, grosse Mengen Alkohol in kurzer Zeit zu bewältigen. Von diesem sogenannten Rauschtrinken sprechen wir, wenn mehr als fünf Standardeinheiten pro Trink-Ereignis in kurzer Zeit getrunken werden.

Problematischer Konsum ist häufig

Wir unterscheiden zwischen risikoarmem, problematischem und abhängigem Konsum. Problematischer Konsum, der sich ausserhalb der erwähnten Faustregeln bewegt, ist häufig. Es gibt drei Varianten davon; chronischer Risikokonsum, Rauschtrinken oder episodischer Risikokonsum und situationsunangepasster Alkoholkonsum. Nicht selten geht ein problematischer Konsum in eine Abhängigkeit über. Eine Abhängigkeit ist eine Krankheit, die durch Fachpersonen behandelt oder gelindert werden kann. Beim situationsunangepassten Konsum gibt es verschiedene Alltagssituationen, in denen sich der Konsum von Alkohol nicht empfiehlt oder verboten ist – etwa beim Autofahren, während einer Schwangerschaft oder bei der Arbeit.

Schon bei 0,5 Promille Blutalkoholgehalt sind viele körperliche und psychische Funktionen deutlich eingeschränkt: Es treten Probleme mit dem Nachtsehen auf. Der Gleichgewichtssinn wird gestört, die Konzentrationsfähigkeit verändert sich, die Reaktionszeit wird verlängert. Der Alkoholisierte wird enthemmt und überschätzt seine Fähigkeiten. Diese Probleme bis hin zum totalen Kontrollverlust verstärken sich mit steigendem Alkoholgehalt im Blut.

Blutalkohol berechnen

Jede und jeder kann die Blutalkoholmenge selber berechnen. Dazu müssen die konsumierte Menge Alkohol und das Körpergewicht bekannt sein. Als Faustregel gilt, dass ein Standardglas eines alkoholischen Getränkes jeweils 12 Gramm Alkohol enthält. Normalerweise beträgt der Wasseranteil im Körper des Mannes 70% (bei der Frau 60%). Die im Körper vorhandene Blutalkoholmenge misst sich dann wie folgt: Konsumierte Alkoholmenge in Gramm geteilt durch das Körpergewicht, geteilt durch 0,7. Dies gibt beispielsweise bei einem 75 kg schweren Mann, der drei Stangen Bier (36 Gramm Alkohol) getrunken, hat einen Blutalkoholgehalt von 0,68 Promille. Bei einer 60 kg schweren Frau, die 2 Glas Wein (24 Gramm Alkohol) getrunken hat, eine Blutalkoholkonzentration von 0,66 Promille.

Ältere Menschen sind rascher betrunken

«Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.» Dieser Satz aus Wilhelm Buschs Geschichte «Abenteuer eines Junggesellen» zeigt schön, wie der Alkohol auch im Alter seine Bedeutung bekommt. Doch wir müssen wissen: Ältere Menschen vertragen nicht mehr die gleichen Mengen an Alkohol wie in jungen Jahren. Das hat mehrere Gründe. Einerseits verlangsamen sich die Stoffwechselprozesse, anderseits nimmt der Anteil an Körperfett im Verhältnis zum Körpergewicht zu, der Anteil an Körperflüssigkeit nimmt dagegen ab. Der Alkohol wird darum im Körper langsamer abgebaut. Die Konzentration von Alkohol im Blut wird höher. Das heisst: Ältere Menschen brauchen weniger Alkohol, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Sie sind rascher betrunken und können so die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren. Sie sind weniger sicher auf den Beinen. In solchen Zuständen können sie stolpern, stürzen und sich verletzen. Nicht selten brechen sie sich dabei die Handgelenke oder den Schenkelhals. In Kombination mit Medikamenten verstärkt sich die Alkoholwirkung. Ältere Menschen müssen auch in der Weihnachtszeit nicht aufs Anstossen verzichten. Aber sie sollten nur kleine Mengen trinken.

Grosse Gefahr für Jugendliche

Alkohol kann die körperliche und seelische Entwicklung bei Jugendlichen beeinflussen. Besonders Rauschtrinken ist bei Kindern und jüngeren Jugendlichen problematisch. Die Gefahr einer Alkoholvergiftung ist in diesem Alter gross. Unter Alkoholeinfluss gehen Jugendliche mehr Risiken ein. Das führt vermehrt zu Unfällen, Übergriffen, Gewalttätigkeiten und Störungen im öffentlichen Raum. Es ist deshalb wichtig, dass Jugendliche im Ausgang gegenseitig aufeinander aufpassen und stark alkoholisierte Freunde nach Hause begleiten.

Es ist unbestritten: Der exzessive Konsum von berauschenden Substanzen kann der Gesundheit und der Entwicklung schaden. Andererseits entwickelt der junge Mensch in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und in der Meisterung von Risikosituationen seine erwachsene Identität. Dazu gehört auch der Kontakt mit psychoaktiven Substanzen wie Alkohol und der Lernprozess, wie damit umzugehen ist.

Alkohol fördert Gewaltbereitschaft

Starker Alkoholkonsum verstärkt Aggressionen. Häuslicher Gewalt geht häufig starker Alkoholkonsum des einen oder beider Haushaltpartner voraus. Wenn Kinder Zeugen elterlicher Streitereien oder Opfer elterlicher Gewalt werden, erleben sie Angst und Ohnmacht. Sie spüren Gefühle des Ausgeliefertseins, sie bekommen Dunkelängste oder Schlafstörungen. Starke, immer wiederkehrende Angst verhindert eine gesunde Entwicklung. Die Festtage sollen auch für Kinder eine schöne Zeit werden.

Wer fährt, trinkt nicht

Besondere Bedeutung erhält der Alkoholkonsum im Strassenverkehr. Alkohol hat schon in kleinen Mengen Auswirkungen auf Konzentration, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit. Die Fähigkeit kritisch zu entscheiden und adäquat zu reagieren, nimmt ab. Viele alkoholisierte Autofahrer überschätzen ihre Fahrkompetenz. Die Aussage «Wer fährt, trinkt nicht! Wer trinkt, fährt nicht!» muss auch über die Feiertage gelten. Wer mit mehr als 0,5 Promille Blutalkohol erwischt wird, verliert den Fahrausweis und wird gebüsst. Falls Sie an einem Firmenfest, an einer Jahresabschlussfeier oder im Familienkreis Alkohol trinken, lassen Sie Ihr Auto stehen. Fahren Sie mit dem Taxi nach Hause oder lassen Sie sich mit den Chauffeuren von Nez Rouge heimkutschieren.

Alkoholprobleme sind behandelbar

Etwas ist ganz wichtig: Alkoholprobleme sind behandelbar. Und weniger zu trinken kann man lernen. Trainingsprogramme für den kon­trollierten Alkoholkonsum sind sehr erfolgreich. Und es gibt heute Medikamente, die Ihnen bei der Reduktion der Alkoholmenge helfen können.

Wichtig ist, die Kontrolle über den Konsum wiederzugewinnen. War früher die Abstinenz das einzige Ziel, das in der Behandlung von Menschen mit Alkohol- und anderen Suchtproblemen angestrebt wurde, bestimmen Sie heute selber, welches Trinkmuster Sie wählen. Für die einen ist weiterhin nur die Abstinenz ein gangbarer Weg, für andere sind Programme für den kontrollierten Konsum sinnvolle Alternativen zum Kontrollverlust. Für wieder andere ist eine medikamentenunterstützte Konsumreduktion der richtige Ansatz. Allen Ansätzen ist aber der Grundsatz gemeinsam: Sie sind für Ihr Leben selber verantwortlich.

Verantwortung übernehmen

Das heisst auch: Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihren Alkoholkonsum. Trinken Sie weniger. Planen Sie alkoholfreie Tage in Ihr Leben ein. Wählen Sie Alltags-, Freizeit- und Sport­aktivitäten, bei denen der Alkohol nicht im Zentrum steht. Wenn Sie das nicht alleine schaffen, suchen Sie Hilfe in Alkohol- oder Suchtberatungsstellen, bei Ihrem Hausarzt oder anderen Fachleuten. Oft hilft schon ein einfaches Gespräch. Manchmal ist eine längerfristige Beratung angebracht. Seien Sie bereit, psychische, soziale und körperliche Probleme, die mit dem Alkoholkonsum einhergehen oder ihnen vorausgehen, anzuschauen und zu behandeln. Suchterkrankungen können mit einer Kombination von ärztlicher Hilfe, suchttherapeutischen Massnahmen und geeigneten Medikamenten erfolgreich behandelt werden.

Es gehört zu unserer Fest- und Feiertagskultur, Alkohol zu trinken. Mass- und genussvoll getrunken, kann Alkohol eine feine Sache sein. Den meisten Menschen gelingt es, von den positiven Wirkungen dieser Substanz zu profitieren. Richtig eingesetzt, verhilft Alkohol zu Entspannung, lockert die Stimmung, bringt die Menschen zusammen – Omas Eierlikör genauso wie der edle Tropfen aus dem Barrique. Alkohol regt die Durchblutung an und die Fantasie, bringt Distanz zum Alltag und hilft uns, Hemmungen zu überwinden und die Lebenslust zu steigern. Übermässig und unkontrolliert konsumiert, kann er aber unsägliches Leid für Sie, Ihre Lieben und die Gesellschaft verursachen.

Der Umgang mit Alkohol will also gelernt sein. Damit Sie die positiven Wirkungen von Alkohol auch über die Feiertage unbeschwert geniessen können, beachten Sie unsere Tipps.

www.suchtschweiz.ch
www.drink-less-schweiz.ch
www.nezrouge.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 10.12.2020.

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