280 Kilometer Grenzerfahrung

Fabio Keller

Eine Schweizer Ausdauersportlerin wurde einmal gefragt, ob sie während einem Rennen nie ans Aufgeben denkt. Sie antwortete: “Doch, etwa alle zwei Minuten. Wichtig ist nur, es nicht zu tun.” Die Aussicht, zum eigenen Selbst vorzustossen, macht Durchhalten so attraktiv.

Schluchzend vorbei am Werkhof

Vor ein paar Tagen fuhr ich mit zweihundert anderen Velofans 280 Kilometer von Zürich über die Aargauer Hügel, den Kanton Luzern, drei Pässe und das halbe Wallis bis nach Zermatt. In Höhenmetern entspricht das zehn Mal dem Anstieg von Andermatt zum Gotthard. Der Veranstalter “Chasing Cancellara” nennt es das härteste Eintagesrennen der Schweiz.

Als ich am späten Nachmittag die ersten Häuser von Zermatt erblickte, brach ich unkontrolliert in Tränen aus. Ich schluchzte wie ein Kind, während der Regen meine öligen Finger wusch und mir Bauarbeiter ungläubig hinterher starrten. Ich kannte dieses Gefühl von früheren Erfahrungen und hoffte die ganze Zeit, es zu erleben.

Es ist das Gefühl, etwas geschafft zu haben, von dem ich ehrlich nicht wusste, ob ich es kann. Die Emotionen, die gerade da waren, brachen ungehemmt an die Oberfläche. Ich hatte für eine Weile unmittelbaren Kontakt zu meinem Selbst und wusste in diesem Moment sogar, was das ist. Solche Augenblicke verschieben die Selbstwahrnehmung für immer.

Zermatt Fabio Keller

Der Lohn ist mehr Selbstvertrauen

Während ich sechzehn Stunden fast pausenlos fuhr, hätten andere in der gleichen Zeit noch das Brienzer Rothorn besucht, sich in Visp ein Drei-Gang-Menü gegönnt und auf dem Gornergrat ein Selfie gemacht. Die eigenen Grenzen sind so persönlich wie Gesichter. Wozu jemand fähig ist, spielt auch nicht so eine Rolle. Entscheidend ist, den Mut zu haben, über sich hinaus zu wachsen. Wer diesen Mut hat, wird es früher oder später schaffen und mit Selbstvertrauen belohnt werden. Zehn Kilo abnehmen, ein Gartenhaus bauen oder ein dickes Buch lesen, Ihr Ziel sollte bei Ihnen ein mulmiges Gefühl auslösen. Anfangen ist am schwierigsten. Dann gilt es, die Reise durchzustehen und dabei auch mal auf die Zähne zu beissen und plötzlich anzukommen.