Am Berg gibt es keine Ausreden

Ueli Steck 26

Er ist geerdet und will trotzdem hoch hinaus. Er liebt die Sicherheit und sucht das Äusserste. Ueli Steck ist Athlet, nicht Abenteurer. Zwischen den Hochhäusern der Stadt fühlt sich der erfolgreichste Schweizer Alleinbergsteiger verloren; Berggipfel können ihm hingegen nichts anhaben. Leichtfüssig und schnell wie eine Gämse durchklettert der 40-jährige Berner Oberländer die Eiger-Nordwand. Selbst die Achttausender im Himalaya erklimmt er, als ob es das Normalste der Welt wäre. Doch was ist schon normal. «Wenn du einen Scheiss machst, ist alles vorbei», sagt er geradeheraus.

Ich allein trage die Verantwortung

Ueli Steck spielt die Gefahren nicht herunter. Er kalkuliert sie. Akribie ist gefragt, mentale Stärke unabdingbar. «Unfälle können passieren. Wie überall. Trotzdem ist auch jeder, der in ein Auto steigt, davon überzeugt, dass nichts passiert. Er konzentriert sich auf die perfekte Fahrt. Genauso ist es beim Klettern. Wenn ich losgehe, gibt es die Option Absturz nicht mehr. Am Berg mache ich einen Schritt nach dem anderen. Hoch konzentriert, voll fokussiert. Ich spüre jeden Muskel und ich weiss, wie gross der Schmerz im Bein sein darf, damit es noch passt. Mein Kopf weiss auch, dass etwas passieren kann, wenn ich einen ‹Seich› mache. Aber ich bereite mich vor. Erst wenn ich für jede erdenkliche Situation einen Ausweg parat habe, starte ich die Expedition. Unterwegs habe ich alles in der Hand. Genau dieses Erleben des Hier-und-Jetzt ist für mich totale Freiheit. Genau diesen Moment suche ich. Ich allein entscheide, ich allein trage die Verantwortung. Wenn etwas passiert, passiert es aus einem Fehler, den ich allein begangen habe. Ich muss das akzeptieren, und ich weiss, dass es mich selber treffen kann. Darum bin ich heute noch vorsichtiger als früher, denn ich habe schon viele Menschen sterben sehen.»

Wir können beeinflussen, was wir im Leben machen

Ist der Tod beim Klettern näher? Ueli Steck: «Statistisch gesehen glaube ich nicht. Mit dem Tod ist es ganz simpel. Er ist das Einzige, was im Leben sicher ist. Wir wissen nicht, wann er eintritt. Wir können hoffen, dass es nicht zu früh passiert. Was danach kommt, wissen wir auch nicht. Es macht keinen Sinn, darüber zu spekulieren. Es ist, wie es ist. Wir können aber beeinflussen, was wir im Leben machen. Das ist doch das Schönste, was es gibt!»

Ueli Steck ist im Emmental aufgewachsen. Eishockey spielen bei Langnau war für ihn und seine Kameraden das Grösste. Doch mit 12 Jahren durfte er mit dem Vater eines Kollegen auf die Schrattenfluh gehen. «Das gefiel mir. Das war mal etwas anderes. In der Mannschaft kannst du die Schuld immer abschieben. Wenn du am Berg nicht weiterkommst, gibt es keine Ausrede. Diese Klarheit, diese Einfachheit und diese logische Konsequenz des Handelns zogen mich in ihren Bann. Ich bin ein bisschen ein sturer Grind und gehe gerne meinen eigenen Weg. Hier hatte ich ihn gefunden. Das Umfeld war nun kein Eisstadion mehr, sondern die reine Natur.»

Meine Grenzen ausloten

Was treibt einen Extrembergsteiger an? Um jeden Preis die Natur zu bezwingen? «Wenn ich bergsteige, ist für mich einzig und allein die Leistung wichtig. Ich will meine Grenzen ausloten und mich an den Anschlag bringen. Der Berg und die Natur sind weder Gegner von mir, noch verschmelze ich mit ihnen. Aber ich bin frei, kann mir immer aussuchen, was ich tue. Ein 100-Meter-Läufer ist ein armer ‹Cheib›, der muss immer seine 100 Meter laufen. Ich kann demgegenüber meine Ideen ausleben. Bergsteigen hat etwas sehr Kreatives. Es gibt so viele Spielformen. Da bin ich noch lange nicht am Ende.»

Mikronährstoffe wurden immer wichtiger

Auch dank seiner bewussten Ernährung. Einfach ein bisschen Gemüse und Fleisch essen genügt nicht, um den Körper in dieser Leistungsklasse fit zu halten. Ueli Steck: «Ich arbeite mit Ernährungsberatern und Coaches zusammen. Essen ist bei mir Teil des Trainings. Am meisten machst du dir Gedanken, wenn du selber kochst. Ich nutze diese Zeit auch, um herunterzufahren. Ich gucke auf die Eiweisse, die Kohlenhydrate, das Fett. Und eines Tages merkte ich, dass ich mit normalem Essen in vernünftiger Zeit gar nicht alles aufnehmen kann, was mein Körper braucht. Die lebenswichtigen Mikronährstoffe, von denen der Körper die meisten nicht selber herstellen kann, wurden immer wichtiger. Seit ich sie individuell angepasst von aussen zuführe, leiste ich mehr und bin weniger krank. Magnesium zum Beispiel nehme ich jeden Tag für meine Muskulatur, da muss ich besonders gut drauf achten. Auch ein Multivitamin-Präparat für Sportler, das mit Swiss Olympic entwickelt wurde, nehme ich.

Im Zweifelsfall entscheidet immer mein Bauchgefühl

Trotz perfekter Planung hört der 40-Jährige auch bei Klettertouren auf seinen Bauch. «Im Zweifelsfall entscheidet immer mein Bauchgefühl. Es ist Intuition oder was auch immer. Selbst wenn man sein Handwerk versteht, kommt der Bauch zum Tragen. Ich kann darum nicht immer begründen, warum gewisse Entscheidungen so oder so ausfallen.»

Ich muss meinen Körper spüren

Die nächste Expedition steht kurz bevor. 8848 Meter auf den Mount Everest und 8516 Meter auf den benachbarten Lhotse. Das Höhentraining hat er hinter sich. Intervalltraining ist angesagt. Die eigentlichen Strapazen stehen im April und Mai bevor. Kommt Bergsteigen in dieser Form einer Sucht gleich? Ueli Steck: «Es geht in die Richtung. Wenn ich meinen Auslauf nicht habe, ist es mir nicht wohl. Ich muss meinen Körper spüren. Ich finde es schön, wenn die Arme schmerzen, wenn die Füsse schmerzen, wenn die Beine ‹leer› sind. Wenn man das einmal erlebt hat, wird es schwierig, es irgendwann nicht mehr zu haben.»