Bewegung ist das beste ­Medikament – und erst noch gratis

Herzschwäche ist die führende Todesursache in einer älter ­werdenden Gesellschaft. Dr. Jürg Niesper, Allgemeinarzt in Egg bei Zürich, über die Behandlung von in Not geratenen Herzen.

Herzinsuffizienz aufmacher Dr. Niesper

Sie gelten spätestens nach einer Sendung im Schweizer Fernsehen als grosser Verfechter von ärztlich verordneter Bewegung. Was machte Sie zum Bewegungsmissionar?

Die grosse präventive Wirkung von viel Bewegung ist seit Langem bekannt. Die Liste ist lang und betrifft fast alle grossen Gesundheitsstörungen der Gegenwart. Nebst dem immer wichtiger werdenden psychosozialen Nutzen sind die Schutzeffekte bezüglich Herz-Kreislauf-Risikoreduktion um 50 Prozent, Diabetes-Risikoreduktion grad nochmal 50 Prozent, Osteoporose, Stürze, Invalidität und Krebs von Dickdarm und weiblicher Brust zu erwähnen. Nicht zu vergessen sind die positiven Auswirkungen bei der Therapie bereits bestehender Erkrankungen.

Wie bringen Sie einem bewegungsfaulen ­Menschen bei, dass er sich mehr bewegen soll?

Je nach Motivationsgrad – sofern sich der Patient überhaupt schon einmal mit dem Pro und Kontra von regelmässiger Bewegung auseinandergesetzt hat – führe ich ihn sachte zur Umsetzung eines Bewegungsplanes. Dieser Plan soll Freude machen, den Benefit möglichst schnell abbilden und von mir begleitet sein. Das gelingt am besten, wenn Arzt und Patient gemeinsam in der Sprechstunde einen Plan erstellen, der vom Patienten danach immer à jour gehalten und zur nächsten Konsultation mitgebracht wird.

Wie machen Sie das ganz konkret? Welche ­Bewegungsaktivitäten verordnen Sie ihm?

Ich bespreche mit ihm ganz konkrete Fragen. Wie kann die jeweilige Aktivität wie Velofahren, Gehen, Nordic Walking, Schwimmen oder Tanzen örtlich und zeitlich durchgeführt werden? Wenn es nicht nur um sportliche Aktivitäten geht, schauen wir gemeinsam, wie, wo und wie oft Wege zu Fuss zurückgelegt werden können.

Sie sind ein Mann an der Front. Wie wirkt sich Bewegungsfaulheit gesundheitlich aus?

Der grösste Teil des gesundheitlichen Selbstmanagements läuft über körperliche Betätigung, und das gratis. Wer das einmal begriffen hat, erhebt sich vom Sofa. Herz-Kreislauf, Hirn, das Körpergewicht, der Zuckerstoffwechsel, Knochen, Gelenke und sogar die psychische Befindlichkeit werden durch regelmässige Bewegung schon bei niedrigen Intensitäten wie zielgerichtetes Gehen positiv beeinflusst. Das ist nicht nur wichtig hinsichtlich einer eigenverantwortlichen, gesundheitsfördernden Lebensführung, sondern auch ein persönlicher Beitrag zu einem kostengünstigeren Gesundheitswesen.

Was ist mit Herzschwäche? Wie gross ist diese Bedrohung? Und wie kommt es dazu?

Herzschwäche ist die führende Todesursache in einer älter werdenden Gesellschaft. Es ist eine chronische Erkrankung, welche nach einem akuten Herzinfarkt, aber auch durch eine länger dauernde Mangeldurchblutung des Herzmuskels, erhöhten Blutdruck, strukturelle Schäden an Muskel und Herzklappen und seltenere Ursachen entstehen kann.

Wie merkt man früh genug, dass man an Herzschwäche leidet?

Sich anstrengen und atmen wird mühsamer, die Leistungsfähigkeit nimmt ab, man ist oft müde, ein hochgelagerter Oberkörper im Bett erleichtert das Atmen, allenfalls schwellen die Fussknöchel an und das Körpergewicht steigt.

Was machen Sie mit Ihren Herzinsuffizienz-­Patienten? Wie sieht eine wirksame Therapie heute aus?

Die medikamentöse Seite hat in letzter Zeit, nebst den Katheterbehandlungen zur Verbesserung der Blutzufuhr, an Bedeutung gewonnen, zumal es neue Wirkstoffe gibt, die das geschwächte Herz entlasten. Was nach der Katastrophe Herzinfarkt seit Längerem Standard ist, nämlich die kardiovaskuläre Rehabilitation, muss bereits im frühen Stadium eines in Not geratenen Herzens angestrebt werden, trotz den oft mühsamen Kostengutsprachen durch die Krankenkassen.

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn jemand trotz gängigen Therapien noch immer Symptome hat?

Nach Ausschöpfung aller bisher genannten Massnahmen gibt es zweikammrige Herzschrittmacher, Blutauswurf fördernde Pumpen, Huckepackherzen oder die Herztransplantation, dies selbstverständlich in aufsteigender Reihenfolge als Ultima Ratio.

Was ist, wenn zur Herzschwäche noch Dia­betes hinzukommt oder umgekehrt?

Hier müsste den Patienten das bisher Gesagte besonders eindringlich nahe – im buchstäblichen Sinn – ans Herz gelegt werden. Meines Erachtens geht hier kaum etwas ohne gesundheitsrelevante Bewegung: fünf bis sieben Mal pro Woche 30 Minuten lang zielgerichtetes Gehen, aufgeteilt in Tranchen von höchstens zehn Minuten. Dies als Therapie, verordnet vom Arzt, zur Sicherstellung der Teilnahme und Verantwortung gegenüber der eigenen Gesundheit.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 10.07.2018.

Kommentare sind geschlossen.