Corona – Die Wissenschaft ist keine Faktenmaschine

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“Die Ärzte hatten ihr verboten, ihm etwas zu trinken zu geben. Obwohl er sie um einen Schluck Wasser anflehte, befolgte sie brav die Anweisungen der Mediziner, worauf er durstig gestorben ist.” Eine Leserin berichtete kürzlich, wie ihr Grossvater vor über einhundert Jahren qualvoll der spanischen Grippe erlag, während ihre Grossmutter ihn nach bestem Wissen und Gewissen pflegte.

Nutzlos und gefährlich

Damals war die Grippe in den Augen vieler Ärzte ein Zeichen für verdorbene Körpersäfte, die durch Aderlass, Austrocknung oder mit Abführmitteln raus mussten. Erstaunlicherweise bewiesen zwei Mediziner schon im siebzehnten Jahrhundert, dass Aderlass und Austrocknung nutzlos und gefährlich sind, doch niemand nahm sie ernst. Der Grund, weshalb die Praxis bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts angewandt wurde, steckt auch hinter den Wirren um Corona.

Der Schein trügt

Wenn die Spitzenmedizin Wunder vollbringt, sich die Forschung zunehmend mit den seltensten Krankheiten beschäftigt und die Apotheke für jede Krankheit ein Mittel parat hat, scheint es manchmal, als hätte die Wissenschaft alles im Griff. Es scheint, als könnten wir uns heute auf das Komplizierte konzentrieren, weil wir die einfachen Fragen der Gesundheit längst geklärt haben. Mit Corona kam die Einsicht, dass dieser Schein trügt.

Der Aderlass der Gegenwart

Mehrere Monate war unklar, ob Masken gegen ein luftübertragenes Virus Sinn machen und die Epidemiologie hat bis heute kaum eine zuverlässige Vorhersage geliefert. Es liegt nahe, unser Bild der Medizin zu überdenken. Gibt es sonst noch vermeintlich einfache, ungeklärte Fragen und ist es möglich, dass wir in einhundert Jahren über gewisse Behandlungen staunen werden, wie wir es heute über den Aderlass tun?

Dreihundert Jahre Blödsinn

Wahrscheinlich ja, denn die Wissenschaft ist keine Faktenmaschine, sondern ein ständiges Hin und Her zwischen Versuch und Irrtum. Langfristig liefert sie echte Wahrheiten, was uns zum Beispiel ermöglicht, heute doppelt so lange zu leben als früher. Kurz- und mittelfristig bedeutet das aber, dass sich Irrtümer halten können, weil es manchmal niemanden gibt, der den Blödsinn glaubwürdig widerlegt. Im schlimmsten Fall dauert es wie beim Aderlass dreihundert Jahre.

Eisspray aus Verlegenheit

Ausserdem ist die Schulmedizin nicht einfach angewandte Wissenschaft. Sie wird viel stärker von Kultur, Tradition und Wirtschaft geprägt, als man gerne annimmt. Zwischen Ländern gibt es beispielsweise massive Unterschiede in der Anwendung von Antibiotika. Manchmal werden Behandlungen auch einfach verschrieben, weil man glaubt, irgendetwas tun zu müssen. Ein Beispiel dafür ist der Eisspray, der schmerzverzerrten Fussballern über die Knöchel gesprüht wird, obwohl unklar ist, ob er hilft oder schadet.

Task-Force der Propheten

Nun bringt es nichts, die Wissenschaft anzuzweifeln, nur weil sie nicht perfekt ist. Aber angesichts dieses Realitäts-Checks wäre sicherlich mehr Bescheidenheit in Akademiker-Kreisen angebracht. Wenn zum Beispiel die COVID-19 Task-Force wieder einmal verkündet, dass man “aus wissenschaftlicher Sicht” die Restaurants schliessen sollte, überschreitet sie nicht nur ihre Kompetenzen, sie vermittelt auch ein völlig falsches Bild der Wissenschaft. Es ist dem Bundesrat hoch anzurechnen, dass er diese Haltung durchschaut und deutlich gemacht hat, wer die Schweiz regiert.

Ein Impfstoff in Rekordzeit

Die Wissenschaft hat geschafft, woran alle Religionen während tausenden Jahren gescheitert sind. Sie hat einen grossen Teil der Menschheit vor Seuchen, Krieg und Hunger befreit, und für das neue Virus hat sie in Rekordzeit einen Impfstoff gefunden. Die Wirren um Corona sind aber eine gute Erinnerung, dass sie trotzdem keine Wunder vollbringen kann und ein Teil unseres “Wissens” wahrscheinlich einfach nicht stimmt. Als Aderlass noch übliche Praxis war, sagte Mark Twain schon: “Prognosen sind eine schwierige Sache, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.”