Das Glarner Familienparadies

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Zu Hause ein Legozimmer, im Garten Spielgräte, mit dem Vater auf die Jagd, im Kindergarten Gesundes vom Gemüsehändler. Im Glarnerland wird Gesundheit gelebt.

Das kleine Dorf Matt im Glarnerland. Ein milder Herbstnachmittag. Wir sind zu Hause bei Tschudis, einer siebenköpfigen Familie. Jeannette Marty, die Cousine von Theres Tschudi, und das jüngere ihrer beiden Kinder sind zu Besuch. Die grösseren sind in der Schule, die Männer auswärts an der Arbeit. Die beiden Frauen machen mit bei der Aeschbacher-Diät. Theres Tschudi hat genau das abgenommen, was sie wollte, nämlich die vier überflüssigen Pfunde an den Hüften. Und Jeannette Marty kann ihr Gewicht halten, nachdem sie in den Jahren zuvor 15 Kilo abgenommen hat. Eine riesige Leistung, wenn man bedenkt, dass auf eine solch starke Gewichtsabnahme normalerweise der Jo-Jo-Effekt folgt.

Die Kinder der beiden Familien haben jeden erdenklichen Platz zum Spielen, im und ums Haus. In der geräumigen Wohnküche hat es Malutensilien und einen Spielzeugkochherd mitsamt einem Esstischchen. Lastwagen, Feuerwehrautos, Bagger stehen in Reih und Glied. Als nächstes sticht dem Besucher ein eigens eingerichtetes Legozimmer ins Auge. Draussen im Garten fallen die tollen Spielgeräte auf. Und erst als letztes nimmt man in diesem Haus den Fernseher wahr. Kein Wunder, dass hier kein Kind auf die Idee kommt, länger als ein paar Augenblicke vor der Mattscheibe zu verbringen. Alles andere ist spannender und vor allem zum Anfassen und Begreifen. Entsprechend lebhaft geht es bei unserem Besuch zu und her. «Es gibt keine fixen Zeiten und keine starren Regeln, wann und wie oft die Kinder fernsehen dürfen», sagt Theres Tschudi. «Das regelt sich von alleine. Es läuft genug, als dass sie lange vor dem Fernseher sitzen würden. Wenn die Kinder die Wahl haben, draussen zu spielen oder mit dem Vater in den Wald oder auf die Jagd zu gehen, ist die Flimmerkiste kein Thema.»

Auch wenn es viele Ursachen gibt, ist Übergewicht in erster Linie ein gesellschaftliches Problem. Bewegungsmangel und ein ungeheures Überangebot an vorgefertigten, kalorienreichen Nahrungsmitteln begleitet die Kinder schon von klein auf. Ein ganz grosser Dickmacher ist das Fernsehen. Je mehr Zeit Heranwachsende täglich vor der Flimmerkiste verbringen, desto stärker fällt das Übergewicht aus. Fernsehen bedeutet körperliche Inaktivität und ein Ausgeliefertsein an die TV-Werbung, die Appetit macht auf ungesundes Essen. Eltern haben einen grossen Einfluss darauf, ob ihre Kinder dick werden oder nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Ernährungsverhalten der Eltern, vor allem der Mutter, die Gewichtsentwicklung des Kindes entscheidend beeinflusst.

Ein wichtiger Aspekt ist auch die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen ausser Haus. Es gibt einen klaren ursächlichen Zusammenhang zwischen der Zunahme des Übergewichts bei Kindern und der erhöhten Erwerbstätigkeit ihrer Mütter. Erwerbstätige Frauen mit Kindern kaufen signifikant mehr Fast Food und energiedichte Produkte und geben ihren Kindern weniger Anreiz für körperliche Aktivität in der Freizeit. Die Schlussfolgerung ist nicht eine Rückkehr aller Frauen an den Herd, sondern vielmehr eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und vermehrte Angebote für gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung in den Schulen selber.

Auch hinsichtlich Ernährung versuchen die beiden Mütter ihren Kids auf eine möglichst natürliche Art und Weise zu zeigen, was gut für sie ist und was nicht, auch wenn das den Familien sehr schwer gemacht wird. «Wir ertrinken beinahe im Nahrungsmittelüberfluss, während anderswo Millionen von Kindern an Hunger sterben», sagt Theres Tschudi. «Es ist extrem schwierig, die Kinder von all den unnötigen, verführerischen Dingen fernzuhalten und ihnen einen vernünftigen Umgang mit dem Essen zu lehren. Sie müssen lernen, dass Schoggiriegel und Pommes Chips keine normalen Nahrungsmittel sind, sondern dass es sie nur zu speziellen Anlässen gibt.» Auch Jeannette Marty pflichtet dem sofort bei: «Mit Milchschnitten, Kinderpinguinen und Miniquarkportionen ist es bei jedem Einkauf eine Katastrophe. Schauen Sie mal, wie viel unnötiges Fett und Zucker die enthalten. Kein Kind braucht das, auch wenn die Werbung das Gegenteil behauptet. Laufen Sie mal auf Augenhöhe eines Kindes durch die Supermärkte und Einkaufsläden. Es ist brutal, mit was ein Kind auf Schritt und Tritt bombardiert wird. Mit allen Tricks wird dabei gearbeitet. Jede Woche wird wieder ein neues Produkt lanciert. Wenn es Aktionen gibt, sind es fast nur ungesunde Nahrungsmittel wie Fertigpizza, Fertigmüesli, Schoggi, Eistee und so weiter. Alles Dinge mit einem hohen Gehalt an Fett und Zucker. Neuerdings werden wir auch auf der Post nicht davor verschont. Die Nutella-Packungen sind so angeordnet, dass die Kinder auf direktem Weg da­rauf zusteuern.» Die beiden Mütter sind sich einig: «Wer sich all dem nicht bewusst wird, fällt voll darauf herein.»

Das ist Klartext. Und da wollen uns die Ärzte und Stoffwechselspezialisten weismachen, Übergewicht sei vor allem genetisch bedingt, und die armen Geschöpfe hätten gar keine andere Wahl als viel zu essen. Wer’s glaubt, wird selig und landet nach ein paar erfolglosen Diäten für eine Magenbypass-Operation auf dem Tisch des Chirurgen. Übergewicht liegt nicht einfach in der Familie. Nicht das Übergewicht kann vererbt werden, sondern bloss die Neigung dazu. Der Lebensstil bestimmt, wie sich das auswirkt. Da sich die genetische Ausstattung des Menschen in den letzten Jahrzehnten praktisch nicht geändert hat, ist die starke Zunahme von Adipositas in erster Linie das Ergebnis der veränderten Lebensumstände.

Die Weltgesundheitsorganisation hat schon 2003 festgehalten, dass energiedichte Nahrungsmittel und Getränke die Hauptursache für die Übergewichtsepidemie sind. Die neuen Technologien der Nahrungsmittelindustrie haben zu einer starken Zunahme von Fertignahrung geführt. Sie enthalten mehr Fett und Zucker und sind «trockener», das heisst ihr Wassergehalt ist im Vergleich zu Frischprodukten wesentlich tiefer. Ein grosser Teil dieser Produkte sind Snacks, die zu Hause immer häufiger anstelle von Mahlzeiten konsumiert werden, meist in Verbindung mit einer passiven Tätigkeit am Fernseher, Computer oder einem mobilen Gerät. Aufgrund der neuen Technologien sind die Preise von verarbeiteten Nahrungsmitteln in den letzten Jahren deutlich gesunken. Deshalb weist der Konsum von verarbeiteten Produkten im Vergleich zu Frischprodukten deutlich höhere Zuwachsraten auf. Menschen, die häufig verarbeitete Nahrungsmittel essen, haben die grösste Gewichtszunahme. In Studien konnte gezeigt werden, dass 40 Prozent der Gewichtszunahme in westlichen Ländern mit den fallenden Nahrungsmittelpreisen erklärt werden können, während rund 60 Prozent auf zu wenig Bewegung zurückzuführen ist.

Im Kanton Glarus hat man erkannt, dass man dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen darf. Im Kindergarten Mitlödi mache man ganz tolle Dinge, um den Kindern einen natürlichen, gesunden Umgang mit dem Essen beizubringen, erzählt Jeannette Marty. Weggli, Gipfeli und Schoggistengeli sind nicht erlaubt. Nehmen Kinder diese Dinge trotzdem mit, würden sie darauf hingewiesen, bitte am nächsten Tag einen gesunden Znüni mitzunehmen. Die Eltern würden auch informiert, bis es klappt. Dafür stelle man den Kleinen regelmässig kleine Schalen mit schmackhaften Gemüseportionen und Früchten hin. Einmal in der Woche decken sich die Kinder selber beim Gemüsehändler mit frischen Produkten ein, der vor dem Kindergarten hält.

Trotz allem dürfe das Essen nicht zum dominierenden Thema werden. «Man muss als Eltern einen gesunden Mittelweg finden», sagt Theres Tschudi. «Oft gehe ich ohne die Kinder einkaufen. Wenn sie dabei sind, muss ich genug Zeit einberechnen, damit ich ihnen alles erklären kann.» Zum Frühstück macht sie den Kids ein Müesli aus Cornflakes und Milch und bietet ihnen dazu Früchte wie Trauben, Orangen, Apfelschnitze und Brot an, bei Bedarf mit Honig oder Confi. Zuckerhaltige Getränke gibt es nicht, höchstens eine Apfelschorle oder ein stark verdünnter Sirup. Zum Zmittag gibt’s etwas Kohlenhydrathaltiges, etwas Fleisch, Gemüse und Salat. Zum Zvieri nach der Schule Früchte, ein Stück Wähe oder etwas Käse und Brot, manchmal auch Schoggi und zum Znacht eher wenig, meist etwas Gekochtes.

Beiden Frauen ist ein gesundes Körpergewicht auch selber wichtig. «Es geht uns nicht um eine Modelfigur. Ein normales Körpergewicht ist viel mehr als Ästhetik. Es bedeutet Gesundheit. Theres Tschudi arbeitet im Kantonsspital Glarus tageweise als Onkologiepflegefachfrau: «Ich sehe die Folgen der Fettsucht, Probleme mit den Gefässen, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und so weiter, zum Teil direkte Folgen der Überernährung.» Sie selber hat dank dem Aeschbacher-Programm genau die zwei Kilo abgenommen, die seit den Schwangerschaften nicht mehr von ihren Hüften gewichen sind. «Zwei Jahre lang habe ich erfolglos probiert abzunehmen. Diäten wollte und konnte ich nicht machen, weil sie alle unsinnig sind und ich weder Mahlzeiten auslassen noch auf ein Stück Schoggi zwischendurch verzichten will.»

Dass ohne körperliche Bewegung nicht viel geht, wusste sie. Doch die Zeit für Sport fehlte ihr. Es gab nur einen Weg, um erfolgreich die zwei Kilo abzunehmen, ohne das Essverhalten einzuschränken – mehr Bewegung im Alltag. Die Waage stellte Theres Tschudi ein paar Wochen zur Seite. Dafür musste ein Schrittzähler her und auch ein Minitrampolin. Diese beiden Dinge brachten Freude an der Bewegung und den lang ersehnten Abnehmerfolg. «An einem normalen Tag bringe ich es auf 8000 bis 10 000 Schritte, am Wochenende auf mehr. Mit nur 3000 bis 4000 Schritten, wie es heute normal ist, würde ich zunehmen. Ich finde diesen Schritt- und Kalorienzähler genial. Er spornt mich an, zu Fuss einzukaufen und einmal im Tag eine Runde durchs Dorf zu machen. Wenn das noch nicht reicht, gehe ich aufs Minitrampolin, besonders an regnerischen Tagen.»

Das Plus an Bewegung gibt Theres Tschudi die Freiheit, ohne grosse Einschränkungen zu essen, und vor allem keine Kalorien zählen zu müssen. «Ich muss beim Essen nicht mehr überlegen. Ich habe die ausgewogene Ernährung verinnerlicht. Das geht mit einer Diät nicht. Ich weiss, was es erträgt und was nicht. Aber es hat seine Zeit dazu gebraucht. Die grösste Herausforderung war das Nachtessen. Ich musste lernen, am Abend wenig oder fast nichts mehr zu essen, wenn wir nachmittags Besuch haben und zusammen ein Stück Wähe oder Kuchen essen. Für mich stimmt das so. Heute habe ich ein stabiles Gewicht und keine Angst vor dem Jo-Jo-Effekt.»

Noch nicht ganz so weit ist ihre Cousine Jeannette Marty. «Vor ein paar Jahren habe ich 15 Kilo abgenommen, nachdem ich meine Ernährung umgestellt habe. Jetzt muss ich erst mal mein Gewicht stabilisieren und schauen, dass ich nicht wieder zunehme. Es gibt immer wieder Momente, wo ich etwas esse, das wohl etwas zu fettig ist. Dann nehme ich das pflanzliche Mittel Liposinol, um die Fettaufnahme zu bremsen. Damit halte ich mein Gewicht immer schön konstant. Vielleicht gelingt es mir auch bald, wie meiner Cousine, mein Essverhalten noch besser anzupassen und so noch ein paar Kilo mehr abzunehmen.»

Ein Stück Wähe oder Kuchen haben wir an diesem Nachmittag bei unserem Besuch nicht gegessen, obwohl es im Glarnerland dazu jede Menge Versuchungen gibt. An uns soll es nicht liegen, wenn die Glarner Mütter – wie wohl viele andere auch – ihre Kalorien vom Leib laufen und hüpfen müssen.

Die besten Tipps

Theres Tschudi und Jeannette Marty sagen, was sie für ihr Gewicht tun.

  • Immer ausgiebig frühstücken mit kohlenhydrat- und eiweisshaltigen Produkten und Früchten.
  • Keine Zwischenmahlzeiten; fünf Stunden zwischen dem Essen sind ideal.
  • Zwei Liter am Tag trinken; Wasser und ungesüsster Tee.
  • Vor dem Mittagessen einen grossen Salat essen, ohne Brot. Erst dann mit der Familie normal essen. Immer kleine Teller verwenden.
  • Wenn es Zvieri mit Kuchen oder Wähe gibt, auf das Abend­essen verzichten. Wenn es nicht anders geht, dann ein heis­ses Schoggigetränk vor dem Fernseher.
  • Zum Znacht gibt es keine kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittel wie Brot, Kartoffeln, Reis oder Knäckebrot, sondern Salat, Gemüse oder eine Suppe, Trockenfleisch, Poulet- oder Trutenfleisch, Quark, Joghurt etc.
  • Keine Fertigprodukte verwenden oder nur im Notfall, wenn nichts zum Kochen da ist.
  • Einmal pro Woche, vorzugsweise am Wochenende, einen Jokertag einbauen, an dem man essen darf, was das Herz begehrt.
  • Einladungen zum Essen geniessen und von allem essen. Einfach am nächsten Tag Süsses weglassen und allenfalls das Nachtessen.
  • Keine einseitigen Diäten machen. Sich keine geliebten Nahrungsmittel verbieten, um dann umso mehr davon zu essen.
  • Jeden Tag Bewegung einplanen, und zwar bei jedem Wetter. Sich unbedingt einen Schrittzähler zulegen. Auch wenn man die magische Grenze von 10 000 Schritten nicht jeden Tag erreichen kann, ist der Schrittzähler ein riesiger Ansporn.
  • Nur noch einmal pro Woche auf die Waage stehen. Das nimmt den psychischen Druck weg.
  • Geduld mit sich selbst haben. Es braucht Zeit, bis der Körper und die Psyche das alles verinnerlicht haben. Rückschläge gehören dazu

 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 23.01.2014.

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