Das stille Leiden im Intimbereich

Lichen sclerosus ist eine oft verkannte und unterdiagnostizierte chronische Krankheit im äusseren Intimbereich. Betroffen sind hauptsächlich Frauen und Mädchen. Aufklärung ist dringend nötig.

Lichen sclerosus, Krankheit Intimbereich
Unsere Leserin, eine 23-jährigen Frau, über die Diagnose Lichen sclerosus.

Es sind mehrheitlich Frauen sowie Mädchen, die an den typischen Symptomen leiden, wobei auch Männer und Jungs erkranken können. Sie werden oft über Jahre auf Pilz, Herpes und Blasenentzündungen behandelt, häufig über lange Zeit nicht richtig diagnostiziert. Mit teilweise schwerwiegenden Folgen. Lichen sclerosus, eine entzündliche Hautkrankheit an der Vulva, dem äusseren Geschlechtsbereich der Frauen, schreitet voran, Schmerzen prägen den Alltag, Vernarbungen und Hautveränderungen erschweren ein unbelastetes Ausleben der Sexualität. Unbehandelt kann diese Autoimmun-Krankheit zu einer kompletten Degeneration der Haut im Intimbereich führen, Sexualität und Wasserlassen werden zum Problem, Operationen werden nötig. Lichen sclerosus ist nicht heilbar, aber behandelbar.

Der Verein Lichen Sclerosus bietet Informationen zur Krankheit und zur Therapie entsprechend den europäischen Behandlungsleitlinien, eine umfassende Austauschplattform und hilfreiche Dokumente, wie einen Selbstuntersuchungsflyer und ein Aufklärungsbuch für Eltern und betroffene Kinder.  www.lichensclerosus.ch

«Mein Lichen und ich»

Erfahrungsbericht einer 23-jährigen Frau vor und nach Diagnose Lichen sclerosus

Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, als mein Frauenarzt mir (mit meinen damals 17 Jahren) sagte: „Sie sind viel zu trocken. Sie sehen ja aus wie eine 80-jährige Dame“. Die Worte trafen mich wie eine Faust ins Gesicht. Ich war eingerissen und es juckte. Er meinte, das liege an meinem ersten sexuellen Kontakt, die weisslichen Stellen – erklärte er mir – lägen am letztjährig diagnostizierten Herpes. Beides falsch, wie ich heute weiss. Nach langem Gebastel und hoffnungslosen Versuchen, eine Besserung des Hautbildes zu erreichen, landete ich schliesslich in der Hautklinik, wo eine Hautprobe entnommen wurde. Kein klarer Befund, hiess es dazumal. Also beschlossen wir, eine Hyaloron-Unterspritzung zu machen. Genützt hat es nicht viel, und schnell waren die Symptome wieder da. Ein schreckliches Jucken, egal zu welcher Tageszeit, egal, ob ich alleine war oder auf der Arbeit. Brennen beim Wasserlösen, Schmerzen beim Sitzen.

Mit 20 beschloss ich, eine neue Frauenärztin zu suchen. Ans Jucken hatte ich mich in den vergangenen Jahren fast gewöhnt. Sämtliche Cremes, Salben und Sitzbäder hatten nichts gebracht. Die offenen Wunden und die Schmerzen gehörten mittlerweile zu mir. Ich erinnere mich noch an den Gesichtsausdruck der Ärztin, als ich ihr meine lange und schmerzvolle Vorgeschichte schilderte. Als ich auf dem Gyni-Stuhl sass, schaute sie geschockt. „Ich schicke Sie zu einem Kollegen nach Basel. Dort arbeiten Gynäkologen mit Dermatologen zusammen». Also machte ich mich auf den Weg. In Basel hörte ich das erste Mal den Ausdruck „Lichen sclerosus“. Im Nachhinein nehme ich an, dass der gute Herr Doktor mir wohl einiges dazu erklärt hat. In meinem Kopf geblieben sind bloss die Begriffe: Kortison, Sexualtherapie, Physiotherapie, Creme, Lichen, dauerhaft.

Ich ging nach Hause. Und wie wohl so viele andere vor mir, durchsuchte ich das Internet nach diesem komischen Begriff „Lichen sclerosus“. Schreckliche Bilder und Berichte tauchten auf, ich verbrachte viel Zeit mit Recherchieren. Ich hatte immer gedacht, wenn ich erst einmal wüsste, was genau ich habe, hätte ich Klarheit und es würde mir in der Folge besser gehen. Das Gegenteil traf zu. Weinend auf dem Klo, mit dem Spiegel zwischen den Beinen, verglich ich meine eigene Vulva mit dem Internet Foto.

Mein Sexualleben – wenn man das überhaupt noch so nennen konnte – hatte in den vergangenen Jahren bestanden aus vielen Ausreden, um den Akt hinauszuzögern, da danach immer alles noch schlimmer wurde. Ich bemühte mich, es meinem Partner passend zu machen und mich dabei möglichst selber zu schützen, in steter Anspannung und Sorge, dass es da unten wieder aufriss. Leider jedes Mal ohne Erfolg. Langes Pflegen und grosse Schmerzen waren stets die Konsequenz.  

Im Internet hatte ich inzwischen auch die Seite vom Verein Lichen Sclerosus gefunden. Dieser verhalf mir zur Adresse eines Lichen-Experten aus Luzern. Nach einigen Terminen, Besprechungen und Mails habe ich mich dort operieren lassen. Ich wollte endlich ein normales Leben, ohne ständig an die Krankheit denken zu müssen. In der Klinik hat man das vernarbte, immer wieder einreissende Gewebe beim Damm herausoperiert und gesunde Vagina-Haut darüber gezogen und vernäht. Die Operation ist noch nicht lange her, aber ich bin sehr zuversichtlich. Nächstes Jahr muss ich nochmals hin für eine Nachbehandlung, für ein sogenanntes Lipofilling an der Vulva, denn meine Haut an den Schamlippen ist wegen dem Lichen eingesackt. Fachlich ausgedrückt klafft die Vulva. Sie hat kein Volumen mehr und schliesst Luft ein. Das macht so komische Geräusche, wenn ich mich bewege und ist unangenehm. Bei diesem Lipofilling unterspritzt man die Vulvahaut mit Eigenfett. Die Krankenkasse hat die Kosten bereits bewilligt.

Ich glaube, nun habe ich den Lichen sclerosus im Griff – und nicht mehr er mich. Ich denke, dass ich jetzt mehr auf mich schaue und so dafür sorge, dass er weniger allgegenwärtig und präsent ist in meinem Leben. Mein grösster Hoffnungsschimmer momentan. Ich hatte Sex – ohne Schmerzen, ohne irgendwelche offenen Wunden, ohne einzureissen. Lichen sclerosus ist nicht heilbar. Ich werde mich trotz der Operation ein Leben lang mit hochpotenten Kortisonsalben behandeln und mit viel Fett pflegen müssen. Das ist nicht immer so toll, aber ich kann damit wahrscheinlich weitere Schübe und einen Vulvakrebs vermeiden. Dieses Glück haben nicht alle Betroffene, und ich bedauere diejenigen, die schon lange auf der Suche sind nach Hilfe und sie nicht finden, denn leider kennen sich viele Ärzte schlicht zu wenig aus. Auch in der Öffentlichkeit ist Lichen sclerosus kaum bekannt, was mich sehr komisch dünkt, im Wissen, dass jede 50. Frau betroffen ist. Und wenn niemand darüber spricht, bleibt die Krankheit weiterhin so tabuisiert wie in den letzten 100 Jahren, denn entdeckt wurde sie erstmals im Jahre 1898. Ich hoffe, die Krankheit erfährt in Zukunft mehr Aufmerksamkeit, und dass Betroffene früher zur Diagnose gelangen als ich.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 15.08.2019.

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