Tragische Todesfälle nach Einnahme der Antibabypille verunsichern viele Frauen. Jetzt zeigt eine Analyse aus der Schweiz, wie riskant die modernen Pillen wirklich sind. Die Pille macht wegen der Gefahr von Thromboembolien Schlagzeilen. Ein Artikel im Schweizerischen Medizin-Forum, dem offiziellen Fortbildungsorgan der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH, analysiert die tatsächlichen Gefahren, welche die hormonelle Verhütung mit sich bringt. Einer der Verfasser ist Prof. Dimitrios A. Tsakiris, Leitender Arzt Hämostase, am Universitätsspital Basel.
Dass die Antibabypille das Thromboserisiko erhöht, ist bereits seit ihrer Einführung vor mehr als 50 Jahren bekannt. Die gängigsten Pillen bestehen aus einem Östrogen- und einem Gestagenanteil. Die Kombination der Sexualhormone unterdrückt den Eisprung, wirkt sich aber auch zwangsläufig auf die Blutgerinnung aus. Anfangs galten vor allem die Östrogene als problematisch. Mittlerweile wurde ihre Konzentration allerdings so stark gesenkt, dass die Gestagenkomponente an Einfluss auf das Thromboserisiko gewonnen hat. Die verwendeten Gestagene variieren von Pille zu Pille. Alle haben eine ähnliche Wirkung auf die Verhütung. Der Fortschritt der modernen Gestagene besteht vor allem darin, dass sie sich positiv auf die Haut und das Gewicht auswirken. „Trotz Weiterentwicklung der Pille konnte das Thromboserisiko nicht reduziert werden“, konstatiert Prof. Tsakiris. „Gemäss Swissmedic werden in der Schweiz seit 2009 pro Jahr circa 40 bis 50 Thrombosen bei Pilleneinnahme gemeldet. Die Assoziation der kombinierten oralen Kontrazeption mit einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien ist bekannt. Über 100 Millionen Frauen weltweit benutzen ein orales hormonales Kontrazeptivum, was dazu führt, dass die Pille bei jungen Frauen die häufigste Ursache für eine Thromboembolie ist.“
Als Faustregel muss bei der Verhütung mit der Pille mindestens von einer Verdoppelung des Thromboserisikos ausgegangen werden. Das Thromboserisiko bei der Pilleneinnahme wird bei zusätzlichen Risikofaktoren deutlich erhöht: Rauchen, Alter über 35, Operationen mit verzögerter Mobilisierung, Übergewicht, bereits durchgemachte tiefe Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien sowie erbliche Veranlagung für Thrombosen, das heisst gehäuftes Auftreten von Thrombosen und Lungenembolien in der Familie.
Nach den Berichten über fatale Thromboembolien in mehreren Ländern stellt sich die Frage, ob die verschiedenen Generationen der Pille mit unterschiedlichen Risiken verbunden sind. Und ob insbesondere die neuste Generation mit einem besonders hohen Risiko behaftet ist. Prof. Tsakiris: „Bereits kurz nach der Markteinführung der vierten Pillen-Generation vor über zehn Jahren wurde in Sicherheitsanalysen ein erhöhtes Thromboserisiko im Vergleich zu älteren Pillen vermutet. Diese Beobachtungen wurden in einer grossen holländischen Studie und einer dänischen Kohortenstudie bestätigt. Beide Studien fanden ein rund 1.5 bis 2-fach erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien für die Pille der dritten und vierten Generation im Vergleich zu älteren Pillen. Auch zwei Fall-Kontroll-Studien aus den USA und England zeigten ein in ähnlichem Umfang erhöhtes Risiko.“
Im gleichen Zeitraum wurden jedoch auch eine ganze Reihe von Studien publiziert, die kein erhöhtes Risiko für die Pille der vierten Generation nachwiesen. In einer kürzlich publizierten, sehr grossen Kohortenstudie, die über 835’000 Frauen einschloss, wurde nun jedoch wieder ein rund zweifach erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien bei Pillen der neusten Generation im Vergleich zu älteren Pillengenerationen gefunden. Das Risiko gilt auch für das Verhütungspflaster und den Vaginalring. Allerdings gehen die Verhütungsmittel, die nur aus einem Gestagen bestehen, entsprechende Pillen oder die Spirale, mit eindeutig tieferen Thromboseraten als die kombinierte Pille einher. Ob neuere Produkte mit natürlichem Östrogen diesbezüglich sicherer sind, bleibt noch zu zeigen.
Damit ergibt sich folgende Situation: Von 10‘000 Frauen, die keine Thromboserisikofaktoren haben, also nicht rauchen und nicht übergewichtig sind, bekommen innerhalb eines Jahres etwa eine bis fünf ein Blutgerinnsel. Verhüten die Frauen mit der Pille der zweiten Generation, entwickeln in demselben Zeitraum etwa 3 bis 6 eine Thrombose. Verwenden die Frauen eine kombinierte Pille der dritten und vierten Generation, erleiden etwa 10 innerhalb eines Jahres ein thromboembolisches Ereignis.
Das sind die Schlussfolgerungen von Prof. Tsakiris:
- Die heutigen Pillen haben die Verhütung komfortabler gemacht, allerdings zu Lasten eines etwas erhöhten Risikos für thromboembolische Komplikationen.
- Anwenderinnen der kombinierten Pille müssen bei der gynäkologischen Beratung über das Thromboserisiko umfassend aufgeklärt werden. Die Berücksichtigung der Thromboserisikofaktoren für die Auswahl der hormonellen Verhütung ist unumgänglich. Diese Risikofaktoren sind Rauchen, Alter über 35, Übergewicht sowie erbliche Veranlagung für Thrombosen. Liegt mindestens einer dieser Risikofaktoren vor, besteht eine Kontraindikation für die Kombinationspille und insbesondere für eine Kombinationspille der vierten Generation.