Der Eisenskandal

Eisenmangel 124323031

Ich bin wütend. Über die Ärzte und über die Art und Weise, wie nachlässig, wenig engagiert und sogar menschenverachtend viele mit ihren Patienten umgehen. Zwei Erlebnisse dieser Woche will ich mit Ihnen teilen. Sie stehen für unzählige andere.

Meine Schwiegermutter hat Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium. Sie wird von uns zu Hause gepflegt, Tag und Nacht. Essen kann sie nicht mehr selbständig, sich ankleiden und auf die Toilette gehen auch nicht mehr. Alle kümmern sich rührend um sie, auch meine Kinder. Besonders mag sie die vielen Katzen, die um und im Haus sind. Auch der Husky besucht sie. Es scheint ihr in der trauten Umgebung zu gefallen. Keine Spur von Aggression. Im Gegenteil. Nachts singt sie immer wieder leise, aber für alle deutlich hörbar. Auch wenn sie sich kaum noch an etwas erinnern kann – die alten Lieder haben sich tief in ihr Herz eingeprägt. Wir alle sind froh, dass wir das Versprechen halten können, das wir ihr einmal gegeben haben, als die Alzheimer-Krankheit an die Tür klopfte: Du musst nicht in ein Heim, du bleibst bei uns.

Alles wäre gut, wenn da nur nicht diese elende Müdigkeit wäre, welche unsere Mutter niederwirft. Mittlerweile schläft sie tagsüber fast nur noch. Sie vom Bett oder vom Sofa aufzunehmen ist für alle zu einem grossen Kraftakt geworden. Die muskuläre Schwäche in den Beinen ist so gravierend, dass sie sich irgendwo in der Wohnung plötzlich auf den Boden sinken lässt. Die pflegenden Angehörigen kommen so mehr und mehr an den Rand der körperlichen und psychischen Erschöpfung.

Gehören Müdigkeit und muskuläre Schwäche denn nicht einfach zum Alter oder zumindest zur Alzheimer-Krankheit? Lohnt es sich überhaupt, solche Beschwerden bei Betagten und chronisch Kranken abzuklären und zu behandeln? Wer so fragt, entlarvt sich selber als nichtwissend, ja sogar bösartig. Was ist, wenn die beschriebene Müdigkeit und die körperliche Schwäche nur gerade die simplen Folgen von Eisenmangel sind, ein Problem, das besonders bei älteren Menschen sträflich vernachlässigt wird?

Schwäche und Müdigkeit gehören nicht a priori zum Alter. Auch alte Menschen haben das Recht, ernst genommen und nach den Regeln der Kunst abgeklärt und behandelt zu werden. Es geht hier keineswegs um Lebensverlängerung oder Spitzenmedizin, sondern um die alltägliche medizinische Grundversorgung.

Es war keine Überraschung, als wir erst auf Anfrage vom tiefen Ferritin-Wert erfuhren. Der Arzt hatte das Ferritin zwar gemessen, hielt es aber nicht für nötig, uns den Wert mitzuteilen, geschweige etwas zu unternehmen. Alte Leute brauchen doch kein Eisen, und schon gar keine Eiseninfu­sionen, hat er sich wohl gedacht. Wir werden den Arzt mit Nachdruck darauf ansprechen.

Muskelschmerzen, grosse Müdigkeit, fehlende Energie

Ein ganz ähnliches Problem mit ihrem Arzt hatte eine Leserin. Muskelschmerzen, grosse Müdigkeit, fehlende Energie. So beschrieb sie ihre lähmenden Symptome. «Ich konnte mich zu nichts mehr aufraffen, keinen klaren Gedanken fassen und auch nicht mehr richtig sprechen. Mein Gehirn war wie in Watte gepackt.» Zuerst habe man an alles Mögliche gedacht, nur nicht an Eisenmangel. Die Patientin war es schliesslich, die Eisenmangel ins Spiel brachte und vom Arzt eine Infusion verlangte. Er bestimmte den Wert des Eisenspeichers Ferritin und meinte bloss, 30 liege absolut noch im Normbereich.

In ihrer Verzweiflung wandte sich die Leserin an uns. Die Antwort fiel klar und unmissverständlich aus: Beim Vorliegen von typischen Symptomen des Eisenmangels ist ein Ferritin-Wert von 30 eindeutig zu tief. Deshalb ist eine Abklärung der Ursache wichtig und eine Eisentherapie, und zwar angesichts des grossen Leidensdrucks der Patientin am besten intravenös. Ist der behandelnde Arzt dazu nicht bereit oder fähig, ist ein Arztwechsel unumgänglich.

Unsere Leserin fasste Mut und ging zu einem Arzt, der Erfahrung im Umgang mit Eisenmangel hat. Eine ernste Erkrankung, die mit Eisenverlust einhergeht, konnte ausgeschlossen werden. Das Eisendefizit wurde mit Eiseninfusionen behandelt. Die Wirkung liess nicht lange auf sich warten. «Meine Symptome sind nicht alle zu 100 Prozent verschwunden, aber es geht mir zu 100 Prozent besser. So lässt es sich leben.» Auch ihrer Tochter fühle sich jetzt dank Eiseninfusionen um Welten wohler. Auch sie leide an Eisenmangel. Vorher habe man ihr nur Tabletten verabreicht, und das trotz eines kaum noch messbaren Ferritin-Wertes. «Jetzt möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie uns geholfen haben, wir kämpfen weiter.»

Und nur einen Tag später doppelte die Leserin voller Tatendrang nach: «Stellen Sie sich vor, ich war gerade zwei Stunden mit meinen Hunden unterwegs. Zuerst bin ich mit dem einen Velo gefahren und anschlies­send mit dem anderen joggen gegangen. Schon nicht so weit, aber ich mag jetzt wieder. Entschuldigung. Das musste ich einfach noch schnell sagen.»

Wie lautet das Fazit? Leidet jemand unter bleierner Müdigkeit, Kopf- und Muskelschmerzen sowie an Schlafproblemen, sollten die Alarmglocken klingeln: Achtung, Verdachtsdiagnose Eisenmangel! In einem solchen Fall sind Ferritin-Werte zwischen 30 und 50 eindeutig zu tief. Eisentabletten sind bei tiefen Ferritin-Werten nicht nur nutzlos, sondern verursachen einen Haufen Nebenwirkungen. Besonders ältere Menschen brauchen meistens Infusionen, um die leeren Eisenspeicher aufzufüllen. Der Effekt stellt sich rasch und nachhaltig ein. Die Auswirkungen auf das tägliche Leben sind enorm. Machen Sie Ihren Arzt auf diesen Sachverhalt aufmerksam. Es sollte doch nicht so schwer sein, eines der häufigsten Gesundheitsprobleme richtig zu behandeln.

Eisenmangel im Alter

Die Beschwerden reichen von Abgeschlagenheit, körperlichem Leistungsabfall, Schwächegefühl, verminderter Muskelkraft, mangelnder Koordination, Sturzanfälligkeit, Verlust der Selbständigkeit, chronischer Müdigkeit und Apathie bis zu Kopfschmerzen und Defiziten von Gedächtnis und Konzentration, Verwirrtheitszuständen und sogar Depressionen. Wird der Eisenmangel übersehen, besteht nicht nur die Gefahr von Fehldiagnosen wie Alzheimer oder Altersdepression, sondern auch von Fehlbehandlungen mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln oder Antidepressiva, welche die Sturzgefahr und Verwirrtheit noch verstärken. Behandelt man bei solchen Patienten das Eisendefizit, kommt es oft zu einer dramatischen Besserung, auch wenn gar keine manifeste Eisenmangelanämie vorliegt. Die gängige Meinung, dass sich eine Eisentherapie bei älteren Menschen nicht lohnt, ist nicht mehr länger haltbar.

Folgende Symptome können auf Eisenmangel in jedem beliebigen Alter hinweisen:

  • Erschöpfung
  • depressive Verstimmungen
  • Abfall der Leistungsfähigkeit
  • Müdigkeit
  • Nervosität
  • Gereiztheit
  • psychische Labilität
  • Abgespanntheit
  • Schwindelgefühl
  • Nackenverspannungen
  • Kopfschmerzen
  • Vergesslichkeit
  • Konzentrationsprobleme
  • Appetitlosigkeit
  • Schlafstörungen
  • Kältegefühl
  • Haarausfall
  • stumpfes Haar
  • brüchige Nägel
  • ruhelose Beine