Der Mann und der Porno

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Mit der einen Hand auf der Computermaus, mit der anderen am Penis. Kurze Pornofilmchen. Auf der Timeline springt er von einer heissen Szene zur nächsten, reiht die Clips der sexuellen Erregung wie die Perlen einer Kette aneinander und befriedigt sich in kürzester Zeit selber. Effizient, ökonomisch, männlich. Ein Problem? Dania Schiftan: «Ja und nein. Nein darum, weil diese Männer nicht etwa ein falsches Frauenbild haben oder in der Realität schlecht mit Frauen umgehen würden. Überhaupt nicht. Das Problem ergibt sich dann, wenn der Mann zur Selbstbefriedigung ausschliesslich Porno am Computer konsumiert.» Warum soll das ein Problem sein? Dania Schiftan: «Es beginnt schon mit seiner sex-fernen Position. Er sitzt auf dem Stuhl, rubbelt an sich herum. Seine Haltung ist unbeweglich, starr. Die sexuelle Aktivität findet kaum im Körper selbst statt, sondern nur im Film. Nur über seine Augen nimmt er die Stimulation auf und das Echo ist einzig und allein auf seinen Penis konzentriert. Ziemlich eingleisig und schmalspurig.»

Männer und ihr eingeübtes Muster

Sexuelle Befriedigung erleben die meisten Männer schon in frühen Jahren. Ihr Geschlechtsteil liegt ausserhalb des Körpers – ist sichtbar und greifbar. Schon als Bub merken sie fast automatisch, dass es sich schön anfühlt, wenn sie am Penis reiben oder Druck ausüben. Im Jugendalter entlädt sich diese Lust erstmals in Form einer Ejakulation. In den Folgejahren verfeinern sie das Prozedere weiter und automatisieren es mehr oder weniger. Natürlich gibt es unterschiedliche Männertypen. Die einen entdecken immer neue Dinge und entwickeln neue Methoden. Andere fokussieren sich auf einen Weg und machen dann immer die gleiche Version. Aber alle tun es. Stimulieren sich vielfach über Bilder oder Filme. Rechnen wir hoch: Wenn ein junger Mann es bis zum Alter von 20 jeden Tag einmal selber macht, und ab 20 jeden zweiten Tag, dann hat er sich als 30-Jähriger vielleicht schon insgesamt 6000 Mal selbst befriedigt. Er hat in dieser Zeit für sich ein Muster entwickelt, das extrem gut eingeübt ist. Männer sind Augentiere und können den Penis allein über die visuelle Wahrnehmung von Pornos sehr gut stimulieren. In kürzester Zeit von null auf hundert. Der Mann überlegt nicht, was er genau tut, um zu kommen. Er macht es automatisch.

Der Fokus auf den eigenen Körper fehlt

Dania Schiftan: «Und hier liegt der Haken: Wenn man ihn fragt, weiss er im ersten Moment nicht mal, ob er zwei oder vier Finger oder die ganze Hand nimmt. Ob es die linke oder rechte ist, in welcher Position er es macht, ob er Spannung im Po, in den Beinen, in den Füssen aufbaut, wie gross der Druck auf den Penis ist und wie er sich im Verlauf der Befriedigung verändert. Reibt er immer schneller oder rhythmisch immer gleich? Ist die Hand trocken oder nass? Bewegt er auch das Becken? Was macht die andere Hand in dieser Zeit? Welcher Mann hat sich das schon einmal überlegt? Welcher Mann ist bei der Selbstbefriedigung wirklich auf seinen Körper fokussiert? Eben. Kaum einer. Trotzdem: In der Selbstbefriedigung funktioniert es gut. Erst mit der Partnerin tauchen Probleme auf. Der Mann ist verunsichert, weil ihm die Verlässlichkeit seines Penis sehr wichtig ist. Ohne diese Sicherheit kann er in einen negativen Gefühlsstrudel geraten. Generelle Selbstzweifel und starke Zweifel an der Liebe zu seiner Partnerin sind die Folge.» Tägliches Brot für Dania Schiftan in ihren Beratungen.

Visuelle Reize beim Sex sind häufig zu schwach

«Und nun trifft dieser Mann, der über Jahre eingeübt hat, wie er selber schnell zum Orgasmus kommt, zum ersten Mal im realen Leben auf eine Frau. Ein Mann, der sich gewöhnt ist, dass die Reize via Computerbildschirm auf ihn einprasseln. Ist der Mann frisch verliebt, genügt die neue Frau für eine derartige Erregung. Nach zwei Jahren schon nicht mehr so gut, weil er es mit ihr schon 200 Mal gemacht hat. Dania Schiftan: «Die Reize, die über die Augen kommen, sind dann häufig zu schwach. Das liegt aber nicht an der Frau, sondern am einseitigen Muster des Mannes: Er hat nicht gelernt, Lust und Erregung von innen heraus aufzubauen. Doch genau das wäre beim partnerschaftlichen Sex so wichtig. Den ganzen Körper mit all seinen erogenen Zonen zu involvieren, nicht nur den Penis. Zum Beispiel die Brustwarzen zu berühren, sich durch die Kopfhaare zu fahren oder auch die Hoden miteinzubeziehen. Die Erregung findet nicht allein über die Augen statt. Doch genau das kennt der Mann ja nicht, weiss nicht, wo sein Körper sonst noch reizempfindlich wäre. Was tut er? Er wählt den einfachen Weg und setzt sich das nächste Mal wieder vor den Computer.»

Internet-Sex ist einfach zugänglich und verlässlich

Dania Schiftan ortet noch eine andere Hürde: «Aus dem Muster der schnellen Selbstbefriedigung heraus sind es die Männer nicht gewöhnt, das partnerschaftliche Liebesspiel in seinen verschiedenen Phasen aktiv zu steuern, zu variieren und die Luststeigerung etappenweise zu geniessen. Sie kennen nur die Variante ‹schnell schnell›. Genau deshalb kommen sie beim partnerschaftlichen Sex häufig zu früh – oder verlieren die Erektion wegen zu geringer Stimulation. Wenn die Männer aber ihren ganzen Körper kennen und spüren lernen, können sie ein ganz anderes Liebesspiel erfahren. Eines, das eben nicht nur via Augen und Penis funktioniert. Doch sie wissen nicht um diese Problematik, orten keinen Fehler bei sich selber, sehen kein Manko. Woher sollen sie es auch wissen? Auch aus diesem Grund wenden sie sich gerne wieder dem Internetsex zu, denn Porno im Internet ist jederzeit zugänglich, wirkt sehr schnell, und lässt sich per Mausklick leicht steigern. Ein solches Verhalten hat logischerweise negative Auswirkungen auf den partnerschaftlichen Sex.»

Das Problem ist die Ausschliesslichkeit

Gibt es einen Ausweg? Dania Schiftan: «Ja. Pornokonsum im Internet ist an sich kein Problem. Das Problem liegt in der Ausschliesslichkeit. Wer nur noch mit Porno Selbstbefriedigung macht, konzentriert sich nicht auf den eigenen Körper. Muss nicht, denn dieser Körper ist beim Pornogucken ja auch nicht spannend. Wenn der Mann unbewusst merkt, dass das, was er da vor dem Bildschirm macht, nur wenig hergibt, holt er sich immer stärkere visuelle Reize. Irgendwann ist er ohne Pornos aufgeschmissen, und mit dem partnerschaftlichen Sex noch mehr überfordert. Eigentlich ein Teufelskreis.»

Körperwahrnehmung ist lernbar

«Mein Tipp: Männer können lernen, den eigenen Körper wahrzunehmen und das, was sie machen, mit voller Aufmerksamkeit zu tun. Sie werden ein Bewusstsein für das entwickeln, was beim Sex in jeder Zelle ihres Körpers abläuft. Durch viel mehr Bewegung, viel mehr Positionen, viel mehr Wechsel von unterschiedlichen Geschwindigkeiten und unterschiedlich starken Reizen. Langsam geniessen und den Orgasmus langsam aufbauen. Vielleicht probiert er es zuerst einmal bei der Selbstbefriedigung, gibt Gleitmittel in seine Hand und beginnt, die Bewegungen am Penis zu variieren – langsamer und sanfter als vorher. Wenn das gut klappt, kann er es im Stehen machen und ganz zum Schluss, nach Wochen oder Monaten, befriedigt er sich in seine Hand hinein, in die er seinen Penis wie in eine Vagina aktiv hineinschiebt, anstatt nur mit der aktiven Hand am Penis zu reiben. Zusätzlich baut er andere Stellen seines Körpers in die Stimulation ein. Immer mehr, immer öfter. Dann zusammen mit der Partnerin, damit es diese andere Dimension erreicht, die erst zur vollen Befriedigung führt. Es ist alles eine Frage der Übung. Und es lohnt sich.»

Kontakt

Dania Schiftan ist Psychotherapeutin und klinische Sexologin. www.daniaschiftan.ch

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