Der Teufel in meinem Kopf

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«Hilf mir, Papi! Hilf mir!» Der 14-jährige Sascha liegt mit Wahnvorstellungen weinend auf dem Bett, schreit, wälzt sich, hat Halluzinationen. «Die Fleischhaken durchbohren mich. Bitte Papi, bitte hilf mir! Hol den Teufel aus meinem Kopf!» Sascha hört Stimmen, die sonst niemand hört. Sascha sieht Bilder, die nur er sehen kann. Sein Ich scheint sich aufzulösen. Die Grenzen zu dem, was innen und aussen ist, werden durchlässig. Das Gehirn spielt verrückt, die Seele erleidet Höllenqualen. Der Bub ist gefangen zwischen Wahn und Wirklichkeit.

Eltern sind verzweifelt, möchten trösten und helfen, weil auch sie es kaum aushalten, wenn fremdartige Gedanken und Empfindungen die Herrschaft über das eigene Kind gewinnen. Es ist ein Drama, die Ohnmacht unbeschreiblich. Den Horrorfilm im Fernsehen kann man abschalten. Für die Schizophrenie gibt es keinen solchen Knopf.

Tabletten-Krieg

Aber es gibt Medikamente. Für eine gute Behandlung braucht der Körper eine konstante Wirkstoffmenge. Man muss die Tablette jeden Tag nehmen. Gerade hier liegt das Problem. Jugendliche wollen nicht krank sein, lassen die Tabletten liegen, sobald es ihnen wieder besser geht. Auch die mahnenden Appelle der Eltern laufen ins Leere. Viele erleben mit ihren Kindern einen regelrechten Tabletten-Krieg.

Auch Patrick nahm die seit zwei Jahren verordneten Tabletten nur unregelmässig. Er wollte seine Krankheit selber in den Griff bekommen, sprach aber mit niemandem darüber. Seine Eltern und der Arzt bekamen nur mit, wenn Patricks Symptome plötzlich wieder aufflammten. Er fehlte zu oft bei der Arbeit und verlor seine Lehrstelle. Die Eltern begannen jeden Tag nachzufragen, ob er sein Medikament eingenommen habe. «Immer diese Tablette, ich bin doch kein Automat! Ich will mich nicht sieben Tage in der Woche um meine Krankheit kümmern», beschreibt er seine damaligen Gefühle.

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Leben in der Psychose: Gräber, so weit das Auge reicht.

Alle sind erleichtert

In der Zwischenzeit gibt es neue Medikamente, die den Wirkstoff über drei Monate hinweg sanft dosiert abgeben. Wer eine Depot-Spritze in den Oberarm oder ins Gesäss bekommt, ist in dieser Zeit  geschützt. Früher reichte ein Depot nur zwei bis vier Wochen.

Der Psychiater empfahl die Umstellung auf die neue Therapie. Patrick ist glücklich: «Es ist befreiend, dass die tägliche Tablette kein Thema mehr ist. Die Spritze ist wie eine Impfung. Damit komme ich klar. Und ich glaube, ich bin weniger müde, seit ich das Depot habe. Auch meine Eltern sind erleichtert. Und der Lehrmeister ist zufrieden. Ich habe es jetzt schon bis ins dritte Lehrjahr geschafft.»

Meistens sind es die Angehörigen, welche die Patienten jeden Tag an die Medikamente erinnern müssen. Die Mehrheit der Angehörigen ist gegenüber einer Depot-Therapie positiv eingestellt. Und auch die Patientinnen und Patienten selber sind bereit, eine Depot-Therapie in Erwägung zu ziehen, wenn man sie darauf anspricht.

Wahnvorstellungen und Realitätsverlust

Schizophrenie ist eine Form von Psychose, bei der die Patienten unter Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Störungen des Denkens, der Sprache und der Gefühlswelt leiden. Schizophrenie wird fälschlicherweise oft mit Persönlichkeitsspaltung in Verbindung gebracht. Die meisten Betroffenen können ein erfülltes Leben führen. Trotzdem verursacht Schizophrenie in der Schweiz die dritthöchste Hospitalisierungsrate und die zweithöchste Pflegetagerate innerhalb der psychiatrischen Diagnosen.

Hohe Rückfallgefahr

In der Schweiz erkrankt eine von hundert Personen an Schizophrenie. Zwei Drittel sind bei Ausbruch der Krankheit jünger als 30 Jahre. Bei Männern tritt die Krankheit hauptsächlich zwischen 15 und 25, bei Frauen zwischen 20 und 35 auf. Nur ein Fünftel aller Frauen erkrankt nach dem 40. Lebensjahr. Mit jedem Rückfall nehmen das Funktionsniveau und die Leistungsfähigkeit des Betroffenen irreversibel ab. Damit es nicht zu Folgeschäden gesundheitlicher, sozialer und beruflicher Art kommt, ist eine frühe und konsequente Therapie wichtig. Ohne Behandlung liegt die Rückfallgefahr bei 90 Prozent, mit täglicher Tablettengabe bei 40 Prozent. Bei Behandlung mit langwirksamen Antipsychotika reduziert sich die Rückfallquote auf 10 Prozent