Die grosse Angst ist jetzt vorbei

Hämophilie

Zum ersten Mal darf Luca ohne «Stützrädli» fahren. Zum ersten Mal muss Mutter Denise, 37, keine so grosse Angst mehr haben. Angst vor einem Sturz ihres Zweitältesten. Angst vor einer Schürfung, einer Prellung oder einer offenen Wunde.

Wenn Luca sich verletzte, war die Blutung ohne Medikamente kaum zu stoppen. Wenn Luca mit Knie oder Ellbogen an den Türrahmen stiess, schwoll das Gelenk ohne Medikamente massiv an. Dem 7-jährigen Bub fehlt der Gerinnungsfaktor 8. Einer jener Faktoren, die bei gesunden Menschen Blutungen stoppen – auf der Haut, aber auch innerhalb des Körpers. Hämophilie nennt sich die Krankheit. Sie ist genetisch bedingt. Luca leidet an ihrer schwersten Form.

«Nach den Impfungen zwei Monate nach der Geburt haben wir es gemerkt. Beim Wickeln sah ich, dass Luca überall kleine blaue Flecken hatte», sagt die Mutter. Etwas sei ihr allerdings schon vorher aufgefallen. «Ich fand es komisch, als sich eines Tages seine Ohrmuschel wegen einer winzigen Kratzwunde immer wieder mit Blut füllte. Wir hatten nie an eine Gerinnungsstörung gedacht, selbst als ein Arzt uns danach fragte.»

Frühe Behandlung wichtig

Die spätere Diagnose im Kinderspital Zürich war für Denise darum ein Schock. Man könne gut mit der Krankheit leben, beruhigten die Ärzte. Es sei aber wichtig, sie sehr früh zu behandeln, damit sich in den Gelenken keine Spätschäden bildeten. «Ich hatte Angst, wusste nicht, was auf uns zukommt.» Es gebe Medikamente. Im ersten Lebensjahr würde man nur im Notfall spritzen, also dann, wenn eine Wunde blutet oder eine Prellung passiert ist. Prophylaxe-Spritzen seien erst ab dem zweiten Lebensjahr üblich. «Jede Woche mussten wir zum Spritzen ins Kinderspital. Später konnten wir das Medikament zu Hause selber geben.»

Doch dann tauchte ein schwerwiegendes Problem auf: Lucas Immunsystem begann sich mit Hemmkörpern gegen das Medikament zu wehren. Die Wirkung verpuffte immer schneller. Bis zu drei Spritzen am Tag waren nötig, um den Schutz einigermassen aufrecht zu halten. «Ich war das Helikopter-Mami, stand immer hintendran. Obwohl Luca mit einem Stoffhelm unterwegs war, liess ich ihn nicht unbeobachtet herumlaufen. In seine Kleider nähten wir weiche Polster ein. Den ganzen Körper konnten wir natürlich nicht schützen. Wir wechselten auf ein anderes Präparat, machten auch eine Immuntoleranz-Therapie. Nichts funktionierte, bis sich auch noch der Venenzugang entzündete, den die Ärzte wegen der vielen Spritzen eingerichtet hatten. Luca bekam hohes Fieber, und es war völlig ungewiss, wie die Behandlung weitergehen soll.»

Mir fiel ein grosser Stein vom Herzen

In der Fachwelt sprach man von einem neuartigen Wirkstoff, der nicht mehr in die Vene, sondern vorsichtig unter die Haut gespritzt wird. Ein Wirkstoff, der vom Körper auch nicht abgestossen werde und bei dem nur eine einzige Injektion wöchentlich oder zweiwöchentlich nötig sei. «Der Wirkstoff war in der Schweiz noch nicht erhältlich. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit. Warten, hoffen. Und dann wurde das Medikament für ihn freigegeben. Keine Vene suchen, nur in den Oberschenkel spritzen, fertig. Wir verliessen das Kinderspital, ich passte auf wie ein «Häftlimacher», doch dann – die Medikamentengabe lag noch keine drei Stunden zurück – verletzte sich Luca beim Spielen an der Lippe. Ich erschrak, sah das Blut aus der Wunde laufen, doch es hörte von selbst auf. Es bildete sich auch kein blauer Pfropf. Schon am Abend sah man nichts mehr von der Verletzung. Das war so gewaltig. Das war so sensationell. Mir fiel ein grosser Stein vom Herzen. Luca hatte das Medikament erst wenige Stunden vorher bekommen, und die Blutung hörte einfach auf.»

Das war vor eineinhalb Jahren. Luca hat seither keine Hämatome, keine Gelenkseinblutungen und auch keine Schmerzen mehr. «Das ist unglaublich, aber wahr. Luca kann endlich der Bub sein, der er eigentlich ist. Wir sind alle sehr glücklich.»

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