Warum sprechen alle nur von der „Work-Life-Balance“, wenn sich wieder ein Topshot das Leben nimmt? Ein Appell für mehr Mut, die wahren Gefühle zu zeigen. Die Liste der Topmanager, die sich das Leben genommen haben, wird immer länger. Ricola-Chef Adrian Kohler, Swisscom-CEO Carsten Schloter, Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier sind nur die bekanntesten Beispiele. Was ist der Grund, dass Menschen in Spitzenpositionen in einen solchen Notzustand geraten, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen als sich umzubringen?
Erklärungen wie übermässiger Stress oder fehlende Work-Life-Balance greifen zu kurz. Nehmen wir es vorweg: Es ist die archaische, leider immer noch tief verwurzelte Vorstellung vieler Männer, alles beherrschen zu müssen, sich selber auch. Schon die Begriffe „Herr“, „herrschen“ und „beherrschen“ sagen alles aus. Carsten Schloter sei extrem „beherrscht“ gewesen, sagt ein enger Vertrauter, obwohl es nach der Reorganisation in ihm gebrodelt habe wie in einem Vulkan. Anstatt seine Emotionen zu thematisieren oder ihnen sogar freien Lauf zu lassen, versuchte er, sie zu „beherrschen“, indem er auch in seiner Freizeit dieselbe „Selbstbeherrschung“ an den Tag legte wie im Beruf. Der Spitzensport in seiner raren Freizeit, der an pure Selbstquälerei grenzte, hatte keine andere Aufgabe, als die unterdrückten Emotionen in Schach zu halten. Zugeben, dass er unglücklich war und die Konsequenzen daraus ziehen, das lag für ihn nicht drin.
Auch Pierre Wauthier litt zunehmend unter einer schwierigen Situation. Für ihn sei es unmöglich gewesen, mit dem Machtmenschen Ackermann zusammenzuarbeiten, verlautete nach seinem Suizid. Auch er getraute sich nicht, Groll und Resignation zu thematisieren, sondern bewahrte Haltung bis zum bitteren Ende. Auch er hinterliess, wie Schloter, Frau und minderjährige Kinder.
Reichen Willen und Selbstdisziplin in Beruf und Familie und exzessiver Sport aus, um den überhöhten Anforderungen an Menschen in Führungspositionen zu genügen? Nein und nochmals Nein. Eine solche Haltung ist im Gegenteil ein Alarmsignal. In Leitbildern und Reden betonen Topmanager unermüdlich, wie sehr der Mensch im Mittelpunkt des ganzen Unternehmens stehe und wie wichtig Freiräume und Innovation seien. In der Praxis passiert meistens das Gegenteil.
Wenn die berufliche Reputation zum Mass aller Dinge wird und wer sich ganz an eine Firma verschreibt, wird verwundbar. Ein Unternehmensberater formulierte es so: Das edelste Ziel der Führung sei sich selber abzuschaffen, indem sie das Unternehmen zur Selbstführung befähige. Denn Zeitreichtum sei der einzig wahre Reichtum.
Wie stark sich ein Manager für Heldeninszenierungen hergibt ist seine individuelle Entscheidung. Wie lange er sich der Selbstdisziplinierung oder sogar Selbstquälerei hingibt, auch. Die bessere Alternative wäre, zu seinen Emotionen zu stehen und halt auch einmal einer unhaltbaren Situation davonzulaufen. Geld verdient hat jeder von ihnen genug, um sich nicht alles antun zu müssen. Die Mitarbeiter und vor allem die Familien werden dafür sicher Verständnis haben, oder sogar dankbar sein.