Sind sich die Leute bewusst, wie gefährlich erhöhte Cholesterinwerte sind?
Ich kenne dazu keine verlässlichen Daten, denke aber, dass die meisten wissen, dass zu viel Cholesterin schlecht ist. Welcher Wert ideal wäre, weiss wohl kaum jemand, im Gegensatz zum Blutdruck.
Machen die Betroffenen die Therapie zuverlässig?
Bei allen präventiven Massnahmen wie Blutdrucksenkung und Blutzuckerkontrolle, ist auch bei der Lipidsenkung die Therapietreue von Patienten suboptimal. In der Tat haben zahlreiche Untersuchungen in Europa und der Schweiz gezeigt, dass die wenigsten Patienten die empfohlenen Zielwerte für das LDL-Cholesterin erreichen. Das ist aber der bedeutendste Driver der Gefässverkalkung oder Arteriosklerose, die dem Herztod zugrunde liegt. Beunruhigend ist, dass in der Schweiz sogar nach einem Herzinfarkt nur ein Viertel aller Patienten den Zielwert von LDL-C <1.8mmol/l erreicht. Das führt zu unnötigen Hospitalisationen, Eingriffen, vermeidbaren Todesfällen und Kosten.
Statine waren bis vor Kurzem die Medikamente der ersten Wahl. Was hat sich geändert?
Die Statine bleiben die erste Wahl, weil sie enorm wirksam und nun als Generika auch kostengünstig sind. Werden die Zielwerte nicht erreicht, wird ein Hemmer der Cholesterinaufnahme im Darm, Ezetimib, dazugegeben. Neu ist Bempedoinsäure verfügbar, die ebenfalls wie die Statine den Cholesterinstoffwechsel in der Leber hemmt und sehr gut verträglich ist. Insbesondere treten Muskelschmerzen, die häufigste Nebenwirkung der Statine, mit diesem Medikament nicht auf. Bempedoinsäure gibt es auch als Kombination mit Ezetimib, was die Einnahme vereinfacht. Schliesslich wurden neu Medikamente entwickelt, die das in der Leber gebildete Eiweiss PCSK9 hemmen und zusätzlich zu Statinen eine markante Senkung des LDL-C bewirken. Sie werden aus Kostengründen vor allem bei Hochrisikopatienten verwendet, die den Zielwert von <1,8 mmol/l LDL-C mit Statinen nicht erreichen.
Sind die neuen Medikamente nebenwirkungsärmer?
Ja, das sind sie. Bempedoinsäure zum Beispiel hat fast keine Nebenwirkungen, ist aber bei hohen Harnsäurewerten oder Gicht nicht geeignet. Die PCSK9-Hemmer sind praktisch nebenwirkungsfrei, da sie sich als monoklonale Antikörper nur an das PCSK9-Eiweiss binden und es so deaktivieren. Als einzige Nebenwirkung wurde von Beschwerden an der Einstichstelle berichtet. Das Medikament muss ein- bis zweimal im Monat in die Unterhaut gespritzt werden.
Wie funktionieren die Cholesterinsenker der neuen Generation?
Besonders interessant ist die Tatsache, dass Bempedoinsäure nur im Herzen und nicht in den peripheren Muskeln aktiviert wird. Es ist daher besonders bei Statin-Intoleranz geeignet. Die PCSK9-Hemmer binden an das Eiweiss, das in den Leberzellen gebildet wird. Nach seiner Freisetzung bindet es sich an die LDL-Rezeptoren. Wenn sich diese therapeutischen Antikörper an das PCSK9 binden, werden weniger LDL-Rezeptoren abgebaut, und damit stehen mehr LDL-Rezeptoren zur Aufnahme und Entsorgung von LDL-C aus dem Blut zur Verfügung – der LDL-C-Blutspiegel sinkt markant.
Ab welchem Alter sollte man das Cholesterin untersuchen lassen und in welchem Abstand?
Meine Empfehlung: im jungen Erwachsenenalter zusammen mit dem Lipoprotein (a).
Sollte man bei Verdacht auf familiäre Hypercholesterinämie einen Gentest machen lassen?
Kann man, allerdings sollte als Erstes das LDL-C und Lipoprotein (a) gemessen werden.
Wäre die Genschere CRISPR/Cas9 eine Möglichkeit, die Genmutation auszuschalten?
In der Tat haben Menschen, meist Afroamerikaner, eine sogenannte Missense-Mutation von PCSK9, lebenslang tiefe LDL-C-Werte und eine 88-prozentige Reduktion von Herzinfarkt und Herztod und sind sonst völlig gesund. Dies ist ein Modell dafür, was zu erwarten ist, wenn man dieses Gen ausschalten würde. Das hat dazu geführt, dass nun die Genschere CRISPR/Cas9 dazu benützt wird, die Nukleinsäuresequenz des PCSK9-Gens so zu editieren, dass sich das Protein nicht mehr an den LDL-Rezeptor bindet. Bei Primaten konnte damit das LDL-C um rund 80 Prozent gesenkt werden. Eine klinische Studie bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie läuft im Moment.
Wie sehen Sie die Zukunft bei der Medikation der Cholesterinsenker?
Zunächst müssen wir besser nutzen, was wir haben und Patienten dazu bringen, ihre Medikamente regelmässig einzunehmen. Wir müssen mit modernen Mitteln wie Apps und Digital Tools versuchen, die Therapietreue zu verbessern und Ärzten klarmachen, dass die Zielwerte wirklich wichtig sind.
Falls CRISPR/Cas9 auch bei Patienten mit erhöhtem Cholesterin wirkt und sicher ist, wird dies einen enormen Effekt haben. Es handelt sich hier um einen «One-Shot-in-a-lifetime», also eine einmalige Therapie, die, wenn früh eingesetzt, die Arteriosklerose und damit den Herzinfarkt und frühen Herztod verhindern könnte. Zunächst wird dies wohl nur bei ausgeprägter Hypercholesterinämie eingesetzt werden und wohl auch teuer sein, aber mit der Zeit wird auch diese Therapie erschwinglich werden.