Diese Situation ist unwürdig

Spinale Muskelatrophie

Als ich vom neuen Medikament hörte, keimte das Gefühl von Sicherheit in mir auf. Das erste Medikament, das den fortschreitenden Verlauf der Spinalen Muskelatrophie beeinflusst. Es verspricht betroffenen Personen eine Stabilisation oder sogar eine Besserung des Krankheitsverlaufs.

Seltene, vererbbare Krankheit

Die Spinale Muskelatrophie gehört zu den seltenen und vererbbaren Krankheiten. Da ein bestimmtes Protein nur in geringen Mengen vom Körper hergestellt wird, sterben nach und nach die motorischen Neuronen ab. Diese Nervenzellen übertragen Impulse vom Gehirn zu den Muskeln. Die Impulsübermittlung bei den Betroffenen ist derart beeinträchtigt, dass die Muskelzellen wenig bis gar keine Bewegungsimpulse erhalten und schliesslich schrumpfen. Alle Betroffenen haben eine Muskelschwäche. Die Ausprägungen sind jedoch vielfältig und die Folgen sehr unterschiedlich. Es ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern.

Gute und weniger gute Tage

Ich habe im Verlauf der Jahre immer wieder gelernt, dass ich meine Krankheit mit all ihren Ecken und Kanten akzeptieren muss. Dass ich die guten und auch die weniger guten Tage, an denen meine Muskeln nicht so stark sein wollen wie mein Kopf, hinnehmen muss. Die schlechten Tage sind zum Glück selten, was mir ein relativ selbständiges Leben ermöglicht. Nicht nur durch meinen Rollstuhl, der mir viel Unabhängigkeit schenkt, sondern auch dank meinem zehnköpfigen Assistenzteam, das mich seit rund drei Jahren unterstützt. Sie helfen dort, wo es mir nicht möglich ist, alltägliche Dinge wie Kochen, Körperhygiene oder das An- und Ausziehen selbst zu verrichten.

Den Tag verbringe ich grösstenteils an der Universität Fribourg, wo ich den Master in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung absolviere. Hilfe erhalte ich dort von meinen Mitstudentinnen und -studenten, wenn es beispielsweise darum geht, mir den Laptop auf den Tisch zu stellen oder die Jacke auszuziehen. Die Studienrichtung gefällt mir wahnsinnig gut, denn ich bin überzeugt, dass eine sachorientierte und faktenbasierte Kommunikation das Denken der Menschen anregen und verändern kann.

Grosser Bedarf an Kommunikation und Aufklärung

Auch bei den medikamentösen Therapien zur Behandlung von Spinaler Muskelatrophie besteht ein grosser Bedarf an Kommunikation und Aufklärung. Über das Leben mit der Krankheit und die Therapien, die den Alltag der Betroffenen entscheidend beeinflussen können. Erfreulicherweise haben Kinder und Jugendliche seit Frühling 2018 Zugang zum neuen Medikament. Erwachsene jedoch nach wie vor nicht.

Die neue Therapie bedeutet für uns Betroffene Hoffnung. Leider kann sie sich schnell wieder in Luft auflösen, wenn die Kostenübernahme nicht für alle geregelt wird. Das führt dazu, dass nur ein kleiner Teil der Betroffenen ein Medikament erstattet bekommt und andere nicht. Eine Ungleichbehandlung, die unserem Gesundheitssystem nicht würdig ist.

In der Öffentlichkeit Bewusstsein schaffen

Wir müssen die Öffentlichkeit über unsere Bedürfnisse aufklären und auch auf die Probleme aufmerksam machen. Deshalb engagiere ich mich seit diesem Sommer in der Patientenorganisation SMA Schweiz und unterstütze deren Öffentlichkeitsarbeit. Wir vernetzen einerseits Betroffene und bieten ihnen eine Anlaufstelle bei Fragen, wollen andererseits aber auch in der Bevölkerung ein grösseres Bewusstsein für den erschwerten Zugang zu einer medikamentösen Behandlung schaffen. Wir wollen konstruktiv mit Behörden, der Pharmaindustrie, Spitälern und Krankenkassen zusammenarbeiten, um den baldigen Zugang zu Therapien für alle Betroffenen sicherzustellen. Denn durch die unterschiedlichen Ausprägungen von Spinaler Muskelatrophie bleibt vielen Betroffenen wenig Zeit, um auf eine Kostengutsprache zu warten. Jeder Tag bedeutet ein Risiko, Körperfunktionen zu verlieren, was einen enormen Einfluss auf das Leben im Alltag haben kann.

Meine Muskelkraft ist zurzeit stabil. Jedoch weiss ich nicht, wie meine Krankheit verlaufen wird. Der Zugang zu einer medikamentösen Therapie bedeutet für mich Sicherheit. Nämlich darin, dass ich das Medikament dann auch wirklich erhalte, wenn ich es dringend benötige.

Weitere Informationen bei der Patientenorganisation SMA Schweiz: www.sma-schweiz.ch