Durchschlafen ist keine Notwendigkeit

Hände weg von rezeptpflichtigen Schlafmitteln. Bei Schlafstörungen sollte man früh zum Arzt. Eine Lanze für den Mittagsschlaf. Prof. Dr. Arto Nirkko über Ursachen und Behandlungen von Schlaflosigkeit.

Schlafen Professor Nirkko

Schlafstörungen sind ein häufiges Problem. Sind wir ein Volk von Schlaflosen?

Ich würde das nicht so sagen. Viele Leute schlafen zu viel, andere zu wenig. Das ist von Person zu Person verschieden. Es gibt allerdings die Tendenz, dass die Leute heute vermehrt unter einem Schlafmanko leiden, weil sie am Schlaf sparen zugunsten der Freizeit und des Berufs.

Ist es ein Problem unserer Zeit?

Ein Problem unserer Zeit ist, dass das Schlafmanko von uns selbst verursacht wird. Vor dem elektrischen Licht konnte man nicht bis morgens um 2 Uhr fernsehen oder lesen oder am Computer spielen. Das Manko hat eindeutig zugenommen. Früher gab es sicher auch Störungen und Krankheiten des Schlafes. Damals konnte man sie nicht behandeln, wahrscheinlich hat man sie auch nicht diagnostiziert. Generell haben aber die selbstverursachten Schlafstörungen zugenommen.

Haben wir falsche Vorstellungen, wie Schlaf sein müsste?

Häufig ja. Neugeborene Babys beginnen mit zirka 15 Stunden Schlaf, wobei auch das variieren kann. Bei manchen sind es 20 Stunden, bei anderen 10. Je älter wir werden, desto mehr nimmt der Schlafbedarf ab. Bei 20-Jährigen liegt er vielleicht bei den bekannten 7 bis 8 Stunden durchschnittlich. Der Schlafbedarf ist individuell unterschiedlich. Es gibt auch Langschläfer, die nicht dem Durchschnitt entsprechen. Oder Kurzschläfer, die nur 5 bis 6 Stunden Schlaf brauchen. Bis zum Pensionsalter nimmt der Schlafbedarf nochmals 1 bis 2 Stunden ab. Im höheren Alter brauchen wir noch weniger Schlaf. Durchschlafen ist keine Notwendigkeit. Wichtig ist, so lange im Bett zu liegen, dass der individuelle Schlafbedarf gedeckt ist – nicht kürzer, aber auch nicht länger.

Was hat sich geändert gegenüber früher?

Der ganze Lebensstil hat sich geändert. Die nächtlichen Beschäftigungen mit allem Möglichen, der Unterschied zwischen der Arbeitswoche und dem Wochenende. Der Schlaf-Wach-Rhythmus bei der Schichtarbeit, von der viele Leute betroffen sind. Plötzlich muss man in der Nacht arbeiten und versuchen, am Tag zu schlafen. Das klappt nicht immer. Ein ähnliches Phänomen der heutigen Zeit ist der Jetlag. Wenn man mit dem Flugzeug in wenigen Stunden in völlig andere Zeitzonen fliegt, wirkt sich das auch auf den Schlaf-Wach-Rhythmus aus.

Wann spricht man von einer Schlafstörung?

Es gibt verschiedene Schlafstörungen. Schlaflosigkeit ist, wenn man nicht schlafen kann, wenn man will. Eine andere Störung ist die Tagesschläfrigkeit. Man schläft tagsüber ein, obwohl man wach bleiben möchte. Für beides gibt es viele Ursachen, die verschieden behandelt werden müssen.

Wann soll man zum Arzt?

Das hängt vom Leidensdruck des Patienten ab. Wenn man nur eine leichte Störung hat, zum Beispiel nur eine halbe Stunde vor dem Einschlafen wach liegt, kann man häufig über Jahre damit zurechtkommen. Bei einer starken Schlafstörung, bei der man gefühlt praktisch die ganze Nacht wach liegt und es keine Tendenz zur Besserung gibt, sollte man nach wenigen Wochen zum Arzt. Wenn man am Tag schläfrig ist, obwohl man in der Nacht genug geschlafen hat oder Autounfälle baut wegen der Tagesschläfrigkeit, ist eine Abklärung sicher angebracht.

Wie kommen Sie zur Diagnose?

Das hängt von der Situation ab. Wenn eine Frau nicht schlafen kann, weil der Mann schnarcht oder sogar Apnoen mit Atemstillständen hat und deshalb schläfrig ist, wird der Mann im Schlaflabor abgeklärt. Bei leichtgradiger Apnoe kann eine Kieferschiene, häufiger eine Atemmaske zur Behandlung eingesetzt werden. Wenn man die Maske nicht erträgt, gibt es neue hochtechnische Methoden, mit denen die Apnoen behandelt werden können. Bei anderen Schlafstörungen, zum Beispiel bei Schlaflosigkeit mit längerem Wachliegen während der Nacht, kommt ein armbanduhrartiger Bewegungssensor, der Mikrobewegungen aufzeichnet, zum Einsatz. Damit kann man mehrere Wochen lang den Schlaf-Wach-Rhythmus messen.

Hilft ein Power Nap tagsüber?

Für die einen ist er nützlich, für andere Gift. Den Power Nap soll man machen, wenn man in der Nacht zu wenig geschlafen hat, um den Tag zu überdauern. Er hat eine gute, erholsame Wirkung, wenn er nur 20 Minuten dauert. Power Napping hilft, den Schlafbedarf in der Nacht zu reduzieren, sei es, weil man durch Apnoen nicht in den Tiefschlaf kommt oder wegen einer anderen Erkrankung. Schädlich ist der Power Nap häufig für Personen, die in der Nacht nicht schlafen können. Mit dem kurzen Tagesschlaf wird der Schlafbedarf in der Nacht noch geringer und dadurch die Schlafstörung noch schlimmer.

Was sollte man vermeiden?

Ein häufiger Fehler ist, nichts zu machen oder sich bei Schlaflosigkeit jahrelang mit Schlafmitteln durchzuseuchen. Schlafmittel helfen nicht langfristig. Sie helfen eine paar Tage wunderbar. Nach fünf bis sechs Wochen verlieren sie ihre Wirkung. Dann schläft man mit Schlafmitteln weniger als vorher ohne Schlafmittel. Die Gewöhnung an das Medikament ist fatal. Setzt man es ab, schläft man überhaupt nicht mehr. Wenn man es schafft, vom Schlafmittel langsam wegzukommen, schläft man wieder so viel wie vorher.

Also Hände weg von Medikamenten?

Bei Schlaflosigkeit sind Medikamente meist nicht geeignet, hierfür gibt es verschiedene Therapien. Bei anderen Störungen des Schlafs kommen aber Medikamente durchaus erfolgreich zum Einsatz, wie zum Beispiel bei schmerzenden, störenden oder unruhigen Beinen. Hier braucht es aber nicht Schlafmittel, sondern ganz andere Medikamente, die dann sehr gut und meist auch langfristig wirken. Bei weiteren Störungen wie der Schlafapnoe sind wiederum weder Medikamente noch Therapien hilfreich, sondern Geräte. Es gilt also herauszufinden, was die Ursache der Schlafstörung ist, damit man die richtige Behandlung wählen kann. Genau hierfür gibt es spezialisierte Zentren für Schlafmedizin, die bei Bedarf auch über ein Schlaflabor verfügen.

Weitere Infos

Schlafmedizin Zentralschweiz
Neurozentrum Luzern
Falkengasse 3, 6004 Luzern

Telefon +41 41 410 08 18

www.neurozentrumluzern.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 18.11.2021.

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