Eine Krankheit verliert ihren Schrecken

Wird die rheumatoide Arthritis eines Tages sogar heilbar? Chefarzt Dr. Andreas Thueler hält das bei rascher Diagnose und sofortiger Therapie für möglich.

Röntgenaufnahme von durch Rheumatoide Arthritis zerstörten Gelenken.

Die rheumatoide Arthritis war einst ein Schreckgespenst. Die verkrüppelten Hände sah man den Betroffenen schon von Weitem an. Wie ist das heute?

Wir haben seit rund zwanzig Jahren sehr potente Medikamente, mit denen wir bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen die Erkrankung weitgehend zum Stillstand bringen können. Wichtig ist, die Erkrankung so früh wie möglich zu erkennen und effizient zu behandeln.

Wie viele Menschen sind davon betroffen?

Die rheumatoide Arthritis ist die häufigste chronisch entzündliche Gelenkerkrankung. Es handelt sich um eine Autoimmunkrankheit. Das eigentlich zu unserem Schutz angelegte Immunsystem greift Strukturen des eigenen Körpers an und zerstört sie durch die Entzündung. Eine von 100 Personen in der Bevölkerung ist davon betroffen. In der Schweiz sind es um die 80 000 Erkrankte, dreimal mehr Frauen als Männer. Die rheumatoide Arthritis kann prinzipiell in jedem Alter beginnen. Am häufigsten zeigen sich die ersten Beschwerden zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Auch in der Kindheit und im Jugendalter gibt es Formen von autoimmuner Arthritis.

Bei welchen Symptomen sollte man an ­rheumatoide Arthritis denken?

Typisch sind symmetrische Schwellungen der Finger- und Handgelenke mit Überwärmung, aber kaum je Rötung. Dazu kommen oft Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Nachtschweiss und seltener Gewichtsabnahme. Auch alle anderen Gelenke können betroffen sein, auch Gelenke, an die man selten denkt wie die Kiefergelenke oder die Wirbelgelenke sowie Sehnenscheiden und Schleimbeutel.

Dr. med. Andreas Thueler, Chef Rehabilitation und Rheumatologie, Kantonsspital Baden

Meistens sind die Schmerzen in Ruhe schlimmer als in Bewegung. Typisch ist morgendliche Steifigkeit der Finger von mehr als einer Stunde. Oft kommt es auch zu erheblicher Trockenheit der Augen, aller Schleimhäute und der Haut. Wenn die Erkrankung fortschreitet, können viele weitere Symptome hinzukommen: Fieber, Muskelschmerzen, Hautveränderungen, zum Beispiel typische Rheuma-Knötchen an Unterarmen und Ellbogen, entzündliche Veränderungen an inneren Organen wie Lunge, Herz, Leber, Niere, Nervensystem und viele andere mehr.

Wie schnell muss man bei solchen Symptomen reagieren und zu welchem Arzt geht man am besten?

Sobald Gelenkschwellungen auftreten, muss man so rasch wie nur möglich eine Abklärung machen. Anerkanntes Ziel ist heute, dass Erkrankte innert maximal drei bis sechs Monaten diagnostiziert und effizient behandelt werden. Je früher die Behandlung einsetzt, umso grösser sind die Chancen, dass die Therapie erfolgreich ist. Es besteht schon Hoffnung, dass bei einzelnen Personen sogar eine Heilung möglich ist. Allerdings muss die Mehrheit der Betroffenen mit einer langwierigen Erkrankung rechnen.

Leider beginnt die rheumatoide Arthritis nicht immer typisch. Zum Teil können über Jahre nur unspezifische Allgemeinsymptome auftreten wie Muskel- und Gelenkschmerzen ohne Schwellungen, Müdigkeit, Trockenheit von Augen und Schleimhäuten etc. Das macht es sehr schwierig, eine frühe Diagnose zu stellen. Wenn solche Symptome bei Patienten auftreten, die Geschwister oder Elternteile mit einer Rheumatoiden Arthritis haben, sollte auch ohne typische Gelenkschwellungen eine Abklärung erfolgen. Spezialisten der Rheumatologie kennen sich mit den Möglichkeiten der modernen Diagnostik am besten aus.

Wie sieht eine wirksame Behandlung von ­rheumatoider Arthritis heute aus?

Sie ist sehr individuell. Bei sehr milden Formen genügt oft ein entzündungshemmendes Schmerzmittel. Die meisten Betroffenen benötigen aber stärkere Medikamente. Damit möglichst rasch die Entzündung bekämpft werden kann, setzt man zu Beginn Cortison ein. Das Medikament wirkt schnell und zuverlässig. Wegen der potentiellen Nebenwirkungen sollte es aber nur einige Wochen oder höchstens wenige Monate in der niedrigsten gerade noch wirksamen Dosierung verwendet werden. Gleichzeitig wird mit der Basistherapie begonnen. Diese Medikamente wirken sehr langsam. Ein Effekt ist in der Regel erst nach sechs bis acht Wochen zu erwarten. Es wird unterschieden zwischen den synthetischen und den biologischen Basistherapeutika und den neuesten Medikamenten, den «Small Molecules». Synthetische Basistherapeutika sind seit über 50 Jahren bekannt. Der wichtigste Vertreter ist Methotrexat. Es ist gut wirksam und mit rund 2000 Franken pro Jahr relativ kostengünstig. Die biologischen Basistherapeutika und die «Small Molecules» kosten 10- bis 15-mal mehr.

Wirken synthetische Therapeutika zu wenig, werden Medikamente kombiniert, ergänzt oder ersetzt mit biologischen Basistherapeutika oder «Small Molecules». Es gibt keine Tests, welches Medikament bei welcher Person wirkt. Das bedeutet, dass es gelegentlich viele Monate gehen kann, bis die richtige Medikation gefunden wird.

Vor Methotrexat schrecken viele Patienten zurück, sogar Ärzte. Zu Unrecht?

Methotrexat wird auch in der Krebstherapie verwendet, und zwar intravenös und in höheren Dosen. In der Rheumatologie werden sehr kleine Mengen einmal pro Woche entweder als Tabletten oder als Injektionen unter die Haut verabreicht. Diese kleinen Mengen werden in der Regel sehr gut toleriert. Um allfälligen Nebenwirkungen vorzubeugen, kann man einen Tag nach der Verabreichung von Methotrexat das Gegenmittel geben: Folsäure, ein Vitamin. Was etwas widersprüchlich klingt, funktioniert bei den meisten Patien­ten jedoch bestens. Um grösstmögliche Sicherheit in der Anwendung zu gewährleisten, werden alle drei Monate Blutanalysen gemacht. Patienten, die mit Methotrexat behandelt werden, sollten regelmässig von Ärzten mit entsprechenden Fachkenntnissen betreut werden.

Es gibt Tabletten und Spritzen. Was ist am besten?

Wird Methotrexat geschluckt, kommt es via Darm zuerst in die Leber, wo oft der grösste Teil bereits wieder ausgeschieden wird, bevor es wirken kann. Deshalb bevorzugen die meisten Rheumatologen die Abgabe durch Spritzen einmal pro Woche. Es gibt einfache Spritzen für unter die Haut, welche die Patienten sich selber verabreichen können.

Kann sich eine rheumatoide Arthritis auch auswachsen oder ist sie sogar heilbar?

Die Erkrankung verläuft schubweise. Sie kann über Wochen ruhig sein und dann wieder sehr aktiv werden. Nach Jahrzehnten der Erkrankung kann man oft beobachten, dass die ruhigen Phasen länger und die aktiven Phasen weniger heftig werden. Von einer Heilung konnte man bisher nicht sprechen. Heute allerdings wird spekuliert, dass bei rascher Diagnose und schneller erfolgreicher Behandlung die rheumatoide Arthritis vielleicht doch geheilt werden kann. Ob diese Hoffnung berechtigt ist, wird sich erst in den nächsten Jahrzehnten zeigen. Sicher ist: Eine rasche Diagnose und Behandlung wirken sich in jedem Fall positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 07.02.2019.

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