Eine Million Grippe-Erkrankungen

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Wie heftig verlief im Rückblick die letzte ­Grippesaison?

Jede Grippewelle ist einzigartig im Hinblick auf Intensität, Dauer, die zirkulierenden Virenstämme und die Auswirkungen, die sie auf die öffentliche Gesundheit hat. Die Grippesaison 2017/18 in der Schweiz war vor allem in einer Hinsicht speziell: Die Epidemie dauerte ungewöhnlich lange. Die Grippewelle begann in der Woche 51/2017 und hielt an bis zur Woche 13/2018. Das sind 15 Wochen – ein überdurchschnittlich langer Zeitraum.

Im Schnitt dauerten die in der Schweiz verzeichneten Epidemien der letzten zehn Saisons 10,5 Wochen. Hochgerechnet haben wegen der Grippe in der Saison 2017/18 rund 4 Prozent der Schweizer Bevölkerung – das sind rund 330 700 Personen – einen Arzt konsultiert. Bedenkt man, dass längst nicht alle Betroffenen zum Arzt gehen, muss man von mindestens einer Million Grippe-Erkrankten ausgehen. Das ist eine enorme Zahl.

Woran lag das?

Es gibt sehr viele Faktoren, welche die Grippewelle beeinflussen. Da ist einmal der Virustyp, der sich fast jährlich ändert, die klimatischen Bedingungen, das Verhalten und die Zusammensetzung der Bevölkerung, die Wohn- und Arbeitsbedingungen usw. Ein ganz wichtiger Faktor ist aber auch die Immunlage der Bevölkerung. Das ist ein Umstand, den wir nicht messen können.

Die Immunlage hängt davon ab, wie und welche Grippeviren in der Vergangenheit zirkulierten und welche Abwehrstoffe die Bevölkerung dagegen aufbauen konnte. All diese Faktoren machen es praktisch unmöglich, auch im Nachhinein die Gründe für eine starke oder schwache Grippewelle zu eruieren.

Hätte man das verhindern können, wenn sich mehr Menschen impfen lassen hätten?

Um die Höhe oder Dauer einer Grippewelle zu reduzieren, müsste sich ein grosser Teil der Bevölkerung impfen lassen, inklusive der Kinder. Eine solche generelle Impfempfehlung für die gesamte Bevölkerung kennen wir aber in der Schweiz nicht oder noch nicht.

Wie lauten denn die Empfehlungen?

Das Hauptziel der Impfempfehlungen ist, Menschen mit einem erhöhten Grippekomplikationsrisiko möglichst gut vor solchen Komplikationen, Krankenhauseinweisungen und Todesfällen zu schützen. Da die Grippeimpfung aber gerade diese Menschen nur mäs­sig gut schützt, wird die Impfung auch allen Kontaktpersonen empfohlen. Dadurch kann das Ansteckungsrisiko vermindert werden.

Ist es wirklich sinnvoll, nur die Risikogruppen zu impfen anstatt die ganze Bevölkerung, wenn man an die enormen gesundheitlichen und finanziellen Folgen von solch massiven Grippe-Epidemien denkt?

Unser Ziel ist es, dass sich von Jahr zu Jahr mehr Personen in der Schweiz impfen lassen.

Wie soll das erreicht werden? Und wie wollen Sie der Skepsis in der Bevölkerung zur Grippe­impfung begegnen?

Das BAG unterstützt Initiativen für einen vereinfachten Zugang zur Impfung – zum Beispiel den Nationalen Grippeimpftag, der dieses Jahr am Freitag, 9. November, stattfindet. Der Nationale Grippeimpftag ist eine Ini­tiative des Kollegiums für Hausarztmedizin, unterstützt vom Bundesamt für Gesundheit. Er findet 2018 zum 15. Mal statt und wird erstmals unter dem Patronat der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH sowie in Kooperation mit dem Schweizerischen Apothekerverband durchgeführt. Die Bevölkerung kann sich an diesem Tag in einer der teilnehmenden Arztpraxen und Apotheken auch spontan zu einem empfohlenen Pauschalpreis von 30 Franken gegen Grippe impfen lassen. Mit diesem kombinierten Angebot sollen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, für welche die Impfung empfohlen wird, optimal erreicht werden.

Auf der Website www.impfengegengrippe.ch können alle Interessierten mit dem Online-Grippeimpfcheck testen, ob für sie die Impfung gegen die saisonale Grippe empfohlen wird. Auf der gleichen Webseite steht für Personen mit erhöhtem Komplikationsrisiko und für deren Kontaktpersonen – sowohl im Privatleben als auch im Beruf – neues Informationsmaterial zur Verfügung. Es beschreibt die Vorteile, aber auch die Grenzen der Grippeimpfung. Dieses Wissen soll motivieren, sich mit einer Impfung vor der Grippe zu schützen.

Es gibt einen neuen Vierfach-Impfstoff, der schon bei Kindern ab sechs Monaten eingesetzt werden kann. Wann ist es sinnvoll, auch Säuglinge und Kleinkinder zu impfen?

Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt die Impfung mit Dreifach- oder Vierfachimpfstoffen für diejenigen Säuglinge und Kinder, die aufgrund einer Erkrankung oder Immunschwäche ein erhöhtes Grippe-Komplikationsrisiko haben.

Was macht das BAG, um die niedrigen Impfraten beim Spital- und Heimpersonal zu verbessern?

Das BAG stellt den Gesundheitsfachpersonen jedes Jahr aktualisiertes Informations- und Promotionsmaterial bezüglich Impfung und Prävention der Grippe zur Verfügung. Weiter ermöglicht das BAG im Rahmen der nationalen Strategie zur Prävention der saisonalen Grippe in Zusammenarbeit mit Public Health Schweiz eine Austausch-Plattform zur Grippeprävention für die Gesundheitsinstitutionen. Sie hat zum Ziel, den Zugang zu Best Practices, Erfahrungen zur Optimierung der Grippeprävention und die Impfung des Personals zu fördern.

Lassen Sie sich selber gegen die Grippe impfen? Wann ja, weshalb?

Selbstverständlich lasse ich mich bereits seit Jahren gegen die Grippe impfen. Dazu habe ich zwei gute Gründe: Erstens will ich keine ältere oder verwundbare Person mit der Grippe anstecken, ich gehöre zur Gruppe der Kontaktpersonen wie fast alle Einwohner der Schweiz. Zweitens kann ich es mir nicht leisten, während der Grippesaison krank zu sein und die Mitarbeiter zusätzlich mit meiner Arbeit zu belasten.

Was ist für die nächste Grippesaison zu erwarten?

Mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln lässt sich keine Prognose bezüglich Stärke oder Art der kommenden Grippewelle machen. Das einzige, was wir mit grösster Wahrscheinlichkeit zu wissen glauben: In unseren Breitengraden gibt es jeden Winter eine Grippe-Epidemie.

Daniel Koch, Leiter Abteilung Übertragbare Krankheiten, BAG