Es war kein Ende des Leidens in Sicht

Ein Schub nach dem anderen, elende Schmerzen, 140 Kilo, bettlägerig. Schlimmer kann MS kaum sein. Dann schaffte Simón Winistörfer, 32, aus Zürich die grosse Wende.

MS

Im Jahr 2011 war ich kurz vor dem Abschluss der Hotelfachschule in Luzern. Ich freute mich schon auf die Zeit danach. Ich war voller Energie und Ideen für die Berufswelt. Doch dann kam alles anders. Inmitten der Vorbereitung zur Abschlussprüfung des vorletzten Semesters bemerkte ich plötzlich ein Kribbeln und ein Taubheitsgefühl in meinem linken Daumen. Ich hatte damals keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen und ignorierte die Symptome. Das Kribbeln breitete sich aber langsam richtig Ellenbogen aus und wurde immer intensiver. Als dann auch noch meine linke Bauchdecke zu kribbeln anfing und ich taube Stellen bekam, ging ich zum Arzt. Ich wurde direkt zur Neurologin geschickt. Sie stellte mir nach diversen Untersuchungen die Diagnose Multiple Sklerose und ging dann in den Urlaub.

Mässiger Erfolg und starke Nebenwirkungen

Das war ein Schock! Ich machte mir ernsthafte Gedanken über meine Zukunft und fiel in ein grosses Loch. Zudem wurde mein Schub immer schlimmer, und es war nicht daran zu denken, das Studium zu beenden. Zurück in Zürich begann ich mit der ersten Therapie gegen meine MS. Ich spritzte mir über ein Jahr lang ein Medikament – mit mässigem Erfolg und starken Nebenwirkungen. Die Krankheit war immer noch hochaktiv, zudem litt ich wegen der Spritzen an einem dauernden, grippeähnlichen Zustand mit starken Gliederschmerzen. In dieser Phase versuchte ich die Krankheit zu ignorieren und mich auf die Arbeit und meine Freunde zu konzentrieren. Leider liess der aktive Verlauf das nicht lange zu. Die starken Nebenwirkungen, bedingt durch die vielen Therapiewechsel, blieben zum Teil auch nach dem Absetzen. Dies und die hochaktive MS verschlechterte meinen Zustand massiv.

MS war aktiver als je zuvor

Nach der ersten Eskalationstherapie 2015 war es mir dann nicht mehr möglich zu arbeiten. Die Therapie bewirkte bei mir das Gegenteil von dem, was erhofft wurde. Meine MS war aktiver als je zuvor. Ich hatte massive Entzündungen im Hirngewebe und im Rückenmark sowie starke Begleiterscheinungen. Ich war ans Bett gebunden und hatte extreme Schmerzen. Mein Sehvermögen war stark beeinträchtigt, da meine Sehnerven immer wieder entzündet waren. Das waren Momente der puren Verzweiflung. Und kein Ende in Sicht!

Es folgte ein Schub nach dem anderen. Selbst die Cortison-Therapien hatten keine Wirkung mehr auf die Entzündungen. Nicht nur die körperlichen, auch die kognitiven Ausfälle machten mir grosse Mühe. Ich vegetierte nur noch im Bett vor mich hin. Gegen die Symptome der MS wie Nervenschmerzen, Schlafstörungen, Depression, Panikattacken, Fatigue usw. nahm ich zahlreiche Medikamente. Anfangs schätzte ich die dämpfende Wirkung, irgendwann aber nicht mehr. Ich war dauernd benebelt und nicht mehr ich selbst. Ich nahm stark zu, auch eine Nebenwirkung der Medikamente. Am Schluss wog ich 140 Kilo.

Alle sechs Monate eine Infusion

Mein behandelnder Arzt im Neurozentrum Bellevue in Zürich, Prof. Adam Czaplinski, schickte mich für eine Zweitmeinung nach Dresden. Meine Mutter begleitete mich. Alleine zu reisen war zu jener Zeit unmöglich. Nach kurzer Gehstrecke hatte ich bereits starke Schmerzen und verspürte eine extreme Müdigkeit. Nach der Besprechung mit den beiden Ärzten wurde ich auf eine neue Therapie eingestellt. Von da an bekam ich alle sechs Monate eine Infusion.

Neue Therapie schlug an

Als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, schlug die neue Therapie an. Ich hatte zwar immer noch Schmerzen und litt an Erschöpfung. Ich konnte mich aber auf eine Situation einstellen, die sich nicht ständig verschlechterte. Das Abheilen der Entzündungen war für mich ein Segen. Mir ging es immer noch schlecht, doch mein Zustand war nun stabiler. Dank den halbjährlichen Infusionen hatte ich wieder Energie und konnte mich intensiver mit anderen Therapieformen und Behandlungsmethoden gegen MS, wie zum Beispiel Diäten, auseinandersetzen. Um auf alles einzugehen, müsste ich ein Buch schreiben. Die Ernährungsumstellung, die Darmflora-Umbesiedelung sowie der Einsatz von Cannabis waren Methoden, die mir neben der Infusionstherapie wieder eine bessere Lebensqualität gaben.

Ernährung umgestellt

Seit zwei Jahren esse ich keinen zugesetzten Zucker und keine industriell verarbeiteten Lebensmittel mehr. Alles frisch, saisonal und möglichst lokal. Die Ernährung habe ich zugunsten meiner MS umgestellt. Zudem hat die Darmflora positiv auf die Veränderung reagiert. Durch eiserne Disziplin und die strikte Ernährung habe ich in 16 Monaten 60 Kilo abgenommen. Meine MS-Symptome haben sich verringert. Durch meine akribische Recherche habe ich meinen eigenen Weg gefunden, um die MS zu bekämpfen.

Wieder gute Lebensqualität

Diesen Sommer hatte ich zwar wieder einen kleinen Schub, der mich ein wenig zurückwarf. Trotzdem konnte ich mich ins Leben zurückkämpfen. Nicht in das ursprünglich geplante, aber ich habe wieder eine gute Lebensqualität. Ich arbeite 20 Prozent, mache möglichst regelmässig Sport und engagiere mich ehrenamtlich in einem Verein, der sich für Cannabis in der Medizin einsetzt. Das war lange Zeit undenkbar.

Die Diagnose Multiple Sklerose ist ein Schock. Es lohnt sich aber, nie aufzugeben und weiterzukämpfen, auch wenn es manchmal hoffnungslos scheint.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 16.01.2020.

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