Fleischlose Ernährung

Fleisch roh

Fleisch oder kein Fleisch – das ist hier die Frage. Vor- und Nachteile des Vegetarismus. Fleisch war lange ein Privileg der Reichen. Je höher das Einkommen, desto mehr konsumierten die Menschen Fleisch. Heute ist das anders. Die wohlhabenden Bevölkerungsschichten essen deutlich weniger Fleisch als Menschen mit geringem Einkommen. Bei Frauen ist dieser Trend noch stärker als bei Männern. Gar kein Fleisch essen je nach Untersuchung zwei bis drei Prozent der Bevölkerung. Bei den Mädchen im Alter zwischen 15 bis 18 Jahren beläuft sich der Anteil der Fleischverachter auf rund einen Drittel. Stark im Trend sind die Teilzeitvegetarier. 40 Prozent der Befragten geben gemäss einer neuen Studie an, regelmässig bewusst kein Fleisch zu essen.

Schaut man den Fleischkonsum der Gesamtbevölkerung an, nimmt er hingegen immer noch zu. Im Schnitt konsumierte jeder Einwohner in der Schweiz im Jahr 2011 rund 54 Kilo Fleisch. Zulegen konnte vor allem das Geflügelfleisch, das sich erstmal vor dem Rindfleisch positionieren konnte.

Woran liegt die Skepsis gegenüber Fleisch? Einmal werden gesundheitliche Argumente ins Feld geführt. Fleisch enthält viel verstecktes und vor allem ungesundes Fett, so wenigstens die landläufige Meinung, fördere Übergewicht und das Risiko für Herzkreislauferkrankungen. Aus ökologischer Sicht erscheint vielen die Fleischproduktion verschwenderisch, weil die Mast der Tiere das Brot der Armen und deren knappen Wasserressourcen vernichte. Schliesslich sind es ethische Gründe gegenüber der Kreatur Tier.

Was ist von diesen Diskussionen zu halten? Soll man nun Fleisch essen oder nicht? Tatsache ist: Aus entwicklungsgeschichtlicher und biologischer Sicht ist der Mensch ein Allesesser. Weder eine rein vegetarische noch eine rein tierische Ernährung hatten für den Menschen einen arterhaltenden oder artfördernden Auslesewert. Aus archäologischen Funden sowie aus Untersuchungen an heute noch lebenden Jäger- und Sammlerkulturen lässt sich die Zusammensetzung einer Sammler- und Jägerkost ziemlich genau ableiten. Die tägliche Proteinzufuhr betrug oder beträgt bei diesen Menschen bis zu 250 Gramm, davon 190 Gramm aus tierischen Quellen. Auch wenn man berücksichtigt, dass das Nahrungsangebot in solchen Kulturen grossen Schwankungen unterlag und für die Beschaffung der Lebensmittel eine hohe körperliche Aktivität erforderlich war, erscheint diese Eiweisszufuhr aus heutiger Sicht als sehr hoch. Klar ist jedoch: Fleisch ist seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Ernährung.

«Fleisch liefert wertvolle Nährstoffe», sagt der bekannte Ernährungsexperte Privatdozent Dr. med. David Fäh. «Eine ausreichende Versorgung mit Fleisch liefert dem Körper hochwertige Eiweisse sowie Spurenelemente und Vitamine.» Eiweiss, Eisen, Zink, Selen sowie Vitamine der B-Gruppe in gut verfügbarer Form machen Fleisch für Aufbau und Erhalt des menschlichen Körpers besonders wichtig. Ausserdem verbessert Fleisch die Aufnahme von Nährstoffen aus pflanzlicher Kost. Eisen und Zink aus pflanzlichen Lebensmitten werden besser verwertet, wenn sie in Kombination mit Fleisch gegessen werden.

Für den Aufbau und Erhalt der Muskeln und der Funktionstüchtigkeit der Enzyme benötigt der Mensch Protein. Fleisch ist ein sehr guter Proteinlieferant, denn es enthält alle essentiellen Aminosäuren im richtigen Verhältnis und hat so eine hohe biologische Wertigkeit. Der Fettgehalt von Fleisch ist niedriger als häufig angenommen. 100 Gramm Schweinefilet zum Beispiel liefern nur zwei Gramm Fett und sind damit sogar absolut diättauglich.

«Bei bestimmten Personengruppen kann Fleisch als fester Bestandteil einer an Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und Faserstoffen reichen Ernährung sinnvoll sein», sagt Dr. Fäh. Beispielsweise für Heranwachsende, Schwangere, Stillende, Sportler und Senioren. Nebst drei Portionen Milch und Milchprodukten wird pro Tag eine zusätzliche Portion eines eiweissreichen Lebensmittels empfohlen. Gemeint sind damit Fleisch, Geflügel, Fisch, Eier oder Tofu. Zwischen ihnen soll möglichst abgewechselt werden. Auch bei den Fleischsorten ist Abwechslung angesagt.

Fleisch enthält viel leicht aufnehmbares Eisen. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb die meisten Eltern ab dem fünften Monat dem Brei Fleisch beimengen. Denn nur bis etwa zum fünften Monat leben die Säuglinge von den Eisenvorräten ihres Körpers. Danach müssen sie Eisen mit der Nahrung aufnehmen. Neben Eisen liefert Fleisch dem Kleinkind auch andere wichtige Stoffe wie Zink, Vitamin B12 und natürlich Eiweiss. Eltern, die ihr Kind fleischlos ernähren, brauchen viel Wissen, damit es keine Mangelerscheinungen bekommt.

Bei Schulkindern und Jugendlichen zeigen grosse Studien, dass eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem tierischen Eiweiss und Eisen die physische und mentale Leistungsfähigkeit deutlich verbessert. Ähnliche Publikationen findet man auch über die Ernährung von Leistungs- und Hochleistungssportlern. Verzichtet jemand auf Fleisch, wird die wichtigste Quelle für Eisen ausgeschaltet. Viele Jugendliche, und vor allem Sportler, leiden deshalb oft an Eisenmangel.

Bei der älteren Bevölkerung ist Eiweissmangel einer der wichtigsten, wenn auch verkannten Gründe für die körperliche und geistige Abwärtsspirale mit allen Folgen wie Muskelschwund, erhöhte Krankheitsanfälligkeit, fatale Stürze, Verlust der Selbständigkeit und Pflegebedürftigkeit. Besonders im Alter ist eine ausreichende Proteinversorgung essentiell für die Regeneration der Körperzellen, vor allem der Muskeln. Dr. Fäh: «Die Eiweisszufuhr im Alter sollte im Verhältnis zum Körpergewicht gleich hoch sein wie beim Erwachsenen zwischen 30 und 50 Jahren.»

Gesundheitliche Vor- und Nachteile der vegetarischen Ernährung

Ein Expertenbericht der Eidgenössischen Ernährungskommission hat die Vor- und Nachteile einer vegetarischen Ernährung untersucht. Auf Grund vieler epidemiologischer Studien gehe hervor, dass Leute mit vegetarischer Ernährung klare gesundheitliche Vorteile haben. Sie sterben weniger häufig an Herzkreislauferkrankungen und weisen bessere Blutfettwerte auf. Sie sterben weniger häufig an Krebs und haben auch ein kleineres Risiko an Krebs zu erkranken. Sie haben tiefere BMI-Werte und auch ein geringeres Risiko für Fettleibigkeit und Folgeerkrankungen. Auch ihre Blutdruckwerte sind niedriger. Als Grund wird genannt, dass ein hoher Anteil an Gemüse und Früchten in der Nahrung wesentlich zur Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit beitrage. Unabhängig von der Ernährung spiele auch der gesunde Lebensstil der Vegetarier eine Rolle. Sie machen mehr Sport als Fleischesser, trinken wenig bis keinen Alkohol und rauchen nur selten. Was nun wichtiger ist, der Verzicht aufs Fleisch oder der allgemein gesündere Lebensstil, lässt sich nur schwer eruieren.
Gemäss dem Expertenbericht besteht das Hauptrisiko darin, dass durch den Wegfall von Fleisch und Fisch bestimmte Nährstoffe sowie Proteine nicht mehr in genügenden Mengen aufgenommen werden. Das trifft auch auf das Vitamin B12 und das Vitamin D zu. Weitere Nährstoffe, deren Zufuhr kritisch sein kann, sind Zink, Eisen, Selen, Calcium und langkettigen Fettsäuren.
Bei den Ovolacto-Vegetariern seien die genannten Risiken klein, sofern sie ein breites pflanzliches Angebot bei ihrer Nahrungsauswahl berücksichtigen. Bei Veganern erhöhen sich durch den zusätzlichen Verzicht auf alle tierischen Produkte die Risiken für eine mangelnde Zufuhr dieser Nährstoffe. Insbesondere auf die genügende Zufuhr des Vitamins B12 müsse geachtet werden. Auch die Veganer können sich gemäss dem Expertenbericht einer guten Gesundheit erfreuen, sofern sie über ein grosses Ernährungswissen verfügen, um sich so zu ernähren, dass die erhöhten Risiken auch während längeren Lebensphasen wie Wachstum, Schwangerschaft und Alter kompensiert werden.

Bei einem totalen Verzicht auf alle tierischen Produkte (vegane Ernährung) sind die Risiken für eine mangelnde Zufuhr verschiedener Nährstoffe so gross, dass es für einen Laien kaum möglich sei, sich auf eine Art und Weise zu ernähren, welche diese Mängel konsequent kompensieren könnte. In verschiedenen Lebensphasen wie Wachstumsperioden, Schwangerschaft oder auch bei Betagten können die Mangelerscheinungen kritisch werden und zu Krankheiten führen. Deshalb sei die vegane Ernährungsweise generell für breitere Bevölkerungskreise, insbesondere für Kinder und andere Risikogruppen, wie Schwangere und ältere Leute, nicht zu empfehlen.

Eine auf pflanzlichen Produkten basierende ausgewogene Mischkost unter Einschluss von Eiern und Milchprodukten, aber ohne Fleisch und Fisch (Ovolacto-vegetarische Ernährung), könne hingegen als gesunde Ernährungsweise betrachtet werden. Die Erfahrungen zeigen, dass hier die notwendige Zufuhr der Nährstoffe erfüllt werden kann und dass diese Gruppe der Vegetarier gesünder ist als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Und jetzt kommt das Wichtigste im Bericht: Inwiefern ein totaler Verzicht auf Fleisch und Fisch eine absolute Voraussetzung bildet für die positiven Resultate der vegetarischen Ernährung, könne zurzeit nicht abgeschätzt werden. Eine massvolle Einnahme von Fleisch und insbesondere von Fisch hätte den Vorteil, dass der Grossteil der Risiken der vegetarischen Ernährung kompensiert werden könnte.