Hilfe bei Tinnitus

Tinnitus ist die Alarmanlage der Seele. Ein Aufenthalt in der Tinnitusklinik, Teil der Klinik Beverin in Cazis GR, hilft, mit den Ohrgeräuschen besser zu leben.

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Zentrale Elemente in der Behandlung sind die Musik- und Hörtherapie sowie begleitende Psychotherapie. Das hören muss wieder positiv besetzt werden.

Was genau ist Tinnitus?

Dr. med. Rahul Gupta: Das sind Ohrgeräusche, die man in der Regel nur selber wahrnimmt. Sie können ganz unterschiedlich sein. Zischen, Brummen, Pfeifen in verschiedenen Frequenzen, ganz individuell. Kein Tinnitus ist wie der andere. Tinnitus ist eigentlich nichts Bedrohliches, nichts Gefährliches, aber er kann sehr lästig werden.

Gibt es neben den quälenden Ohrgeräuschen noch andere Symptome?

Ganz häufig haben Tinnitus-Patienten eine Überempfindlichkeit auf Geräusche. Das ist sehr belastend. Weitere Symptome sind Schwindel, Unwohlsein, aber auch psychische Probleme.

Kennt man die Ursachen der Ohrgeräusche?

Ein grosser Teil der Menschen mit Tinnitus hat eine Hochton-Schwerhörigkeit. Der Tinnitus ist wie eine Reaktion darauf. Behandelt man diese Schwerhörigkeit mit einem Hörgerät, wird auch der Tinnitus besser. Ganz allgemein kann man sagen, dass bei einem akuten Tinnitus eine Schädigung vorliegt. Das kann ein Hörtrauma sein. Häufig haben Soldaten einen Tinnitus vom Schiessen. Bei jungen Leuten ist es die Diskothek mit der lauten Musik. Das führt zum akuten Tinnitus, der oft mit Kortison behandelt werden kann. Häufig bildet er sich zurück. Tut er das nicht, wird das Leiden chronisch. Die körperliche Ursache fällt weg, der Tinnitus verselbständigt sich. Der Ort der Entstehung verschiebt sich ins Gehirn. Danach haben die Symptome mehr Ähnlichkeit mit einem Phantomschmerz. Die Aktivität im Gehirn kann gemessen werden. Es ist also kein eingebildetes Geräusch.

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Dr. med. Rahul Gupta, Chefarzt Spezialpsychiatrie, Psychiatrische Dienste Graubünden

Welche Personen sind im Besonderen von Tinnitus betroffen?

Tinnitus kann jeden treffen, unabhängig von Alter und Geschlecht. Wie man auf den Tinnitus reagiert, hat auch mit der Persönlichkeitsstruktur zu tun. Es sind oft Menschen mit einem hohen Anspruch an sich selber. Tinnitus ist die Alarmanlage der Seele. Und wenn etwas nicht in Ordnung ist, macht unsere Seele eine Ansage. Das ist bei psychosomatischen Erkrankungen oft der Fall.

Wie sieht die Behandlung eines chronischen ­Tinnitus aus?

Das hängt davon ab, in welchem Stadium sich der Patient befindet. Wir sind spezialisiert auf den chronisch dekompensierten Tinnitus. Chronisch bedeutet länger als drei Monate und dekompensiert heisst, der Betroffene kommt mit den Symptomen nicht mehr zurecht. Menschen mit Tinnitus empfinden das Hören als etwas Bedrohliches, Unangenehmes. Sie meiden soziale Kontakte, ziehen sich zurück. Da setzt die Therapie an. Das Hören muss wieder positiv besetzt werden. Zentrale Elemente sind Musik- und Hörtherapie sowie begleitende Psychotherapie. Medikamente gegen Tinnitus gibt es eigentlich keine, in besonderen Fällen setzen wir psychiatrische Medikamente ein. Eines ist ein Antidepressivum, das sich positiv auf den Schlaf auswirkt. Patienten mit sehr starkem Tinnitus muss man am Anfang helfen, überhaupt therapiefähig zu werden. Wir geben auch Ginkgo zur Förderung der Hirndurchblutung.

Was passiert im neuen ­Hörtherapie-Raum?

Die Hörtherapeutin arbeitet mit verschiedenen Methoden. Wir gehen mit den Patienten auch in die Natur, manchmal mit verbundenen Augen, damit sie sich nur auf das Hören konzentrieren. Wichtig ist eine spezialisierte Physiotherapie. Verspannungen im Nacken- oder Kieferbereich haben zum Beispiel einen grossen Einfluss auf den Tinnitus. Es braucht auch eine Therapie für die psychischen Folgen, die bis hin zu Depressionen führen können. Bewegungs- und Gestaltungstherapie sowie Tanz gehören ebenfalls dazu.

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Die Klanggeräte spielen bei der Therapie eine zentrale Rolle.

Können Betroffene selber etwas beitragen?

Wichtig ist vor allem, sich selber klarzumachen, dass der Tinnitus nichts Bedrohliches ist. Meditation, Muskelrelaxation und Yoga können helfen. Am Anfang ist das ein furchtbarer Stress für die Patienten, weil das alles in Ruhe passiert und der Tinnitus ja gerade in Ruhe am stärksten ist. Auch Sport ist hilfreich. Das wurde in den vergangenen Jahren unterschätzt.

Multimodale Tinnitus-Therapie

Die Tinnitusklinik als Teil der Klinik Beverin in Cazis war das erste stationäre Behandlungsangebot in der Schweiz mit einer multimodalen Tinnitus-Therapie. Kernstück ist die Musik- und Hörtherapie. Sie hat zum Ziel, das Hören wieder als etwas Positives wahrzunehmen. Studien zeigen, dass sich der Tinnitus deutlich verbessert. Das Behandlungsziel ist nicht immer, dass der Tinnitus verschwindet. Das tut er häufig nicht. Es geht darum, mit dem Tinnitus leben zu können. Der Patient wird dazu gebracht, dass er den Tinnitus als seinen Freund betrachtet, der ihn in schwierigen Situationen beschützt.

Psychiatrische Dienste Graubünden
Klinik Beverin Cazis
La Nicca Strasse 17, 7408 Cazis
Telefon +41 58 225 35 35

www.pdgr.ch/tinnitus

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 23.09.2021.

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