Hoffentlich hält dieser Erfolg an

Gegen ihre Migräne hat sie alles probiert, von Schmerzmitteln über Atlaslogie bis zum Geistheilen. Erst die neue Prophylaxe ­brachte Irène Odermatt-Illi aus Ennetbürgen Linderung.

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Meine Migränegeschichte begann vor über 20 Jahren. Seitdem bestimmten Kopfschmerzen mein Leben. Familienausflüge, Einladungen, Einkäufe, Konzertbesuche, alles war von der Migräne abhängig. Kann ich gehen? Oder habe ich an diesem Tag eine Migräne? Das wirkte sich extrem auf mein Sozialleben aus. Man vermeidet möglichst feste Abmachungen und zieht sich automatisch immer mehr zurück. Denn das ewige «Tut mir leid, ich kann heute nicht!» zermürbt. Das schlechte Gewissen, weil man wieder nicht leistungsfähig ist, wird zum stetigen Begleiter. Und Gedanken wie «Was habe ich wieder falsch gemacht, dass ich heute schon wieder Migräne habe?» sowie «Was löst meine Migräne aus?» waren ständig in meinem Kopf.

Alles ausprobiert

Ich habe viele Therapien, neue Medikamente, Prophylaxen etc. versucht, immer wieder hatte ich neue Hoffnung, dass ich nun endlich etwas gefunden habe, um die Migräne wenigstens zu lindern. Ernährungsberatung, Schmerztherapien, TCM bei verschiedenen Ärzten, Mentalcoachings, Psychotherapie, Entspannungskurse, Physiotherapie, Zahnsanierung, das heisst Entfernung von Amalgam, Homöopathie, Akupunktur, Atlaslogie, Shiatsu bis hin zu Geistheilen. Ich glaube, man könnte mich nach irgendetwas fragen, ich habe es bestimmt ausprobiert.

Auch auf medizinischer Basis versuchten die Ärzte viele prophylaktische Medikamente und auch Schmerzmittel aus. Betablocker, Antiepileptika, Antidepressiva, Botox, hochdosierte Vitamine und Minerale etc. Die Einnahme der Medikamente war zum Teil verbunden mit schweren Nebenwirkungen wie Haarausfall, Zittern, Schlaflosigkeit, Gewichtszunahme, Magen- und Darmentzündungen etc., welche man ja dann notgedrungen in Kauf nehmen musste. Das Schlimmste waren die Arztbesuche bei Neurologen. Da hiess es immer, machen Sie viel Sport und nehmen Sie möglichst keine Schmerzmittel. Gut gesagt, wenn man mindestens drei Viertel der Zeit Kopfschmerzen hat.

Schreckliche Schmerzen und schlechtes Gewissen

Ich musste und wollte einfach nicht aufgeben, denn schliesslich habe ich eine Familie mit zwei Kindern, die mich brauchen und die ich liebe. Obwohl meine Familie bis heute beteuert, dass sie nie unter meiner Migräne leiden musste, konnten wir trotzdem nie ein ganz normales Leben führen. Ich spürte, wie meine Familie mit mir leidet. Ich wollte auch nicht, dass immer das Thema Kopfschmerzen im Vordergrund stand. Deshalb versuchte ich auch mit aller Kraft, meine Arbeit als Lehrerin und später Heilpädagogin weiterzuführen. Die Arbeit mit den Kindern bedeutet mir sehr viel und ich liebe meinen Beruf sehr. Doch auch hier spürte ich Unverständnis, wenn ich meine Arbeit kurzfristig nicht ausführen konnte. Das ist zu den schrecklichen Schmerzen doppelt belastend, das schlechte Gewissen meldete sich, ich stand extrem unter Druck, was für die Migräne überhaupt nicht förderlich war. Ein immerwährender Teufelskreis.

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Das Migränetagebuch von Irène Odermatt: „Schon nur ein paar Migräneattacken weniger pro Woche sind himmlisch.“

Aus diesem Grund habe ich zusammen mit meinem Arzt Dr. Reto Agosti sehnlichst auf das neue Medikament gewartet. Die Hoffnung war und ist gross, endlich ein Mittel ohne nennenswerte Nebenwirkungen zu bekommen, welches die Migräne lindert. Selbst die hohen Kosten dieser Spritze – sie wird ja leider noch nicht von den Krankenkassen übernommen – hinderten mich nicht daran, sie auszuprobieren. Ich würde ALLES dafür geben, endlich ein schmerzfreieres Leben führen zu können. Ich bin realistisch und weiss, dass man Migräne nicht einfach wegzaubern kann, da sie eine neurologische Erkrankung ist. Aber schon meine drei bis vier Migräneattacken pro Woche zu reduzieren, damit mein Leben wieder mehr Lebensqualität bekommt, wäre einfach himmlisch.

50 Prozent mehr Lebensqualität

Wie es aussieht, scheint das neue Medikament bei mir tatsächlich zu wirken. Nach der ersten Injektion hatte ich eine mindestens 50-prozentige Verbesserung. Das bedeutet 50 Prozent mehr Lebensqualität! Auch im zweiten Monat geht es mir viel besser. Ich habe zwar noch Migräneanfälle, aber sie sind weniger stark und weniger häufig. Auch habe ich manchmal bloss Kopfschmerzen, die ich ohne Medikamente in den Griff bekomme. Das ging früher nie. Auf Kopfschmerzen folgte immer eine Migräne, welche bis zu zwei Tage dauern konnte. Ich hoffe sehr, dass dieser Erfolg anhält.

Ein enormer Fortschritt

Dr. Reto Agosti vom Kopfwehzentrum Hirslanden Zürich

Die neue Prophylaxe gegen Migräne ist ein Durchbruch. Dr. Reto Agosti sagt, wie sie wirkt und wer profitiert.

Wie viele Menschen in der Schweiz leiden an einer so schlimmen Migräne?

Rund 12 Prozent aller Personen haben irgendwann in ihrem Leben einmal oder mehrmals Migräne. In der Schweiz sind das circa eine Million Menschen. 50 000 davon leiden stark.

Woher kommen diese fürchterlichen ­Schmerzen?

Kopfschmerzen entstehen in allen Strukturen des Kopfes ausser dem Hirn selber. Dieses hat nämlich keine Schmerznerven. Schmerzhaft sind Hirnhäute, Knochenhäute, Blutgefässe, Muskeln, Sehnen, vor allem die Sehnenansätze, Schleimhäute, Kiefergelenke, Ohren, Augen etc. Am empfindlichsten sind wohl die Hirnhäute. Einige Menschen haben ein sehr aktives Schmerzsystem, das sie im Falle der Migräne zu stark schützt – vergleichbar mit einer Allergie, die eine Überreaktion eines anderen Schutzsystems, des Immunsystems, ist.

Und andere haben ihr Leben lang nie ­Migräne!

Je nach genetischer Veranlagung. Es gibt tatsächlich Menschen, die nach einem Sturz nicht einmal bemerken, dass sie einen Schädelbruch erlitten haben.

Wie ist der Erfolg mit der neuen Spritze zu erklären?

Der neue Wirkstoff scheint an einer Schüsselstelle der Migräneprogrammierung zu wirken, möglicherweise so, dass leichte Schmerzen, beispielsweise aus dem Nacken, sich nicht mehr zu einer Migräne entwickeln, sondern auf tiefem Niveau verbleiben. So scheinen etliche Patienten, die mit der neuen Spritze Erfolg haben, zwar noch leichte Kopfschmerzen zu verspüren, die aber nur noch höchst selten zu einer Migräne führen.

Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Spritze?

Erstaunlich ähnlich wie in den Zulassungsstudien: circa 70 Prozent Gesamt­erfolg, das heisst irgendeine Besserung. Etwa 50 Prozent der Patienten berichten von einer 50-prozentigen Besserung, das heisst von einem Rückgang der Migränehäufigkeit um 50 Prozent, zum Beispiel von 14 Attacken pro Monat auf 7, was für die Patienten schon sehr viel bedeutet. Um die 10 Prozent haben kaum noch Attacken.

Was können Migränepatienten sonst noch machen, um die Beschwerden zu lindern?

Alle bisherigen Therapien, wie gute Attacken-Behandlungen, medikamentöse und komplementäre Prophylaxe.

 

Kopfwehzentrum ­Hirslanden Zürich

Im Kopfwehzentrum Hirslanden Zürich werden Patienten mit Migräne und anderen Kopfschmerz-Erkrankungen vollumfänglich, individuell und nach neuestem Stand des Wissens behandelt. Das Kompetenzzentrum bietet auch eine Sprechstunde für Menschen mit allgemeinen neurologischen Erkrankungen wie MS, Hirnschlag oder Parkinson an.

Tel. 043 499 13 30, www.kopfwww.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 17.01.2019.

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