Ich dachte, er wird dement

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Herbert, 74, möchte nicht mit seinem richtigen Namen in die Öffentlichkeit treten. Aber Herbert und seine Frau Rösli möchten die Öffentlichkeit wachrütteln. «40 Jahre lang war ich nicht beim Arzt», sagt der Innerschweizer stolz. Doch aus heutiger Sicht würde er es nicht mehr so machen. «Man soll zwar nicht wegen jedem ‹Schiissdräck› zum Arzt, aber gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen braucht es unbedingt», sagt Rösli. «Wir Frauen sind es gewohnt, uns regelmässig vom Gynäkologen untersuchen zu lassen. Warum sollen Männer nicht auch zum Check?»

Im Sommer kam die Müdigkeit

Rösli hatte als Erste gemerkt, dass mit ihrem Herbert etwas nicht stimmte. «Ich dachte, er wird dement oder bekommt Parkinson. Er war schusselig und lief unsicher. Sein rechter Fuss schlurfte und blieb an kleinen Unebenheiten hängen. Er schien ausgelaugt und energielos. Beim Treppensteigen setzte er sich zum Ausruhen auf die Stufen, doch er sagte, es gehe ihm gut und ihm fehle nichts.»

Nach der Pensionierung hatte Herbert noch fünf Jahre weitergearbeitet. Bis 70. Er genoss es, auch als Rentner eine Aufgabe zu haben. Erst letzten Sommer kam die Müdigkeit. Herbert versuchte sie zu kaschieren, doch sein Umfeld erkannte, dass mit ihm etwas nicht stimmte. «Ich litt sehr, war ständig wie auf Nadeln, hatte Angst, dass er auf dem Weg zum Stammtisch stürzt», sagt Rösli. «Herbert wurde schnell hässig, wenn ich ihn auf seine Schwäche ansprach und mir Sorgen machte. Ich musste etwas unternehmen und meldete ihn im März bei der Hausärztin zur Kontrolle an.»

Wieder Lust auf den Stammtisch

Zu wenig Blut und viel zu wenig Eisen zeigten die Laborwerte. Die Ärztin erkannte den Ernst der Lage und überwies Herbert zur weiteren Abklärung sofort ins Spital. Bei der Darmspiegelung wurde klar: Schuld am Blutverlust war ein bösartiger Tumor im Dickdarm.

Operation und Therapie verliefen gut. Zum Schluss brauchte es dann aber noch das Eisen, um Herbert wieder auf die Beine zu helfen. «Nach drei Infusionen spürte ich, wie es mir besser ging und wie die Energie zurückkam. Jetzt steige ich wieder viel leichter die Treppe hoch, bin insgesamt nicht mehr so müde. Einen guten Appetit hatte ich schon vorher, aber jetzt habe ich auch wieder Lust auf den Stammtisch. Meiner Frau bin ich dankbar, dass sie nicht lockerliess und mich zum Arzt geschickt hat. Das hätte böse enden können.» Auch Rösli freut sich: «Herbert hat endlich wieder eine gesunde Farbe im Gesicht.»

Die Eisenräuber finden

Auch Männer leiden an Eisenmangel. Dr. med. Daniela Kiepke, Allgemeinmedizinerin und Leiterin eines Eisenzentrums in Arth SZ, über Symptome, Ursachen und wie man sie entdeckt.

Warum kommt es zu Eisenmangel beim Mann?

Wir müssen zwischen Eisenmangel und Blutarmut, im Fachjargon Anämie, unterscheiden. Bei der Blutarmut ist der Eisenmangel so ausgeprägt, dass der Körper nicht mehr genug rote Blutkörperchen bilden kann. Nicht selten ist Blutverlust dafür verantwortlich. Ursachen sind bösartige Tumoren, aber auch chronisch-entzündliche Magen-Darm-Erkrankungen bis hin zu Hämorrhoidenblutungen. Dann nimmt der Patient vielleicht blutverdünnende Medikamente oder spendet häufig Blut. Und noch etwas: Der Eisenspeicherwert Ferritin kann wegen einer Entzündung erhöht und darum scheinbar normal sein, obwohl der Betroffene Eisenmangel hat. Hier brauchen wir dann andere Laborwerte.

Und wenn man keine solchen Erkrankungen hat?

Dann nimmt der Körper vielleicht zu wenig Eisen auf. Das hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel vom Bakterienmilieu im Darm, von Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Laktoseintoleranz, Entzündungen und auch von Nahrungsmitteln wie Kaffee, Schwarztee oder Milch, die die Eisenaufnahme hemmen.

Ist die Diagnose Darmkrebs beim Mann typisch?

Nicht typisch, aber man muss daran denken. Krebserkrankungen entziehen dem Körper Eisen, das dann für die Blutbildung fehlt. Viel häufiger ist aber eine Eisenverwertungsstörung. Der Betroffene hat zwar genug Eisen, bildet daraus aber zu wenig Blut.

Welche Rolle spielt die Ernährung?

Es gibt keine Regel. Wir behandeln am häufigsten Frauen und Mädchen, bei denen die Balance zwischen Eisenverlust nach Monatsblutung und Eisenaufnahme durch Ernährung nicht stimmt. Fast alle dieser Frauen sind Fleischesser. Dagegen sehen wir Vegetarier, die kein Eisenmangelproblem haben. Es gibt hier nicht nur Schwarz oder Weiss. Wenn Vegetarier auf eine gute Auswahl ihrer Eisenquelle achten, haben sie in der Regel kein Problem. Unsere Verdauungsfunktion, das Mikrobiom, muss stimmen und die Lebensmittel sollten von guter Qualität sein.

Wann soll man sich abklären lassen?

Bei Abgeschlagenheit, Blässe, Atemknappheit unter Belastung, auch bei schnellem Puls. Die Symptome sind weniger schwer, wenn noch keine Blutarmut besteht. Zum Beispiel bei Konzentrationsmangel, psychischer Labilität, depressiver Tendenz, Nacken- und Kopfschmerzen, Schwindel, Restless Legs, Haarausfall, eingerissenen Mundwinkeln und Schlafstörungen.