Hallo, ich muss wegen verschiedenen Krankheiten jeden Tag acht Tabletten schlucken. Ich habe schon länger keinen Appetit mehr. Dazu kommt jetzt Bauchweh und öfters Durchfall. Inzwischen esse ich vieles nicht mehr. Ich habe viel über Nebenwirkungen von Medikamenten gelesen. Bei mehr als der Hälfte steht Appetitverminderung vermerkt. Auch Störungen von Magen und Darm. Mein Arzt hat nie etwas davon erwähnt. Sollten die Ärzte ihre Patienten nicht besser aufklären? Abklärungen wie Magen-Darm-Spiegelungen sind schliesslich teuer und zudem sehr unangenehm. Die könnte man sich ohne Weiteres ersparen.
Das sagt Dr. med. Jürg Zollikofer, Allgemeinarzt und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte:
Was Sie eindrücklich beschreiben, nennen wir Polypharmazie. In die Umgangssprache übersetzt: viele verschiedene Medikamente gleichzeitig verordnet, für verschiedene gleichzeitig bestehende Krankheiten oder Beschwerden. Die Polypharmazie geht unter anderem mit der Gefahr einher, dass bei Nebenwirkungen einzelner Arzneimittel noch mehr Medikamente verschrieben werden und somit der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird.
Die Polypharmazie ist ganz besonders im Alter sehr verbreitet, weil naturgemäss viele Krankheiten oder Beschwerden gleichzeitig auftreten können. Die beste Kontrollinstanz ist der Hausarzt. Besonders wichtig ist das nach einer Spitalentlassung, wenn jeder Spezialist nur jene Krankheiten behandelt, die in seinen Bereich fallen. Auch die Spitex-Mitarbeiterin spielt hier eine wichtige Rolle.
Erfahrene Altersmediziner fordern, dass jedem alten Menschen nur eine Höchstzahl an Arzneimitteln gegeben werden darf. Die einen sagen maximal 3, andere maximal 5. Jedenfalls ist es eine heilige Pflicht des Grundversorgers, sich bei jedem einzelnen Medikament zu fragen: Braucht das mein Patient unbedingt resp. tue ich Gutes oder schade ich ihm vielmehr? Das beste Arzneimittel ist nach wie vor dasjenige, das ich stoppen kann. Und wichtig: nicht jedes Arzneimittel, das bei Spitalentlassung verordnet wird, soll auf immer und ewig gegeben werden. Vielmehr ist auch dort kritisch zu hinterfragen: Was ist wirklich notwendig? Muss man das Cholesterin unbedingt behandeln? Profitiert der Patient von einer entsprechenden Therapie? Das Cholesterin ist nur einer von vielen Messwerten, bei denen im Grunde niemand so richtig weiss, wie weit sie überhaupt im täglichen Leben von Bedeutung sind.