Ich schaffte es nicht mehr alleine

Symbolbild. Bild: AdobeStock, Urheber: fotoduets

Wie begegnet man einem Menschen, der weiss, dass er nicht mehr lange leben wird? Darf man ihn einfach so auf das Sterben und den Tod ansprechen? Oder geziemt sich das nicht? Draussen in der Stadt rollt der Verkehr wie eh und je. Man hört fröhlichen Kinderlärm von einem nahen Hort. Hier im Lighthouse im vierten Stock ist es andächtig ruhig. Wir klopfen an die Tür von Zimmer 403. Ein grosser Mann, der nur wenig mehr als 50 Kilo wiegt, empfängt uns. Seine Muskulatur hat sich stark zurückgebildet. Das Gesicht ist hager. Dennoch sieht man ihm seine 75 Jahre nicht an. Frank, wie wir ihn nennen dürfen, spricht gradlinig und klar. Immer wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Jahrzehntelang hat er als Psychotherapeut gearbeitet. Nach einer psychoanalytischen Grundausbildung hat er sich intensiv fortgebildet und dabei auch unkonventionelle Ansatzpunkte verfolgt.

Den Humor nicht verlieren

Seine heutige gesundheitliche Situa­tion sei eine einzige Katastrophe, ein Unglück, das über ihn gekommen sei. Er leidet an unheilbarem Lungenkrebs. Zwei Jahre ist es nun her, dass er mit dieser Diagnose beinahe aus heiterem Himmel konfrontiert wurde. Einen chronischen Reizhusten hatte er damals. Eigentlich müsste er schon längst tot sein. Nur noch ein paar Monate hatte man ihm gegeben. Eine Operation hatte er abgelehnt, Chemotherapie und Bestrahlung auch. Frank erzählt das alles sehr nüchtern, aus einer klaren Distanz. Zwischendurch gibt er sich humorvoll. «Was das genau für ein Tumor ist, weiss ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Die meisten Menschen in meinem Umfeld müssen zwischendurch lachen, wenn ich ihnen von mir erzähle. Mir ist es bei allem Leid, das ich erfahre, wichtig, den Humor nicht zu verlieren.» Während er das sagt, zwinkert er mit den Augen.

Lebenswichtige Hilfe

Grund für den Eintritt in das Lighthouse waren schwerste Schmerzattacken. «Ich habe geschrien, so grauenhaft waren sie.» Bis heute plagen sie ihn jeden Tag. Nur dank einer ausgeklügelten Therapie sind sie einigermassen erträglich. Auch schaffte er es nicht mehr, alleine in seiner Wohnung zurechtzukommen. «Ich war nicht mehr in der Lage, meine hoffnungslose Situa­tion zu bewältigen.»

Professionalität und Empathie

Eine Familie hat Frank nicht. Aber beste Freunde. Und er hat hier im Hospiz ein Team, das er aufgrund seiner Professionalität und Empathie überaus schätzt. Von der Ärztin ist er genauso begeistert wie von der Seelsorgerin und der Musiktherapeutin. Sie alle helfen ihm, mit seiner schwierigen Situation umzugehen. Mit seinen leidvollen Gedanken, weil jeder Tag mit Schmerzen beginnt. «Den Schlaf kann ich geniessen, doch dann kommt der Schmerz.» Früher war er ein leidenschaftlicher Wanderer. Jede Muskelfaser hat er bewusst gespürt. Heute kann er seinen Körper kaum noch gebrauchen. Seine Beweglichkeit ist stark eingeschränkt. Beim Waschen ist er auf Hilfe angewiesen.

Offen spricht Frank über den Sinn des Lebens. «Das Leben selber ist der Sinn. Dass wir lebendig sind, dass wir fähig sind, Freude zu empfinden.» Glaubt er an Gott? «Ich bin ein Wesen, das erschaffen wurde. Von wem, weiss ich nicht. Der Begriff Gott ist mir zu persönlich. Auch dass Gott von mir getrennt ist, glaube ich nicht. Das Göttliche lebt in mir, es verwirklicht sich in mir. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich im Nichts versinke, wenn ich sterbe. Ich weiss nicht, was nachher kommt. Ich weiss auch nicht, woher ich komme. Alles ist von einem kreativen Geist durchwoben. Nichts geht verloren von dem, was ich im Leben gemacht habe, auch wenn der Körper stirbt. Ich fühle mich in diesem Reich aufgehoben. Ich glaube das, auch wenn ich keine Möglichkeit habe, es zu beweisen.»

Das Wichtigste im Leben ist die Freude

Das Gespräch müssen wir bald beenden. Frank weiss schon jetzt, dass es ihm alle Kraft abverlangt und er nachher wieder völlig erschöpf ist. Überhaupt hat er viel Gewicht verloren. Der Appetit hat nachgelassen. Kleine Spaziergänge macht er noch. Es sei hart, zu realisieren, dass einem mehr und mehr genommen wird.

Etwas möchte Frank unbedingt loswerden: «Was sind wir für arrogante Menschen, die meinen, den ganzen Planeten ruinieren zu können, um alle möglichen extravaganten Ansprüche auszuleben. Dabei kommen wir mit ganz wenig viel glücklicher und zufriedener durchs Leben. Wir sind dafür ­geschaffen, Freude zu erleben und Freude zu schenken.»

Niemand wird allein gelassen

Das Zürcher Lighthouse ist ein wunderbar ausgestatteter Ort, um vom Leben Abschied zu nehmen. 80 bis 90 Menschen tun das hier jedes Jahr. 2024 werden es noch viel mehr sein. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie schwer erkrankt sind und keine Hoffnung mehr auf Heilung besteht. In den meisten Fällen ist Krebs die Ursache. Die Bewohner sind zwischen 18 und 80 Jahre alt. «Wer zu uns kommt, kommt, um zu sterben», sagt Horst Ubrich, der das Zürcher Lighthouse führt. Zwischen 5 und 20 Tage bleiben die Patientinnen und Patienten, bis der Tod eintritt. Im Lighthouse wird niemand mit seinen körperlichen und seelischen Nöten allein gelassen. Palliativpflege, Seelsorge, Musik- und Kunsttherapie, und vor allem viel, viel Zeit für menschliche Zuwendung haben einen grossen Stellenwert.

Die Ferienaktion des Zürcher Lighthouse

Die Pflege eines unheilbar kranken Menschen kann zu körperlicher und seelischer Erschöpfung führen. Das Zürcher Lighthouse bietet ab diesem Herbst Betreuenden die Möglichkeit, sich eine Pause von ihren Pflegeaufgaben zu gönnen, während der das Lighthouse-Team nahtlos einspringt. Auch die Palliativpatienten profitieren von der Kurzzeit-Hospizpflege.

Zürcher Lighthouse

Eglistrasse 1, 8004 Zürich
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