Abnehmen – wir haben es satt. «Eat less, move more» funktioniert nicht. Seit Jahrzehnten wird uns das Mantra gepredigt, wir sollen weniger essen und uns mehr bewegen. Doch die Adipositas-Epidemie bleibt ungelöst. Warum? Weil der Ratschlag zwei wichtige Tatsachen ignoriert: Erstens sinkt der Grundumsatz parallel zur Kalorienreduktion, was das nachhaltige Abnehmen fast unmöglich macht. Zweitens wird das hormonelle System, das Appetit und Metabolismus steuert, ignoriert. Es zeigt sich zunehmend, dass Übergewicht und viele chronische Krankheiten weniger ein Kalorien- als vielmehr ein Hormonproblem sind, bei dem Insulin eine zentrale Rolle spielt.
Unsere Zellen brauchen Insulin
Insulin ist ein anaboles, also aufbauendes Hormon. Es reguliert den Blutzucker, indem es die Aufnahme von Glukose in den Zellen fördert, wo sie als Energie genutzt oder als Glykogen gespeichert wird. Es fördert auch die Aufnahme, Speicherung und Synthese von Fetten und Proteinen. Ohne Insulin würden die Zellen zugrunde gehen und die eigene Körpersubstanz abgebaut, was bei unbehandeltem Typ-1-Diabetes der Fall ist. Zu viel Insulin führt hingegen zu Übergewicht und gesundheitlichen Problemen. Daher ist die Regulation des Insulins für die Gesundheit von zentraler Bedeutung.
Das Problem ist der Überschuss
Insulin wird von der Bauchspeicheldrüse vor allem als Antwort auf gesteigerte Blutzuckerwerte ausgeschüttet. Aminosäuren bewirken auch einen leichten Anstieg von Insulin, während Fettsäuren kaum einen Einfluss haben. Wenn wir essen, werden Kohlenhydrate, Fette und Proteine im Magen jeweils zu einfachen Zuckern wie Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren abgebaut und im Dünndarm resorbiert. Glukose wird von den Zellen als Energiequelle genutzt. Die Aminosäuren dienen als Substrat für den Proteinaufbau in Gewebe wie Muskeln oder Haut, während Fettsäuren als Energiesubstrat in Muskelzellen dienen und für den Aufbau von Zellmembranen – etwa im Hirn – und Hormonen wichtig sind. Alle Nährstoffe haben so ihre Bedeutung. Ein erstes Problem entsteht aber bei einem Überschuss, vor allem an einfachem Zucker.
Alkohol und Fruktose verusachen eine Fettleber
Glukose und Aminosäuren werden direkt nach der Aufnahme im Dünndarm zur Leber transportiert. Die Leber fungiert als zentrale Verwalterin des Stoffwechsels. Bei einem Überschuss wird Glukose dort als Glykogen gespeichert und Fett produziert. Man spricht von De-novo-Lipogenese. Besonders problematisch ist die Fruktose – Tafelzucker besteht jeweils zur Hälfte aus Fruktose und Glukose. Die Fruktose wird fast ausschliesslich von der Leber verstoffwechselt und zu Fett umgewandelt und gelagert. Nebst Alkohol ist Fruktose somit einer der Hauptgründe für eine Fettleber. Und diese ist eine zentrale Treiberin von Insulinresistenz und erhöhten Insulinwerten, was wiederum Übergewicht und chronische Krankheiten verursacht. Jedes Mal, wenn wir die Leber mit gezuckerten Getränken oder Süssigkeiten überschwemmen, tragen wir direkt zum Problem bei. Überschüssige Aminosäuren können in der Leber zu Glukose umgebaut und ebenfalls als Fett eingelagert werden. Da sie aber von vielen anderen Geweben gebraucht werden, zum Beispiel Muskeln, ist ein Überschuss an Proteinen viel weniger problematisch.
Fast Food und Zucker sind Gift für unseren Körper
Interessanterweise umgehen die Fettsäuren die Leber nach ihrer Absorption und gelangen direkt über das Lymphsystem in den Blutkreislauf. Bei einem Überschuss werden diese ins Fettgewebe eingelagert, was grundsätzlich sinnvoll und gesund ist. Das bedeutet, dass eine fettreiche Ernährung nicht der Hauptgrund für erhöhte Fettwerte im Blut, Fettleber und Übergewicht ist. Leider hat die Verteufelung von Fetten dazu geführt, dass wir vermehrt verarbeiteten Zucker konsumieren und so Übergewicht und Herz-Kreislauf-Probleme begünstigen. Bei der Herstellung von Foie Gras oder marmoriertem Fleisch wird dieses Wissen auch genutzt. Den Tieren werden fast ausschliesslich Kohlenhydrate gefuttert, nicht Fette. Problematisch wird es aber, wenn die Fettspeicher voll sind und überschüssiges Fett in den Organen abgelagert wird, insbesondere bei einem erhöhten Verzehr von industriell verarbeiteten Fetten in Fast Food oder Fertiggerichten.
Irgendwann ist das Mass voll
Nach der Leberpassage gelangen Aminosäuren und Glukose in den Blutkreislauf. Bei einem Überschuss an Zucker entsteht hier ein zweites Problem: Die Bauchspeicheldrüse schüttet zu viel Insulin aus. Kurzfristig ist das sinnvoll, weil es die überschüssige Glukose in die Zellen befördert. Mit der Zeit können die Zellen jedoch weniger und weniger Glukose aufnehmen, und mehr und mehr Insulin wird kompensatorisch ausgeschüttet. Die Zelle wird Insulinresistent. Wie in einem gut gefüllten Zug kann ein Zugbegleiter (Insulin) noch ein paar Passagiere (Glukose) hineindrücken, aber nur bis der Zug voll ist. Dann gelangt Glukose ins Blut, und der Blutzuckerspiegel steigt. Es ist der Anfang von Typ-2-Diabetes.
Ursache vieler Krankheiten
Nebst Diabetes und Übergewicht hat ein erhöhter Insulinspiegel und die damit einhergehende Insulinresistenz weitere Auswirkungen auf die Gesundheit. Sie ist ein Hauptfaktor für das metabolische Syndrom und spielt bei der Entstehung vieler Krankheiten eine wichtige Rolle, unter anderem von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gewissen Krebsarten, Alzheimer, Migräne, Neuropathie, polyzystisches Ovarialsyndrom, erektile Dysfunktionen und beschleunigt Alterungsprozesse wie Hautveränderungen, Muskel- und Knochenschwund.
Besser essen, klüger bewegen
Zusammenfassend bewirken also industriell verarbeitete Kohlenhydrate, insbesondere Zucker, eine Hyperinsulinämie und Insulinresistenz, die einander verstärken. Die Fettleber, die durch den übermässigen Konsum von Zucker und einfachen Kohlenhydraten gefördert wird, trägt zur Insulinresistenz bei und erhöht die gesundheitlichen Risiken. Diese Wechselwirkungen schaffen einen Teufelskreis, der zu Übergewicht und einer Vielzahl von chronischen Erkrankungen führt. Die Lösung liegt aber auf der Hand: Besser essen und sich klüger bewegen, um das Problem am Ursprung zu bekämpfen.
Die Bauchspeicheldrüse erholt sich rasch
Die Funktion der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse bessert sich unter einer kohlenhydratarmen Ernährung bereits innerhalb von zwölf Wochen deutlich, da nach den Mahlzeiten weniger Insulin benötigt wird. Das zeigt eine Studie der Universität von Alabama.
Patienten mit Typ-2-Diabetes brauchen aufgrund einer Insulinresistenz mehr Insulin, um den Blutzucker nach den Mahlzeiten auf die Zellen zu verteilen. Die Zellen, die das Insulin produzieren, halten dieser Belastung nicht ewig stand, und am Ende müssen auch Patienten mit Typ-2-Diabetes Insulin spritzen, um den Blutzucker zu kontrollieren.
Die Autorin der Studie ist überzeugt, dass eine Reduktion der Kohlenhydrataufnahme auch ohne Kalorienbegrenzung es den Patienten mit Typ-2-Diabetes erlaubt, die Diabetes-Medikamente abzusetzen.