Ist Delta unbesiegbar?

Die kurze Verschnaufpause, die uns das Coronavirus gönnte, ist definitiv vorbei. Jetzt kommt die letzte grosse Welle. Vorläufig wenigstens.

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Bis vor wenigen Tagen sah alles so gut aus. Die täglichen Fallzahlen fielen unter 1000. Der R-Wert lag deutlich unter 1. Nur noch jedes siebte Intensivbett war von Covid-Patienten belegt. Die Menschen im Land waren entspannt und genossen die traumhaften Sonnentage. Schon wurden überall Forderungen an den Bundesrat laut, die Zertifikatspflicht aufzuheben und konkrete Ausstiegsszenarien zu präsentieren.

Und dann kommt die negative Trendwende, noch bevor es richtig kälter wird. Die Kurve der Neuinfektionen steigt. Der R-Wert klettert über die kritische Marke von 1. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten warnt vor einem raschen Anstieg der Fallzahlen in der Schweiz und rechnet damit, dass die Hospitalisierungen den Spitzenwert vom vergangenen Herbst übersteigen werden.

Rückkehr zu härteren Massnahmen

Die Delta-Mutation ist ansteckender als alle früheren Varianten und führt zu mehr schweren Krankheitsverläufen, auch unter jungen Menschen. Diese schmerzlichen Erfahrungen mussten in jüngster Zeit gleich mehrere Länder machen. In Israel und den Niederlanden sind die Fallzahlen und Spitaleinweisungen rasch angestiegen, als die Massnahmen gelockert wurden. In beiden Ländern war die Durchimpfungsrate zum Zeitpunkt der Öffnung ähnlich wie jene, die die Schweiz heute hat.

Auch in Deutschland steigen die Fallzahlen zurzeit stark. In England kletterten sie auf den höchsten Stand seit März. Britische Mediziner fordern die Rückkehr zu härteren Massnahmen, anderenfalls drohe in den kommenden Monaten eine ernsthafte Krise. Russland beklagt mehr als 1000 Tote pro Tag, so viele wie noch nie zuvor, und Putin verhängt einen neuen Lockdown.

Angst vor Kontrollverlust

Das Ausmass der Pandemie hat auch den berühmten US-Immunologen und Präsidentenberater Anthony Fauci überrascht: «In meinen verrücktesten und pessimistischsten Träumen hätte ich das niemals so vorhergesagt.» Dass der Bundesrat Angst hat, wie im letzten November die Kontrolle über die Lage zu verlieren, ist nachvollziehbar. «Jetzt auf alle Massnahmen zu verzichten, im Wissen, dass sich die Situation wahrscheinlich verschlechtern wird, halte ich für vermessen», sagt Patrick Mathys vom BAG. «Wenn wir die Zertifikate nicht hätten, hätten wir heute schon wesentlich mehr Fälle.»

Explosion der Fallzahlen

Die grosse, vorläufig letzte Welle steht uns also noch bevor. In unserem Land sind noch weit über eine Million Menschen für das hochinfektiöse Deltavirus empfänglich, auch in den Risikogruppen, sodass eine Explosion der Fallzahlen verheerende Auswirkungen auf die Spitäler hätte. Die Aussichten sind nicht gut. Die Fallzahlen nehmen zu, die Testzahlen ab. Ein Impfboom blieb bisher aus. Das Vakzin von Johnson & Johnson floppt. Und ob die Impfwoche viel bringen wird, ist mehr als fraglich. «Die Impfgeschwindigkeit wird nicht ausreichen, um dem Trend in nächster Zeit Paroli bieten zu können, sagt Mathys. Es wird bis Januar oder sogar Februar dauern, bis so viele Menschen geimpft sind, wie es der Bundesrat als notwendig erachtet.

Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz

Was ist zu tun? Rufolf Hauri, der oberste Kantonsarzt der Schweiz, rechnet fest damit, dass die Schutzmassnahmen schon bald wieder verschärft werden müssen. Die Frage ist nur, welche? Bei der Zertifikatspflicht hat der Bundesrat kaum mehr Spielraum, ausser diese wie Italien oder neuerdings Österreich auf den Arbeitsplatz auszweiten, was aber die Proteste im Land gefährlich eskalieren würde. Dass die Maskenpflicht noch lange bleibt, ist klar. Doch reicht das? Braucht es neue Kontaktbeschränkungen oder sogar erneute Schliessungen ganzer Branchen oder Absagen von Veranstaltungen und Verbote bestimmter Aktivitäten? Diese Massnahmen müssten auch für die bereits Geimpften gelten, da sie schon nach ein paar Monaten an Übertragungsschutz verlieren, also andere mit Delta anstecken können.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 21.10.2021.

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