Mein Leben mit dem Stoma

Mit 18 erhielt Julia Stirnimann die Diagnose Colitis ulcerosa. Sieben Jahre Leidensweg mit der chronischen Darmkrankheit liegen hinter ihr. Sie erzählt, wie der künstliche Darmausgang ihr Leben veränderte.

Stoma1

Mir war nicht bewusst, welche Einschränkungen und Belastungen die Diagnose Colitis ulcerosa mit sich bringen würde. Feiern oder mit Kollegen etwas unternehmen lagen nicht drin. Das erste grosse Erwachen kam nach der Lehrabschlussprüfung. Innerhalb von drei Monaten nahm ich 20 Kilo ab, da ich zwischen 20 und 30 Mal pro Tag auf die Toilette musste. Erschwerend litt ich in dieser Zeit auch an der Begleiterkrankung Erythema nodosum, an sehr schmerzhaften Knoten und Schwellungen in den Beinen, die meine Bewegung stark einschränkten. Teilweise schaffte ich es nicht einmal mehr rechtzeitig aufs Klo. Der absolute Albtraum, mit 18 Jahren bereits inkontinent zu sein.

In schwierigen Zeiten erkennt man wahre Freunde. Viele meiner vermeintlichen Kameraden wandten sich von mir ab oder hatten kein Verständnis für meine Situa­tion. Heute schätze ich meinen kleinen, aber eben echten Freundeskreis umso mehr.

Dürr wie eine Bohnenstange

Über die Jahre habe ich diverse sehr starke Medikamente eingenommen, die Wirkung war jedoch mässig. Lediglich Cortison half einigermassen. Aufgrund der hohen Dosis hatte ich aber extreme Nebenwirkungen. Neben gesundheitlichen Beschwerden wurde auch mein Aussehen stark beeinträchtigt. Ich war dürr wie eine Bohnenstange und hatte ein sehr aufgedunsenes Gesicht. Ich schämte mich, in die Öffentlichkeit zu gehen.

Meine Gesundheit war starken Schwankungen ausgesetzt. Ich habe aufgehört, die Spitalaufenthalte zu zählen. Da waren viel Traurigkeit, Tränen sowie die Versuchung, die Hoffnung auf Besserung zu verlieren.

Vor fünf Jahren folgte ein erneuter Schub mit hohem Fieber und einem weiteren Spitalaufenthalt. Mein Gastroenterologe zog das erste Mal eine Operation respektive ein vorübergehendes Stoma in Betracht. Ich brach in Tränen aus. Ich wollte mich nicht damit abfinden, als junge Frau bereits einen künstlichen Darmausgang zu haben.

Als 2016 eine leichte Besserung eintrat, wollte ich gegen den Rat der Ärzte die Medikamente absetzen und etwas Homöopathisches versuchen. Allerdings verschlechterte sich mein Zustand rasch. Erschwerend kam hinzu, dass ich meinen Job verlor und eine Trennung von meinem damaligen Freund zu verarbeiten hatte.

Operation als letzte Möglichkeit

Der nächste starke Krankheitsschub brach aus. Die Ärzte rieten mir, sofort wieder mit der alten Therapie anzufangen. Allerdings war der Erfolg sehr bescheiden, die Anzahl der Stuhlgänge stieg von Tag zu Tag. Entsprechend blieb im Herbst 2016 nur noch eine Möglichkeit: die Operation nochmals im Detail anzuschauen.

Weihnachten stand vor der Tür, und ich wollte das Fest gemeinsam mit meiner Familie feiern, also kam für mich eine Operation nicht infrage. Leider verschlechterte sich mein Zustand jedoch weiter und ich musste Anfang Januar erneut stationär betreut werden. Die Ärzte sagten mir, dass ich möglicherweise nicht überlebt hätte, wenn ich einige Tage später ins Spital gekommen wäre. Ich realisierte, dass die Operation zwingend nötig ist.

Der Entscheidungsprozess dauerte einige Zeit, und ich habe viele emotionale und tränenreiche Gespräche mit Freunden und meiner Familie geführt. Mein Umfeld stand hinter der Entscheidung und erkannte ebenfalls, dass dies wohl der einzige Weg ist, um diesem Teufelskreis zu entkommen.

Ich ekelte mich

Am 17. März 2017 war es so weit. Nach einer fünfstündigen Operation wachte ich mit einem Beutel am Bauch auf. Zu Beginn war es etwas befremdend. Ich wollte das Stoma nicht anschauen, ich ekelte mich die ersten paar Tage davor. Aber als es mir von Tag zu Tag besser ging, fing ich an, es als meinen Lebensretter zu sehen und begriff, dass das eine Chance für mich war.

Heute bin ich sehr froh, dass ich mich zu diesem Schritt entschlossen habe. Nach Jahren mit starken Schmerzen, Einschränkungen und der permanenten Angst, es nicht auf die nächste Toilette zu schaffen, kann ich endlich wieder ein normales Leben führen – ohne Schmerzen und ohne wiederkehrende Spitalaufenthalte. Ich bin glücklich, gehe wandern, tanzen, ich kann endlich reisen gehen und viele neue schöne Orte entdecken, Ski fahren, kann normal essen, mit Freunden in die Badi gehen oder mache, worauf auch immer ich Lust habe.

Wenn ich baden gehe, kümmert es mich nicht, ob man den Beutel sieht, da ich einfach nur froh bin, wieder normal leben zu können. Hin und wieder werde ich auf den Beutel angesprochen, was mich aber in keiner Weise stört. Ich gehe sehr offen mit meiner Situation um und werde das Stoma weiterhin behalten.

Die guten Tage überwiegen

Manchmal gibt es aber auch schlechte Tage. Zum Beispiel wenn der Beutel mal nicht hält und ich am Arbeiten bin und unterwegs eine neue Jeans kaufen muss, weil alles verdreckt ist oder wenn ich shoppen gehe und frustriert feststellen muss, dass ein Kleid nicht passt, weil man den Beutel darunter sieht. Aber die guten Tage überwiegen und daran halte ich mich fest.

Durch das Stoma wurde mir ein neues Leben geschenkt. Ich bin unendlich dankbar für diese Chance. Manchmal kann ich es kaum glauben, wie gut es mir heute geht und was ich hinter mir lassen konnte. Ich habe das Gefühl, endlich wieder ein befreites Leben führen zu können, so wie es sich für eine 28-jährige junge Frau gehört.

Informationen

Mehr Infos zur Stomaversorgung: www.hollister.ch und www.dansa.ch

Infos für Betroffene: www.ilco.ch und www.crohn-colitis.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 07.05.2020.

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