Mit Respekt und Liebe

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André Jaeger und das Kochen, das ist eine Liebesgeschichte, die ihresgleichen sucht. Seit er 1975 von seinem Vater die «Fischerzunft» in Schaffhausen übernahm, steht er Tag für Tag am Herd und spielt sein ganzes fachliches und handwerkliches Können aus. Dieser persönliche Einsatz und seine Individualität sind genau jene unverwechselbaren Zutaten, welche den Besuch in seinem Restaurant zu einem einzigartigen Erlebnis machen. Wer ihn bei der Arbeit inmitten seiner Küchenmannschaft beobachtet, merkt rasch, dass da einer am Werk ist, der auch mit 66 jung geblieben ist, im Herzen und im Geist.

Ehrungen erhielt André Jaeger in seiner langen Karriere zuhauf. Gault-Millau zeichnete ihn zwei Mal als Koch des Jahres aus und bewertet ihn seit 1995 mit sagenhaften 19 Punkten. 2010 erhielt er im Bertelsmann Guide denselben Titel. André Jaeger ist auch ein gefragter Gastkoch, sei es auf Kreuzfahrtschiffen oder in grossen Resorts in Übersee. Seit seiner Zeit in Hongkong gilt er als Vordenker einer ost-westlichen Küche, die bewusst mit geschmacklichen Gegensätzen spielt.

Seit jeher steht André Jaeger auch für die untrennbare Verbindung von Kochen, Essen und Gesundheit. «Je besser ein Koch, desto gesünder kocht er», lautet sein Credo, das er jeden Tag lebt. «Ich beurteile einen Koch am Respekt, an der Liebe und am Wissen, mit denen er Nahrungsmittel auswählt und mit ihnen umgeht. Das ist wie ein Kreis, der sich schliesst.» Ein Koch, der die nötige Achtung vor der Nahrung und dem Essen mitbringe, koche automatisch gesund. Einer, der in seinem Metier innovativ sein wolle, müsse diese Eigenschaften verinnerlichen, sonst habe er heute keine Chance.

Wir fragen den Spitzenkoch, was das konkret bedeutet. «Gesunde Produkte sind saisonale Nahrungsmittel aus naturnaher Produktion und schonend zubereitet. Und in der richtigen Menge – das ist meine ganz persönliche Erkenntnis – von allem ein bisschen weniger. So wenig wie möglich verarbeitete, das heisst raffinierte Lebensmittel, keine chemischen Hilfsmittel, wenn es irgendwie geht, möglichst viel Natürliches.» Von fettfreier Ernährung hält er ebenso wenig wie von der Ächtung von Butter und Eiern. Im Gegenteil. «Ich bin überzeugt, dass Butter und Öle mit ihren wertvollen ungesättigten Fettsäuren eine wichtige Bedeutung nicht nur in der Küche, sondern auch für die Gesundheit haben.»

Zu einem zurückhaltenden Umgang rät André Jaeger dagegen, was die Kohlenhydrate anbelangt. «Mit Kartoffeln, Reis und Pasta kann man Wunderbares machen. Der Körper braucht sie, aber längst nicht in den Mengen, die wir heute normalerweise zu uns nehmen. Kohlenhydrate sollen höchstens einen Viertel oder noch besser nur einen Fünftel der täglichen Nahrungsmenge ausmachen.» Unter den vielen Getreidesorten hat André Jaeger einen grossen Favoriten, nämlich Urdinkelmehl aus der Schweiz. Er schwört auf das Mehl unserer Vorfahren, das sehr gesund sei und sich sehr vielfältig in der Küche einsetzen lasse. Ein Fisch vor dem Anbraten mit Urdinkelmehl zu mehlieren, sei etwas vom Feinsten. Auch vom Urdinkelbrot schwärmt er. Das Mehl müsse allerdings rein sein, nicht mit anderen Sorten vermischt. Am besten gelinge Urdinkelbrot mit einem Sauerteig. Man könne es zum Frühstück herzhaft und ohne jegliche Reue essen, mit etwas Butter oder einem Stück Käse.

Überhaupt sei er ein Liebhaber von einfachen Dingen, zum Beispiel von Eiern in allen Variationen. In ärmlichen Verhältnissen nach dem Krieg aufgewachsen, seien die Eier, welche die paar eigenen Hühner hin und wieder gelegt hätten, das Grösste gewesen, was auf den Tisch kam. Eierspeisen zählen deshalb bis heute zu seinen absoluten Highlights.

Dass er auch ein grosser Gemüseliebhaber ist, versteht sich von selbst. «Gemüse geben der Nahrung das nötige Volumen, die Fasern und die Vitamine und machen das Essen leicht.» Dasselbe gelte für Salate. «Ich hatte das Glück, dass meine Grossmutter einen eigenen Garten hatte.» Selbst im hohen Alter habe sie noch gejätet. Mit grossem Stolz habe sie jeweils einen Salatkopf geholt und einen wunderbaren Salat gemacht. Und wenn sie Kartoffeln vom eigenen Garten gegart hat, habe der wunderbare Duft das ganze Haus erfüllt. Spätestens jetzt merkt man, wie tief verwurzelt bei André Jaeger die Liebe zu einfachen, unverarbeiteten, aber umso wertvolleren Nahrungsmitteln aus dem Garten der Natur ist. «Ich bin bescheiden aufgewachsen. Das erachte ich als Privileg. Meine Vorliebe zu einfachen, aber wertvollen Nahrungsmitteln ist ein Geschenk aus meiner Kindheit. Teure, ausgefallene Produkte braucht es nicht.» Erstaunliche Worte aus dem Mund eines Spitzenkochs.

Bei den Früchten achte er auf frisch geerntete, saisonale Angebote aus vertrauenswürdigem Anbau. Die guten Produkte müsse man suchen. So gäbe es Erdbeeren, die zwar fantastisch aussehen, aber Null Geschmack haben, und solche, die natürlich gereift sind und von guten Sorten stammen. Da würden Welten dazwischen liegen. Auch zum Thema Fleisch hat André Jaeger eine klare Meinung. «Viele Schweizer sind zu Filet-Fressern mutiert. Dabei lassen sie völlig ausser Acht, dass es unendlich viele andere Fleischsorten gibt, die man wunderbar zubereiten kann, zum Beispiel einen Braten oder eine Haxe.» Wir halten erneut fest: Bescheidenheit und Respekt gegenüber den Nahrungsmitteln zählen für den Spitzenkoch mehr als scheinbarer Luxus.

Gar kein Freund ist André Jaeger von jeglicher Art Convenience-Food, besonders von Fertiggerichten. Sie machen einen immer grösseren Anteil unserer täglichen Verpflegung aus, weil sie das Leben angeblich bequemer machen und scheinbar helfen, im hektischen Berufsalltag Zeit zu sparen. «Kaum jemand ist sich bewusst, dass die vorgefertigten Nahrungsmittel in den meisten Fällen zu viel Fett und vor allem zu viel Zucker enthalten. Die Convenience-Welle hat unser Geschmacksempfinden nachhaltig verändert. Und zwar in eine ganz ungesunde Richtung. Was nicht mehr süss ist, schmeckt den meisten Menschen nicht. Das ist nicht nur völlig unnatürlich, sondern in höchstem Masse ungesund.»

Dasselbe gelte für die meisten Light-Produkte. Sie seien eine ganz grosse Gefahr für die Gesundheit. Das könne er aus eigener Erfahrung sagen. «Ich war mir lange nicht bewusst, was ich mir mit einem Light-Joghurt oder einer Light-Mayonnaise antue. Als ich realisierte, was alles da drin ist, war ich von einem Tag auf den anderen nicht mehr bereit, den höheren Preis für diese Produkte zu zahlen.» Man tue sich nichts Gutes mit solchen Dingen. Man esse viel zu viel davon, weil das Geschmackserlebnis nie vergleichbar sei mit dem Normalprodukt. So schade man sich am Ende doppelt.

Der versteckte Zucker in den industriell hergestellten Nahrungsmitteln sei ein Teufelszeug. «Die Konsumenten würden staunen, wenn man den versteckten Zucker eines Getränkes oder eines Fertiggerichtes in Form von Würfelzuckern daneben stellen würde. Sie würden alle die Finger von diesen Dingen lassen, wenn sie die negativen Konsequenzen für ihren Körper auch nur im Entferntesten bedenken würden.» Der Mensch von heute sei richtiggehend abhängig von Zucker und laufe Gefahr, den Geschmackssinn für bitter, sauer und salzig zu verlieren. Jaeger plädiert für einen Entzug vom Zucker. Den ursprünglichen, unverfälschten Geschmackssinn könne man durchaus wieder erlernen, wenn man nur konsequent genug auf industriell hergestellte Ware verzichte.

André Jaegers Philosophie steht in einem wohltuenden Kontrast zur heutigen Fastfood-Kultur – oder besser gesagt Unkultur. «Wenn man sich an ursprüngliche und saisonale Nahrungsmittel hält – die Saisonalität ist die Quelle der Kreativität – und sie mit Liebe zubereitet, darf und soll man mit gros­sem Genuss und ohne jegliche Reue essen. Denn man kann sehr genussvoll essen und dennoch sehr kalorienarm. Dazu gehört auch, dass man sich zum Essen Zeit nimmt, sich an einen gedeckten Tisch setzt und nicht im Stehen oder in einer Ecke oder am Bürotisch etwas verschlingt.»

Viel habe er von den Asiaten gelernt. Sie hätten eine unglaubliche, ja sogar vorbildliche Beziehung zum Essen, weil die meisten von ihnen noch nicht in diesem unseligen Nahrungsmittelüberfluss lebten wie wir. Die Chinesen hätten eine hochentwickelte Sensorik, wenn es um Nahrungsmittel geht. Die Thailänder liebten eine leichte Küche mit viel Säuren, Aromen und frischem, knackigem Gemüse. Die Japanische Küche sei geprägt von purer Ästhetik. Sie sei eine einzige Quelle der Inspiration. «Der Asiate ist ein ganz grosser Geniesser. Für ihn gibt es eine sehr enge Beziehung zwischen den Nahrungsmitteln und den Jahreszeiten und der Gesundheit. Das hat mich immer sehr fasziniert.»

Eine gesunde, fantasievolle und schmackhafte Küche ist keine Frage des Preises. Das ist André Jaegers tiefe Überzeugung. «Auch eine Rösti kann man so machen, dass sie leicht und bekömmlich ist. Dazu braucht man nur ein klein wenig Wissen, etwas List und eine grosse Portion Freude am Kochen und am Essen.»

André Jaeger schreibt für Sie

Das dürfen Sie auf keinen Fall verpassen! Der mehrmals zum Koch des Jahres gewählte André Jaeger schreibt von jetzt an regelmässig für unsere wöchentliche Online-Ausgabe lehrreiche und interessante Kurzbeiträge über eine gesunde, ideenreiche Küche und fotografiert seine besten Tricks und Tipps gleich selber.

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