Oft war ich am Boden und musste weinen

Schlimmer kann eine ­Neurodermitis kaum sein. Séverine Schmid, 40, erzählt von ihrer Verzweiflung über eine scheinbar un­heilbare Krankheit.

Neurodermitis gross

So wie ich aus den Erzählungen meiner Eltern weiss, ist meine Neurodermitis im Alter von vier Monaten ausgebrochen. Vorerst in Form des sogenannten Milchschorfs. Ich hatte entzündete Wangen und Ohren. Die Umstellung von Muttermilch auf Schoppennahrung könnte der Auslöser gewesen sein. Frische Kuhmilch habe ich sogleich erbrochen.  Doch damals hat man noch keine Untersuchungen gekannt wie sie heute üblich sind.

Mit Handschuhen versuchte man mich davor zu bewahren, mich wund zu kratzen. Auch für meine Eltern waren die Nächte eine grosse Herausforderung. Die Primarschulzeit habe ich soweit in guter Erinnerung. Die üblichen Stellen wie Hals, Armbeugen, Kniekehlen und Ohren waren betroffen. Doch ich fühlte mich weder eingeschränkt noch krank. Erst mit zunehmendem Stress an der Oberstufe breitete sich das Ekzem immer weiter aus. Der Juckreiz wurde stärker und die Haut trockener. Während der Lehrzeit, dem späteren Beruf bis zur ersten Schwangerschaft folgten die schlimmsten zehn Jahre.

Lernen, auf die Menschen zuzugehen

Ich litt an dauerndem Juckreiz, hatte Schmerzen und war in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dazu kam extremer Schlafmangel. Die Kleidung wurde zur Plage. Angenehme helle Stoffe waren das Einzige, was ich tragen konnte. Da vor allem auch das Gesicht, der Hals und die Ohren stark betroffen waren, litt ich schon unter Schamgefühlen. Dennoch habe ich mich nicht versteckt. Während meiner ersten Ausbildung im Detailhandel musste ich lernen, auf die Menschen zuzugehen. Meine erste längere Liebesbeziehung war sehr gestört wegen meiner Erkrankung. Ich konnte vielen Akti­vitäten und Sport nicht nachgehen.

Mit 23 absolvierte ich ein Praktikum in der Altenpflege. Ich liebte diesen Beruf und wollte eine Ausbildung machen, obwohl mir davon abgeraten wurde. So machte ich schliesslich die einjährige Ausbildung zur Pflegeassistentin. Schulisch war das für mich kein Problem, doch meine Haut war so stark entzündet und infiziert, dass ich mich oft kaum mehr bewegen konnte. Eine höhere Ausbildung war mir damit nicht möglich. Im Pflegeheim hat man mich einfach so akzeptiert.

Stundenlange Hautpflege

Von meinen Eltern geprägt, suchte ich meinen Weg in der Naturheilmedizin. Auf Kortison verzichtete ich trotz dem

grossen Leiden. Bis ich einige Jahre rein gar nichts mehr unternahm. Erst ab circa dem 30. Lebensjahr liess ich mir Kortison von meinem Hausarzt verschreiben, wenn ich es gar nicht mehr ausgehalten habe. Der zeitliche und finanzielle Pflegeaufwand war enorm. Stundenlang war ich damit beschäftigt, meine Haut zu pflegen, mich umständlich zu waschen, Hautschüppchen zu entfernen oder die Bettwäsche von Blutflecken zu reinigen. Oft war ich am Boden und musste weinen. Es verletzte mich, wenn jemand zu mir sagte, mein Kratzen sei doch nur psychisch. Doch ich habe gelernt zu ignorieren, zu ertragen und hinzunehmen, vor allem auch meinen Kindern zuliebe, was mich jedoch stets sehr viel Kraft gekostet hat. Vieles davon wurde mir erst nach meiner Heilung bewusst.

Haut heilte am ganzen Körper ab

Vor zwei Jahren musste ich zweimal hintereinander stationär behandelt werden – wegen bakteriellen Infekten auf der Haut. Mein damaliger Hautarzt überwies mich an die Dermatologie am Kantonsspital St. Gallen. Nach Monaten gelang es dem Chefarzt Dr. Cozzio, für mich ein ganz neuartiges Medikament beantragen zu lassen. Bereits einige Tage nach der ersten Injektion Ende September 2017, kurz nach meinem 40. Geburtstag, heilte meine Haut am ganzen Körper ab. Unglaublich, wie meine Haut danach weich wurde – wie eine gesunde Haut. Daran zu glauben, dies je einmal erleben zu dürfen, hatte ich längst aufgegeben.

Ich rate allen Betroffenen, offen zu sein für Neues aus der Schulmedizin wie auch der Alternativheilkunde. Auch eine Schamanin an meinem ehemaligen Wohnort konnte mir einige Zeit grosse Linderung verschaffen.

Stark sein und etwas durchzustehen hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Wir müssen uns nicht verstecken oder uns genieren. Selbstbewusst zu sein ist oft sehr schwierig, jedoch sehr wichtig. Die Menschen um uns herum sollen ohne Hemmungen fragen dürfen, an welcher Krankheit wir leiden.

Ich bereue jedoch manchmal, nicht früher oder öfter Hilfe von Spezialisten beziehungsweise stärkere Mittel in Anspruch genommen zu haben. Ich habe sehr viele Jahre zu sehr gelitten und mich eingeschränkt. Und mein Leiden zu lange einfach hingenommen wie es ist.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 21.08.2018.

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