Psychopharmaka in der Klapsmühle

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Gehen den Psychiatern bald die Pillen aus? Grosse Firmen ziehen sich aus der Entwicklung von neuen Medikamenten gegen Depressionen und Schizophrenien zurück.

Ein Artikel in der Ärztezeitung lässt aufhorchen. Die Frage lautet: Stehen den Patienten mit psychischen Störungen in naher Zukunft überhaupt noch neue, innovative Substanzen zur Verfügung oder versiegt der Nachschub? Namhafte Pharmafirmen ziehen sich in letzter Zeit aus der Psychopharmaka-Forschung zurück und investieren lieber in den lukrativen Markt der neuen Medikamente gegen Krebs. Die Liste bekannter Firmen, die ihre Forschung stark reduzierten oder gar ganz schlossen, ist lang. So gab GlaxoSmithKline die Bereiche Schmerz, Depressionen und Angst auf. Zwei Neuroscience-Center wurden geschlossen. Im selben Jahr beendete AstraZeneca die Neuentwicklung von Medikamenten gegen Schizophrenie, bipolare Störungen, Depression und Angst. Auch hier wurde die Schliessung von Forschungszentren in den USA und Europa angekündigt. Und erst vor kurzem hat das Unternehmen Bristol-Myers Squibb mitgeteilt, seine Forschung im gesamten Gehirnbereich weitgehend einzustellen.

Die europäische Neuropharmakologen-Gesellschaft schlug daher Alarm und hat davor gewarnt, dass der Rückzug der Industrie die Entwicklung von besseren und wirksameren Psychopharmaka gefährde. Die Zahlen sprechen Bände. Rund ein Drittel aller fortgeschrittenen Forschungsprojekte laufen im Bereich der Krebsforschung und nur fünf Prozent der neuen Medikamente werden gegen psychische Störungen entwickelt. Der Psychopharmakamarkt ist in der Tat riskant. Allein in den letzten Monaten sind fünf Wirkstoffe gegen Depressionen in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium wegen mangelnder Wirksamkeit gescheitert, bei den neuen Medikamenten gegen Schizophrenie sieht es nicht viel besser aus. Experten bezeichnen denn auch die Situation im Psychopharmakamarkt als regelrechten Friedhof. Zur Zeit schaffen es nur gerade acht Prozent der Wirkstoffe, die sich bereits in klinischen Studien befinden, bis zur Zulassung.

Dafür gibt es viele Gründe. Einmal mangelt es an geeigneten Prüfungsmodellen. So werden neue Antidepressiva bei Mäusen getestet, indem man die Tiere in ein Glas Wasser wirft und die Zeit stoppt, bis die Tiere die Schwimmversuche aufgeben und sich dem Tod durch Ertrinken hingeben. Je länger ihnen das gelingt, desto stärker scheint die antidepressive Wirkung der Substanz zu sein. Das Modell ist jedoch absurd und in höchstem Masse zynisch und widerspiegelt in keiner Weise, was sich bei einer Depression im Hirn eines Menschen abspielt, weil eine Depression beim Menschen immer multifaktoriell ist, das heisst, ganz unterschiedliche Ursachen hat. Hinzu kommt, dass der Behandlungserfolg in der Psychiatrie oft sehr schwer zu beurteilen und der Placebo-Effekt sehr gross ist. All diese Gründe führen dazu, dass die Entwicklung eines Psychopharmakon Jahre länger dauert als von anderen Medikamenten.

Eine der wenigen Ausnahmen ist das Unternehmen Lundbeck, das in Kürze Medikamente gegen Alkoholabhängigkeit, Depression und Schizophrenie einführen will. Innovationen sind dringend nötig. Die heutigen Antidepressiva zum Beispiel wirken nur bei der Hälfte der Patienten, die Nebenwirkungen sind oft erheblich. Entscheidend ist auch, psychische Störungen viel stärker als bisher in einem Lebenszusammenhang zu sehen, bei dem das gesamte familiäre und berufliche Umfeld eines Patienten berücksichtigt wird. An diesem Umfeld und an der Lebensgeschichte eines Menschen kann kein Medikament etwas ändern.