Sagt Ihnen Lost Penis etwas?

Einsamer roter Ballon in der Luft. Er soll das Lost-Penis-Syndrom symbolisieren. Bild: AdobeStock, Urheber: marketlan

Manche Erzählungen halten sich hartnäckig – auch wenn schon lange das Gegenteil bewiesen wurde. So auch die Vorstellung, dass sich eine Vagina durch viel Geschlechstverkehr oder eine Geburt ausweiten kann «Das stimmt einfach nicht», sagt Sexologin Sarah Graf. «Das wäre das Gleiche, wie wenn man behaupten würde, der Penis werde immer dünner, nur weil ein Mann viel Sex habe.» Der Vergleich leuchtet ein. Trotzdem gibt es Männer, die das Gefühl haben, ihren Penis während des Geschlechtsverkehrs nicht zu spüren, weil die Vagina zu gross sei.

Keine offiziell anerkannte Störung

«Obwohl es den Begriff Lost Penis tatsächlich gibt, handelt es sich dabei um keine offizielle Krankheit oder anerkannte Störung. Das Lost-Penis-Syndrom ist eher ein Symptom oder eine Begleiterscheinung verschiedener sexueller Störungen», erklärt Sarah Graf. Das heisst, dass die Gründe in den allermeisten Fällen beim Mann selbst liegen. «Oft steckt dahinter eine fehlende Wahrnehmung des eigenen Penis.»

Die Sexologin erzählt von Klienten, die bei der Selbstbefriedigung kein Problem mit der Erektion haben. Sobald der Geschlechtsverkehr aber mit einer Frau stattfindet, verschwindet das gute Gefühl, und der Penis fühlt sich verloren an. «Wichtig ist, dass man den Grund dafür herausfindet und sich fragt: Was erregt mich, und wie habe ich die Lust erlernt? Oft wird auch bei der Selbstbefriedigung sehr viel Druck auf den Penis ausgeübt – das kann eine Vagina gar nicht nachmachen.»

Sarah Graf, Sexologin MA, Paartherapeutin, www.sarah-graf.ch

Das Gute ist, dass man die Wahrnehmung schulen kann. «Ich rate, back to the roots zu gehen. Also von vorne zu beginnen und hineinzuspüren und auszuprobieren, was einem gefällt. Können das auch sanfte Berührungen sein, oder braucht man immer sehr viel Druck? Hat man mechanischen Sex, können Berührungen erweitert werden? Wenn der Paarsex immer mechanisch und mit viel Druck ausgeübt wird, haben beide nicht so viel davon. Zwischendurch kann das aufregend sein, aber bei der Sexualität geht es auch um Diversität. Die Abwechslung macht es erst richtig spannend.»

Beckenbodensenkung ausschliessen

In seltenen Fällen kann es sein, dass die Vaginalwände wirklich nicht mehr so eng sind. Dann steckt meistens eine Beckenbodensenkung dahinter, welche auf den Gebärmutterhals oder die Vaginalwände drückt. Das betrifft aber in der Regel vor allem Frauen ab 60 Jahren. Viel öfter kommt es hingegen vor, dass die Frau bei der rein vaginalen Stimulation nicht zum Orgasmus kommt. Hier sind die Zahlen, im Gegensatz zum Lost-Penis-Syndrom, klar. «Studien zeigen, dass fast 80 Prozent der Frauen eine klitorale Stimulation während des Sex brauchen», sagt Sarah Graf.