Scheisse, ich hab Parkinson

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Um alles in der Welt, warum schreib ich Dir auch noch einen Brief? Du beschäftigst mich schon genug, am Tag und oft auch in der Nacht. Manchmal nervst Du mich wie mich noch nie jemand genervt hat. Sehr viel hat sich wegen Dir verändert. Ich bin nicht mehr derselbe wie vorher. Früher strotzte ich vor Energie. Heute fehlt mir oft die Kraft für die banalsten Dinge. Ich laufe nicht mehr aufrecht, sondern nach vorne geneigt, weil die Rumpfmuskeln mich beim Gehen nicht mehr richtig tragen. Beim Aufstehen muss ich mich abstützen. Die Bewegungen sind langsamer geworden. Beim Schreiben gehorchen mir die Finger nicht mehr richtig. Es ist wie ein Leben in Zeitlupe. Nur das Zittern hast Du mir bisher noch erspart.

Du zerstückelst meinen Schlaf. Früher habe ich durchgeschlafen, heute ist das eine Illusion. Stundenlang liege ich mitten in der Nacht wach. Seltsame Traumgestalten machen sich über mich her. Sie bedrohen mich, wollen mich überwältigen und aus meinem Schlafzimmer zerren. Ich wehre mich mit Händen und Füssen. Schreie, um die Angreifer in die Flucht zu schlagen.

Selbst mein vegetatives Nervensystem lässt Du nicht in Ruhe. Mein Blutdruck ist so anfällig, geworden, dass mir beim Aufstehen schwindlig wird. Den Begriff «Reizblase» kannte ich bisher nur vom Hörensagen. Jetzt weiss ich, wie überfallsartig und eklig dieser Drang sein kann. Auch die Sexualität verschonst Du nicht. In jungen Jahren war es für mich kein Problem, mehrmals hintereinander zu kommen. Heute ist jede noch so mickrige Erektion ein Ereignis, das gefeiert werden muss.

Ich habe keine Ahnung, wohin das alles noch führt. Ich will es auch gar nicht wissen. Ich würde nur den Verstand verlieren. Denn die Frage aller Fragen ist doch die: Wartet am Ende die Demenz? Wenigstens könnte ich Dich dann vergessen.

Überhaupt, was willst Du in meinem Leben? Was soll ich mit Dir anfangen? Willst Du mir etwas zeigen? Welchen Sinn macht das alles? Eine Krankheit hat nie einen Sinn, so verzweifelt ich auch danach suche.

Als Du in mein Leben eingedrungen warst, habe ich «Scheisse» gesagt. Mich gegen Dich auflehnen oder ankämpfen wollte ich aber nie. Das bist Du mir nicht wert. Also habe ich von der ersten Minute an mich mit Dir arrangiert. Du bist zu meinem ständigen Begleiter geworden. Ich begrüsse Dich jeden Morgen und schenke Dir Aufmerksamkeit, aber ja nicht zu viel. Manchmal sage ich Dir, dass Du Deinen Mund halten und mich in Ruhe lassen sollst. Ein anderes Mal beginne ich mit Dir zu plaudern und erinnere mich, wie es war, als ich Dich noch nicht kannte.

Was soll ich Dir noch sagen? Parkinson, bleib ruhig. Es ist gut, wie es ist.