Schwäche gehört nicht einfach zum Alter

Wer mit 65 und darüber öfters müde ist und nicht mehr richtig mag, muss das nicht tatenlos hinnehmen. Allgemeinarzt Dr. Lukas Moll in ­Rorschach sagt, wie er bei Verdacht auf Eisenmangel vorgeht.

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An was denken Sie, wenn Ihnen ein Patient über 65 erzählt, er sei vermehrt müde und habe kaum noch Energie?

Für solche Symptome gibt es eine Vielzahl von Ursachen, unter anderem Eisenmangel. Als Allgemeinarzt ist es wichtig, dem Patienten gut zuzuhören, ihn ernst zu nehmen, nachzufragen, sich so ein differenziertes Bild zu machen und dann an alle möglichen Ursachen zu denken.

Gehört denn eine gewisse Schwäche nicht einfach zum Alter?

Eine gewisse Schwäche gehört zum Alter. Das Wetter und das Alter sind für mich aber keine ausreichenden Erklärungen, wenn jemand überhaupt nicht mehr mag oder sogar depressive Gedanken hat. Als Arzt suche ich nach einem nachvollziehbaren Grund, wenn es einem meiner Patienten nicht gutgeht.

Man spricht doch von der Altersdepression.

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Dr. Lukas Moll

Auch hier Einspruch! Eine Depression nach der Pensionierung ist nicht einfach eine Altersdepression. Dahinter können sich auch verschiedene körperliche Ursachen wie zum Beispiel Eisenmangel verbergen. Wichtig ist, an so etwas zu denken, bevor man dem Patienten vorschnell eine Diagnose mitteilt. Ich checke oft auch von mir aus, ob die Eisenreserven noch genügend hoch sind.

Was sind die Gründe für einen Eisenmangel im Alter, wenn es sich dabei nicht um eine natürliche Alterserscheinung handelt?

Wichtige Gründe für Eisendefizite bei älteren Menschen sind unzureichende Ernährung, mangelnder Appetit, Kauprobleme, Vereinsamung, chronisch-entzündliche Erkrankungen, Blutverluste über den Darm, oft begünstigt durch die Einnahme von Schmerzmitteln, sowie die stark reduzierte Aufnahmefähigkeit von Eisen im Darm.

Weshalb sind genügend Eisenreserven im dritten Lebensabschnitt so wichtig?

Das Alter ist für den Menschen ohnehin eine grosse Herausforderung, körperlich und psychisch. Die Muskelkraft geht zurück, die Lungenfunktion, das Herz wird schwächer, der Stoffwechsel verlangsamt sich, die Gehirnfunktionen lassen nach und so weiter. Kommt dann noch so etwas wie ein Eisenmangel dazu, wird es sehr schwierig. Das Eisen ist an so vielen Vorgängen im Körper zentral beteiligt, dass es ein limitierender Faktor für die Gesundheit im Alter ist.

Wie macht sich Eisenmangel bei Menschen über 65 bemerkbar?

Eigentlich nicht anders als jüngeren Menschen auch. Sie sind müde und abgeschlagen, antriebslos. Der Schlaf ist nicht mehr erholsam. Typisch ist auch ein allgemeines Schwächegefühl. Die Betroffenen frösteln, wenn es anderen noch ganz warm ist. Und dann natürlich die vermehrte Neigung zu depressiven Gedanken. Bevor ich einem älteren Menschen ein Antidepressivum gebe, schliesse ich zuerst einen Eisenmangel aus.

Und welches sind die Folgen von Eisenmangel bei Betagten?

Die Symptome reichen von körperlichem Leistungsabfall, Schwächegefühl, verminderter Muskelkraft, mangelnder Koordination, Sturzanfälligkeit, Verlust der Selbstständigkeit, chronischer Müdigkeit und Apathie bis zu Kopfschmerzen und Defiziten von Gedächtnis und Konzentration, Verwirrtheitszuständen und sogar Depressionen. Es ist erwiesen, dass Eisenmangel im Alter die Sturzgefahr, aber auch das Demenz- sowie das Sterberisiko erhöht.

Wie lässt sich Eisenmangel verifizieren?

Ganz einfach mit einer Blutentnahme, indem man das sogenannte Ferritin, das Eisenspeicher-Protein, im Blut bestimmt. Zusammen mit der Symptomatik des Patienten gibt dieser Wert ein verlässliches Bild, wie es um die Eisenreserven eines Menschen steht.

Soll der Patient den Arzt einfach nach dem Ferritin-Wert fragen?

Der Patient kann den Arzt alles fragen. Ich bin froh, wenn er mitdenkt. Ich habe kein Problem mit Dr. Google und neugierigen, engagierten Patienten. Je mehr sie fragen und je anspruchsvoller sie sind, desto besser gelingt es mir, sie zu informieren und für eine gemeinsam vereinbarte Behandlung zu gewinnen. Der informierte Patient trägt auch die Therapie besser mit. So einfach ist das.

Geben Sie einem Patienten mit Eisenmangel ­einfach ein Eisenpräparat?

Bei jüngeren durchaus. Wenn eine Frau mit häufigen, starken Menstruationen unter Eisenmangel leidet, muss ich nicht lange nach Ursachen suchen. Bei einem älteren Menschen hingegen will ich wissen, ob sich etwas Spezielles hinter dem Eisenmangel verbirgt und kläre ihn deshalb zum Beispiel auf Blutverluste im Magen-Darm-Trakt ab, um nicht einen Tumor zu verpassen.

Wie machen Sie die Eisenbehandlung, mit ­Tabletten oder intravenös?

Eine orale Eisentherapie bei älteren Menschen – und auch bei den meisten jüngeren – bringt selten innert nützlicher Frist die gewünschten Resultate und ist oft mit ausgeprägten Nebenwirkungen behaftet, vor allem Übelkeit, Brechreiz und Verstopfung. Für die Betroffenen ist das sehr unangenehm und ein häufiger Grund, die orale Behandlung abzubrechen. Ältere Menschen müssen ohnehin schon genügend Tabletten nehmen. Da ist jede Tablette mehr ein zusätzliches Problem. Deshalb bevorzuge ich bei älteren Menschen die intravenöse Therapie.

Ab welchen Ferritin-Werten machen Sie eine Behandlung?

Ich behandle bei einem Ferritin-Wert unter 30. Bei typischer Symptomatik auch schon bei Ferritin-Werten unter 50. Dabei informiere ich die Patienten, dass die Krankenkasse die Behandlung unter Umständen erst bei Werten unter 30 bezahlt. Die meisten Patienten entscheiden sich dann trotzdem für die Therapie. Ziel der Behandlung ist, normale Körpereisenspeicher zu erreichen, also Ferritin-Werte zwischen 50 und 100.

Machen Sie den Check

Folgende Symptome können auf Eisenmangel hinweisen:

  • Müdigkeit, Erschöpfung
  • Depressive Verstimmungen
  • Abfall der Leistungsfähigkeit
  • Energiemangel
  • Allgemeines Schwächegefühl
  • Kältegefühl
  • Haarausfall
  • Brüchige Nägel
  • Ruhelose Beine
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 31.03.2016.

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