Sicherer, einfacher, wirksamer

Blutverduennung Herz

Jeder hundertste Schweizer und jede hundertste Schweizerin muss sein Blut langfristig oder sogar lebenslang verdünnen. Lange Zeit standen für die Dauer-Antikoagulation nur Vitamin-K-Gegenspieler zur Verfügung, die oft schwierig zu dosieren und mit erheblichen Nachteilen verbunden sind. Dazu gehören Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln und vielen Medikamenten. Um eine optimale Wirkung zu erreichen, braucht es regelmässige Blutkontrollen. Anhand dieser Kontrollen sieht man, ob das Mittel zu stark oder zu wenig wirkt. Ist die Blutverdünnung zu stark, sind Blutungen möglich. Ist sie zu schwach, besteht die Gefahr einer Thrombose oder eines Schlaganfalls.

Regelmässige Einnahme entscheidend

Nach sieben Jahrzehnten Stillstand fand in jüngster Vergangenheit ein eigentlicher Generationenwechsel statt. Mittel kamen auf den Markt, die gezielt in die Blutgerinnung eingreifen, einfach oral einzunehmen sind und die deutlich weniger Nahrungs- und Arzneimittelinteraktionen haben. Die Dosierung ist einfach, die Gefahr schwerer Blutungen zudem erheblich kleiner. Kontrollen der Blutgerinnung erübrigen sich. Die neuen direkten Blutverdünner sind nicht nur besser steuerbar als die Vitamin-K-Gegenspieler, ihre Wirkung beginnt bald nach der Einnahme und endet rasch nach der Unterbrechung der Behandlung wieder. Alle relevanten und gross angelegten Studien zeigen nicht nur, dass die neuen Präparate vorhersagbar, konstant und zuverlässig wirken, sondern dass die neuen Präparate auch mit weniger Hirnblutungen einhergehen als die alten Blutverdünner. Entscheidend ist, dass die neuen Blutverdünner regelmässig eingenommen werden und dass keine einzige Tablette vergessen wird. Weil sich die Wirkstoffe bereits innerhalb eines Tages stark abbauen, geht die Schutzwirkung, beispielsweise vor Schlaganfällen, rasch verloren, ohne dass dies jemand merkt.

Konkurrenz durch neue Wirkstoffe

Der erste neue direkte orale Blutverdünner ist seit 2008 auf dem Markt. Er hat ein breites Anwendungsspektrum: Vorbeugung venöser Thrombosen und Embolien bei Patienten mit orthopädischen Operationen wie Hüft- oder Kniegelenksersatz, Prävention von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern, Akut- und Langzeitbehandlung von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien. Das Mittel wird einmal pro Tag als Tablette eingenommen. Es beschert seinem Hersteller jedes Jahr steigende Milliardenumsätze. Inzwischen hat dieser Kassenschlager durch neue Wirkstoffe Konkurrenz erhalten.

Ein entscheidender Punkt bei Blutgerinnungshemmern, ob herkömmliche oder neue: Sie können zu Blutungen führen. Die Zahlen sind geringer als häufig dargestellt. Zudem zeigen US-Studien, dass es mit den neuen Wirkstoffen zu bis zu 70 Prozent weniger Hirnblutungen kommt als bei der herkömmlichen Therapie. Dennoch stellen immer noch viele Ärzte ihre Patienten nur sehr zögerlich auf die neuen direkten Blutverdünner ein oder um, obwohl sie viel einfacher und sicherer zu handhaben sind. So zeigen Daten von über 28 000 Patienten eines europaweiten Registers, dass besonders Menschen mit Vorhofflimmern oft nur unzureichend oder überhaupt nicht gegen Schlaganfall geschützt sind. Aus Angst vor Hirnblutungen werden oft wenig geeignete oder gar keine gerinnungshemmenden Medikamente eingesetzt.

Privatdozent Dr. med. Jan Steffel, Leitender Arzt Kardiologie/Rhythmologie am Universitären Herzzentrum Zürich, macht für diese Praxis verschiedene Gründe verantwortlich. Einerseits hätten Ärzte grundsätzlich Angst, dem Patienten Schaden zuzufügen, zum Beispiel durch eine Blutung wegen der Blutverdünnung. Andererseits werde ein Schlaganfall oft als «natürlicher Verlauf der Erkrankung» abgetan. Weiter sehe man den Erfolg eines verhinderten Schlaganfalls durch die Blutverdünnung nicht direkt, im Gegensatz zum Misserfolg, der Blutung. «Heute gibt es nicht nur Daten aus den grossen Studien, sondern auch sorgfältig gesammelte Erfahrungen aus der täglichen Praxis, welche zeigen, dass die neuen den alten Blutverdünnern klar überlegen sind, vor allem bezüglich Sicherheit.» Das Fazit von Dr. Steffel: «Insbesondere das deutlich reduzierte Risiko für eine Hirnblutung sollte hoffentlich dazu führen, dass Patienten mit Vorhofflimmern konsequent und nach den neusten Kriterien vor Schlaganfällen geschützt werden.»

PD Dr. med. Jan Steffel, Leitender Arzt Kardiologie/Rhythmologie am Universitären Herzzentrum Zürich.

Dr. Jan Steffel hofft, dass mit der Einführung des ersten Gegenmittels die letzten psychologischen Barrieren der Ärzte beim Einsatz der neuen, oralen Antikoagulantien fallen und dass somit noch viel mehr Menschen vor Hirnschlägen und anderen schweren Herz-Kreislauf-Komplikationen und Tod bewahrt werden können. Das Antidot wurde erst kürzlich für einen der neuen direkten oralen Blutverdünner zugelassen. Im Notfall – sei es eine Notoperation oder eine Blutung infolge eines Sturzes oder eines Unfalls – hebt das Antidot die Blutverdünnung sofort und vollständig auf. Damit steht den Ärzten erstmals ein neuer oraler Blutverdünner mitsamt dem dazugehörigen Gegenmittel zur Verfügung. Allerdings liefern sich die Pharmafirmen auch hier ein Kopf-an-Kopf-Rennen. So ist zu erwarten, dass ein weiteres Gegenmittel noch dieses oder spätestens nächstes Jahr die Zulassung erhält.

Bedrohliche Fakten

  • Das Schlaganfallrisiko liegt bei Patienten mit Vorhofflimmern ohne Blutverdünnung durchschnittlich bei bedrohlichen acht Prozent. Das heisst: Jedes Jahr trifft es acht von 100 Menschen mit dieser häufigsten aller Herzrhythmusstörungen. Vorhofflimmern ist für fast ein Drittel aller Schlaganfälle verantwortlich.
  • Die Hälfte aller Menschen mit einer frischen Beinvenenthrombose haben, meist ohne es zu spüren, bereits kleinere Lungenembolien. Mit der Blutverdünnung will man die Ausbreitung der Thrombose und weitere Lungenembolien verhindern sowie auch die Entstehung von Spätkomplikationen wie ein offenes Bein oder Lungenhochdruck.
  • Die Verhinderung von Blutgerinnseln und deren Verschleppung ins Gehirn bei Vorhofflimmern ist eines der wichtigsten Anwendungsgebiete der Blutverdünner.