Stottern ist okay

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Besser kommunizieren Teil 10. Prof. Jürgen Steiner von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich gibt Tipps für den Umgang mit Stottern.

  • Synchronisieren: Wenn Kinder all ihre Erlebnisse und Gefühle mitteilen wollen, braucht es eine Ordnung der Planung, der Worte und der Sätze. Dies stellt hohe Anforderungen an das Zusammenspiel von rechter und linker Hirnhälfte, von Fühlen, Denken und Versprachlichen. Wenn Kinder noch klein sind, klaffen (Sprach-) Kapazität und (Erzähl-) Anforderung auseinander. Dieser Graben kann im Alter von 3-6 Jahren zu Sprechrhythmusproblemen führen, die zunächst einmal normal sind.
  • Hierarchie der Symptome: Wenn das Sprechen regelrecht blockiert und mit so grosser Anstrengung verbunden ist, dass dies im Gesicht oder über den Körper sichtbar ist, handelt es sich um deutliche, ernstzunehmende Symptome, die man als Redeflussstörung bezeichnet. Auch Mehrfach-Wiederholungen oder Langziehen von Buchstaben sind Merkmale, bei denen man eine Fachperson fragt. Redeflussstörungen können sich auch durch sehr überhastetes Sprechen zeigen. Werden einzelne Silben oder Worte am Satzanfang wiederholt, kann es sich um reguläre Satzplanungs- bzw. Rhythmisierungsprobleme handeln.
  • Profi: Die Logopädin kann nicht nur zwischen vorübergehender, entwicklungsüblicher Sprechunflüssigkeit und beginnendem Stotttern unterscheiden, sondern steht auch mit Rat und Tat zur Seite.
  • Sorgen der Eltern: Wenn Ihr Kind über einen längeren Zeitraum Sprechrhythmusprobleme zeigt, bitten Sie Ihren Kinderarzt, dass er es zur Abklärung und Beratung an eine Logopädin verweist.
  • Ursachenpakete: Wie bei den meisten Problemen ist auch das Stottern multifaktoriell bedingt. Es ist demnach nicht sinnvoll, die alleinige Ursache in belastenden zurückliegenden Ereignissen oder der jetzigen psychischen Situation zu suchen. In der Regel sind Verhaltensbesonderheiten (Rückzug, Vermeidung usw.) nur die Folge, nicht aber die Ursache von Redeflussstörungen.
  • Nur Mut: Selbstvertrauen und Selbstwert müssen bei Menschen, die Sprechrhythmusprobleme haben, nicht zwangsläufig herabgesetzt sein. Sollte dies aber so sein, hilft der Austausch in einer therapeutisch geführten Gruppe. Auch Stressbearbeitung bzw. Entspannung und Atmung sind Themen, bei denen Therapeutinnen und Therapeuten helfen können.
  • Therapieerfolg: Falls eine Therapie notwendig sein sollte, ist das wichtigste Ziel, Akzeptanz für Sprecheigenheiten herzustellen und schwere Formen wie Anstrengung und Blockaden in ein „flüssiges, anstrengungsfreies Stottern“ zu transferieren. Wenn ich mich, wie auch immer, frei äussern kann, und mich nicht über Vermeidung zurückziehe oder Energie für (Fehl-)Kompensationen verliere, ist schon viel gewonnen.
  • Kontrolle: Neben Akzeptanz geht es auch darum, die Flüssigkeit beim Sprechen zu steuern. Auch Menschen, die stark stottern, können teilweise ihr Sprechen über eine „Sprechtechnik“ gut kontrollieren. Dies kostet meist sehr viel Energie und verdient unseren Respekt.
  • Künstlergemeinschaft: Unter Schauspielern und Musikern sind einige bekannte Persönlichkeiten, die in anderen Kontexten als auf der Bühne stottern.
  • Ratschläge sind auch Schläge: Tipps wie „Hol erst einmal tief Luft“ oder „Denk erst einmal nach“ helfen nicht nur nicht, sie erzeugen auch zusätzlichen Stress für den Gesprächspartner. Nehmen Sie sich stattdessen Zeit und verhalten Sie sich ganz normal (Blickkontakt, Signale des Interesses usw.).
  • Inhalt vor Form: Wenn jemand etwas Wichtiges, Emotionales oder etwas Schwieriges mitzuteilen hat, gilt die Regel: Es zählt der Inhalt, nicht die Form. Verbesserungen oder angefangene Sätze beenden sind unhöflich und erzeugen Störungen.
  • Stottern ist okay: Dies ist ein sinnvoller Slogan. Ich kann mich gesund fühlen, wenn ich, mit oder ohne Stottern, meinen Alltag, meine Beziehungen und meine Arbeitsanforderungen bewältigen kann, wenn ich mich sprechend ausdrücke und im Gespräch bleibe.

 

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Prof. Dr. habil. Jürgen Steiner HfH MitarbeiterInnen 2013

www.hfh.ch