Professor Christian Cajochen von der Abteilung Chronobiologie der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel sagt, wie man gesundheitliche Probleme bei unregelmässigen Arbeitszeiten vermeidet.
Der Mensch ist ein tagesaktives Wesen. Alle Vorgänge unseres Körpers unterliegen dem Diktat der inneren Uhr, die uns vorgibt, am Tag wach zu sein und während der Nacht zu ruhen beziehungsweise zu schlafen. Dieses interne Programm ist genetisch festgelegt und über das Nervensystem fest verschaltet, sodass es sich nicht einfach umprogrammieren lässt. Gesteuert werden die Tagnachtrhythmen von Nervenkernen in der Hirnbasis. Diese stehen mit anderen Hirnteilen in Verbindung und regulieren Körpertemperatur, Hormonfreisetzung und viele andere Funktionen. Eine wichtige Rolle spielen dabei das Tageslicht und eine vom Auge zu den Nervenkernen verlaufende Nervenbahn.
Normalerweise sind gesunde Menschen mit dem 24-Stunden Tag im Einklang. Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch das Gleichgewicht zwischen der inneren Uhr und äusseren Faktoren jedoch bewusst verändern. In der heutigen Gesellschaft fällt das sehr leicht. Das natürliche Licht wird durch künstliches Licht verändert. Die Menschen in modernen Gesellschaften werden immer mobiler, und die Zahl der Erwerbstätigen mit unregelmässigen oder ungewöhnlichen Arbeitszeiten nimmt von Jahr zu Jahr zu. In den USA sind über 20 Prozent der Berufstätigen betroffen. Viele Unternehmen vor allem im Dienstleistungssektor bieten immer häufiger 24-Stunden-Services an. Die Folgen dieser 24-Stunden-7-Tage-Gesellschaft spiegelt sich in einer hohen Zahl an Patienten nieder, die den Arzt zur Abklärung von Tag/Nacht-Rhythmus- und Schlafstörungen aufsuchen.
Vielen Arbeitnehmern werden ungewöhnliche und unregelmässige Arbeitszeiten auferlegt. Dadurch entstehen gesundheitliche Probleme, die jenen des Jet Lag ähneln. Wer nachts arbeitet, muss sich nicht nur einem unnatürlichen Rhythmus anpassen, er schläft auch weniger, weil Lärm, Tageslicht und höhere Raumtemperaturen den Schlaf am Tage häufig stören. Im Vergleich zur durchschnittlichen Schlafdauer von Menschen, die tagsüber arbeiten, ist die Schlafdauer von Nachtarbeitern um zwei bis vier Stunden verkürzt. Auch bei wechselnden Arbeitszeiten finden die Betroffenen gewöhnlich keinen ausreichenden Schlaf. Da zwischen 2 und 5 Uhr morgens die grösste Müdigkeit eintritt, wird die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer selbst nach jahrelanger Nachtarbeit erheblich beeinträchtigt. Zahlreiche Studien belegen, dass sich Müdigkeit negativ auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und selbst auf Bewegungsfähigkeit und Stimmung auswirkt. Müdigkeit und unzureichender Schlaf von Nachtarbeitern stellen sich immer wieder als mitverursachende Faktoren bei Unfällen heraus. Die Kosten, die der Gesellschaft durch schlafbedingte Unfälle entstehen, sind enorm. Die Betroffenen werden zudem mit erheblichen sozialen Problemen konfrontiert, da sie zu Zeiten arbeiten, wenn andere schlafen und umgekehrt. Viele klagen, dass ihnen die Zeit für Familie und Freunde und für alltägliche Besorgungen fehlt. Da sich das öffentliche und gesellschaftliche Leben am Rhythmus der Tagesarbeit orientiert, fühlen sie sich oft ausgeschlossen und sind frustriert. So gerät der Betroffene in ein zeitliches Ghetto, in welchem er von seiner Umwelt isoliert lebt.
Es gibt keine Patentrezepte für unregelmässige und ungewöhnliche Arbeitszeiten. In jedem Einzelfall müssen betriebliche Anforderungen und gesundheitliche Aspekte aufeinander abgestimmt werden. Dennoch gibt es einige Regeln. In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass dadurch die Unfallgefahr gesenkt werden kann und die Mitarbeiter neben der Produktionssteigerung auch eine höhere Zufriedenheit haben.
Wer nachts arbeitet, sollte immer – auch an arbeitsfreien Tagen – zu festen Zeiten schlafen. Wird an freien Tagen der Schlaf vom Tag auf die Nacht verschoben, fällt die Umgewöhnung an den Arbeitstagen sehr schwer. Arbeitnehmer mit wechselnden Arbeitszeiten können die Anpassung wesentlich erleichtern, wenn sie in den letzten Tagen ihre Schlaf/Wachzeiten um ein bis zwei Stunden nach vorne verschieben. Auf diese Weise kann sich der Körper auf den veränderten Rhythmus der Nachtarbeit einstellen. Allerdings lässt die familiäre oder soziale Situation solche Zeitverschiebungen nicht immer zu. Kurze Nickerchen können hilfreich sein, wenn sich ein unregelmässiger Schlaf-Rhythmus aus beruflichen Gründen nicht vermeiden lässt. Obwohl der Schlaf an einem Stück nachweislich gesünder ist als der Schlaf in Etappen, kann man mit kurzen Nickerchen unzureichende Schlafzeiten kompensieren. Ein Nickerchen zwischendurch kann die Leistungsfähigkeit steigern, die bei unregelmässigen Arbeitszeiten oft herabgesetzt ist. Während der Arbeit ist ein kurzer Schlaf jedoch nicht unproblematisch, weil sich 15 Minuten bis eine Stunde nach dem Aufwachen gewöhnlich eine Trägheit einstellt. Das muss berücksichtigt werden, vor allem wenn die Arbeit in Alarmsituationen eine sofortige Reaktion erfordert.
Was ist mit Schlafmitteln? Sie sind nicht empfehlenswert, obwohl sie von vielen Betroffenen eingenommen werden. Sie verlieren nicht nur ihre Wirkung und führen zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit, sie haben häufig auch unerwünschte Wirkungen. Schlafmittel können die innere Uhr nicht umstellen und wirken beim Menschen nicht als Zeitgeber wie starkes Licht oder das körpereigene Hormon Melatonin, das seit kurzem in den meisten Ländern Europas als Medikament auf ärztliches Rezept zugelassen ist. Durch genau geplante Einnahme von Melatonin kann die Angewöhnungszeit an eine neue Situation reduziert werden. Zudem wirkt es schlafanstossend. Es gibt aber noch keine Studien über seine Langzeitwirkung.
Seit der Entdeckung, dass Licht der stärkste Zeitgeber ist, hat sich die Lichttherapie als eine wirkungsvolle Methode zur Regulierung der Tag/Nacht-Rhythmen und der inneren Uhr herausgestellt. Viele Untersuchungen zeigen, dass es mit Licht möglich ist, die Körperfunktionen so umzustellen, dass sie mit dem veränderten Schlaf/Wach-Rhythmus des Nachtarbeiters übereinstimmen.
Wichtig ist helles Licht am Arbeitsplatz. Die Stärke des Lichts hängt direkt mit dem Wachheitsgrad von Nachtarbeitern zusammen. Während der Nacht besteht leider immer noch die Tendenz, die Räume abzudunkeln, was nur müde macht. Ideal während der Nacht ist eine Lichtstärke von 1000 Lux.
Auch Koffein haltige Getränke können helfen, wach zu bleiben. Allerdings ist ihre Wirkung zeitlich sehr limitiert. Empfehlenswert sind Mahlzeiten mit viel Eiweiss und Kohlenhydraten. Auf schwer Verdauliches sollte man verzichten. Menschen, die Kohlenhydrate während der Nacht zu sich nehmen, berichten, es falle ihnen leichter, wach zu bleiben.
Wann können Probleme auftreten?
- Mehr als fünf Nachtschichten hintereinander ohne Freitage
- Arbeitsbeginn der ersten Schicht vor 7 Uhr
- Wöchentlicher Schichtwechsel
- Weniger als 48 Stunden Freizeit nach einem Früh-Spät-Nachtschichtplan
- Sehr viele Überstunden und übermässiges Arbeiten an Wochenenden
- Rückwärtsrotierender Schichtplan (Nacht-Früh-Spätschicht)
- 12-Stunden-Schichten mit kritischen Überwachungsaufgaben, starken körperlichen Belastungen, gefährlichen Substanzen
- Lange Arbeitswege
- Aufgeteilte Schichten mit zu kurzen Unterbrüchen
- Zu wenig Pausen während der Schichtarbeit
- Zu komplizierte Schichtpläne, die ein Vorausplanen schwierig machen