Vom Angriff zum Konsens

Henri Guttmann neu

Beruhigend ist auch zu wissen, dass Konflikte nicht nur negative Seiten haben, sondern auch Chancen bieten. Denn Konflikte können Probleme bewusst machen, den Impuls für sinnvolle Veränderungen geben oder auch den notwendigen Druck zum Handeln erzeugen.

Konflikte können am Einfachsten aufgrund der Anzahl betroffener Personen eingeteilt werden. So betreffen Paarkonflikte immer zwei Menschen, zum Beispiel ein Ehepaar oder einen Chef und seinen Mitarbeiter. Dagegen sind bei Dreieckskonflikten drei Personen betroffen, ein Ehepaar mit einem Kind oder ein Freund und ein Paar, wobei es bei dieser Form oft zu Eifersuchtskonflikten kommt. Wenn noch mehr Menschen involviert sind, sprechen wir von einem Gruppenkonflikt. Bei dieser Konfliktart gibt es verschiedene Typen wie Rangkonflikte, beispielsweise in einer Firma, Zugehörigkeitskonflikte, bei unterschiedlichen Rassen, Hautfarben oder Religionen, oder Führungskonflikte: wer führt in einem Verein, in der Familie oder im Geschäft?

Ein echter Konflikt liegt vor, wenn Menschen unterschiedliche Ziele, Werte, Interessen, Handlungsentwürfe – kurz – Positionen haben, die für ein gemeinsames Handeln auf den ersten Blick unvereinbar sind. Dabei hat jeder Konflikt immer einen sachlichen und einen emotionalen Anteil. «Konflikte beeinträchtigen unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unser Denk- und Vorstellungsleben so sehr», schreibt der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl, «dass wir im Lauf der Ereignisse die Dinge in uns und um uns herum nicht mehr richtig sehen. Es ist so, als würde sich unser Auge immer mehr trüben; unsere Sicht auf uns und die gegnerischen Menschen im Konflikt, auf die Probleme und Geschehnisse wird geschmälert, verzerrt und völlig einseitig. Unser Denk- und Vorstellungsleben folgt Zwängen, deren wir uns nicht hinreichend bewusst sind.» Das eigentliche Problem von Konflikten liegt also in der ständigen Gefahr der Eskalation, indem immer mehr auf Macht- und Gewaltstrategien gesetzt wird. Der Konflikt wird so immer schwerer zu steuern, bis er schliesslich ausser Kontrolle gerät, die Schwelle der Gewalt überschreitet und damit Zerstörung und Leiden verursacht. Friedrich Glasl hat das sehr treffend ausgedrückt: «Am Anfang hat man noch einen Konflikt – später hat einen der Konflikt.»

Bei einem sogenannten heissen Konflikt sind die betroffenen Menschen von Idealen beseelt und meinen, dass ihre eigene Sache um vieles besser sei als die der Gegenseite. Die Ziele sind in erster Linie Erreichungsziele, das heisst die Konfliktpartei will ein bestimmtes Vorhaben verwirklichen und durchsetzen. Ein heisser Konflikt kann sich in einer Familie zum Beispiel bei der Planung der nächsten Feriendestination («Wollen wir lieber Ferien ans Meer oder in die Bergen buchen?») ergeben.

Bei heissen Konflikten kommen Emotionen wie Wut und Ärger besonders zum Tragen. Für eine erfolgreiche Konfliktbewältigung muss deshalb als erster Schritt der Konfliktpartner in seinen aufgewühlten Emotionen angesprochen, verstanden und sozusagen abgeholt werden.

Dagegen zeigt sich bei einem kalten Konflikt nicht das Feuer der Begeisterung für eine Sache, sondern tiefe Enttäuschung, eine Desillusionierung und Frustration. Oft verlöscht dabei auch das Selbstwertgefühl, und die Person zeichnet von der Gegenpartei ein schwarzes Bild («der andere ist viel schlechter als ich»). Es findet eine eigentliche Einigelung statt, die Kommunikation bricht ab oder wird auf ein Minimum beschränkt.

Das Verhalten von Menschen gegenüber Konflikten kann gemäss dem deutschen Konfliktforscher Gerhard Schwarz in sechs Stadien ablaufen: Flucht oder Angriff, Übertragung an jemand Dritten (zum Beispiel Delegation an eine Vertrauensperson), Unterwerfung (Unterordnung in einer Gruppe, zum Beispiel in der Familie oder der Schule), Kompromiss (eine Teileinigung) und Konsensfindung. Oft findet eine eigentliche Entwicklung statt, indem ein Konflikt zuerst in Form eines Angriffs begonnen wird und sich die Partner im Laufe des Konfliktes aber klar werden, dass die wirkliche Lösung über Unterwerfung zu einem Kompromiss und schliesslich zu einem Konsens führen muss. Allerdings bedarf dies oft einer Begleitung durch eine Fachperson, die unabhängig und mit Expertenwissen durch den Vorgang führt.

Unter Konfliktmanagement sind Massnahmen zur Verhinderung einer Eskalation oder einer Ausbreitung eines bestehenden Konfliktes zu verstehen. Dazu zählen die Konfliktberatung und die Mediation. Wichtigstes Ziel von Konfliktmanagement ist eine systematische Auseinandersetzung mit Konflikten zur Reduktion von negativen Konfliktfolgen auf die betroffenen Menschen. Dabei geht es vor allem darum, dass alle Streitpunkte und der bisherige Verlauf unter Einbezug der beteiligten Personen von einer neutralen Stelle aufgenommen und gemeinsam bearbeitet werden. Denn letztlich haben schwelende und nicht bearbeitete Konflikte auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Ähnlich wie bei Stresssituationen können auch Konfliktsituationen das körperliche- und psychische Gleichgewicht stören und zu Krankheiten führen.

 

Tipps im Umgang mit Konfliken

Eigene Emotionen disziplinieren
Angst und Ärger sind die beiden Grundemotionen im Konflikt. Sie dürfen keine Eigendynamik
ent­wickeln. Zügeln Sie Ihre Gefühle!

Humor einbringen
Humor entspannt und verbindet. Humor hilft, die eigenen aggressiven Gefühle zu beherrschen.

Situation richtig ­ein­schätzen
Geeigneten Ort und Zeitpunkt für eine Aussprache in der Familie festlegen. Braucht es eine unabhängige, professionelle Partei?

Konflikte früh ansprechen
Wer zu lange wartet, riskiert eine Dynamik, die kaum mehr zu brechen ist. Vermuten Sie etwas, das schief geht? Sprechen Sie es an!

Konfliktumfang erkennen
Wer ist betroffen? Was sind genau die Themen? Wie zeigt sich der Konflikt? Heiss und pulsierend oder kalt und versteckt?