Der Abend, bevor meine Reise losging, war seltsam. Ich sass gemeinsam mit meinen WG-Mitbewohnenden auf dem Balkon und war nervös. Schon morgen werde ich fünf Monate ohne meine Liebsten, ohne meine gewohnte Umgebung sein.
Vollbepackt durch Genf
Um acht Uhr nahm ich den Zug nach Genf. Ich wollte möglichst niemandem mehr begegnen, sondern schnell weit weg. In Genf angekommen, navigierte ich erstmals das vollbepackte Velo aus der Stadt hinaus. Ich habe mich ein bisschen wie ein Alien gefühlt. Auch die Klickschuhe waren noch etwas ungewohnt. Ausklicken bei jeder Ampel, die Angst, es zu vergessen und voll auf die Schnauze zu fliegen. Das passierte erst 40 Kilometer später. Ich hatte vergessen, wie schwer das Velo sein kann und wie sehr ich auch meine Arme beim Fahren brauche.
Erste Unterzuckerung
Ausserhalb von Genf hatte ich dann bereits mein erstes Hypo, eine Unterzuckerung. Also Schattenplätzchen suchen, Höhenprofil des Tages auf dem Navi nachschauen und abschätzen, wie viel Sportwerte ich wohl jetzt benötige. Mein erster Schlafplatz war an einem Fluss. Das erste Mal Zelt aufbauen. Ich muss schon schmunzeln, wenn ich heute daran denke. Es war eine kleine Clown-Nummer. Aber der erste Abend allein war eigentlich ganz in Ordnung. Mit Tagebuch, Buch und Ukulele.
Alles fühlt sich langsam vertrauter an
In den ersten Tagen habe ich mich gefühlt, als würde ich eine Bike-Packerin spielen, als würde ich nur so tun, als wäre ich so lange mit dem Fahrrad unterwegs. Nach zwei Wochen hat sich dieses Gefühl verändert. Oft finde ich es schon ganz normal, auf dem Fahrrad zu wohnen. Natürlich gibt es aufregende Momente, aber das So-unterwegs-Sein fühlt sich langsam richtig nach mir an und nicht nach einem fremden Leben.
Ich bin auf einem Hochplateau in Frankreich und sehe zu, wie der Wind Wellen über einen kleinen See und über die Grasfläche treibt, und es kommt mir der Gedanke: Ich glaube, viele Menschen wollen gar nicht frei sein. Denn was mit der Freiheit Hand in Hand kommt, sind Entscheidungen, die man treffen muss. Ich rede nicht von all den Menschen, die nicht frei sein können wegen irgendeinem System oder einer machthungrigen Person, sondern von Glücklichen, die die Freiheit wählen können. Ich liebe Entscheidungen. Sie sprechen für etwas und gegen alles andere, gegen das man sich entscheidet. Aber das eine, wofür ich mich entscheide, das will ich leuchten lassen.
Insulinschema für die Reise angepasst
Zwei Höhenprofile bestimmen meinen Tag. Das, welches auf meinem Navigationsgerät zu sehen ist und das, welches meinen Blutzuckerspiegel anzeigt. Und die führen einen ganz eigenartigen Dialog. Mein Blutzucker-Höhenprofil gibt oft die Antwort auf mein Navi-Höhenprofil. Denn wenn es im Navi-Höhenprofil steil bergauf geht, kann ich darauf gehen, dass es beim Blutzucker-Höhenprofil bald steil bergab geht. Praktisch eigentlich, wenn es denn immer so wäre. Ich habe mein Insulinschema mit meinem Diabetologen für die Reise angepasst. Ich habe ein Langzeit-Insulin (Tresiba), welches 24 Stunden wirkt und ich jeweils einmal am Abend spritze. Und mein Kurzzeit-Insulin (Fiasp), welches ich spritze, wenn ich etwas esse oder meinen zu hohen Blutzucker korrigieren muss. Nichts leichter als das! Aaaaber: Eine Abzweigung verpasst und zusätzliche 60 Höhenmeter gemacht, zack: Hypo! Also, alles in allem muss ich jeden Tag neu herausfinden, was ich benötige.
Ich höre auf meinen Körper
Ich merke meine Unterzuckerung eigentlich immer so: Ich spüre ein Kribbeln im ganzen Oberkörper und in den Armen. Ich fange an zu zittern, mein Puls ist schnell. Ich habe ein Stressgefühl und werde schusselig. Beim Fahrradfahren, spannenderweise, werde ich müde. Ich merke, wie ich weniger Kraft habe. Auf die Reaktionen meines Körpers kann ich sehr gut vertrauen, worüber ich wirklich, wirklich dankbar bin (super Body!).
Oft merke ich das Hypo früher, als es mir angezeigt wird. Ich merke, wenn mein Blutzucker zu sehr sinkt oder steigt. Eigentlich eine megacoole Antenne dieser Diabetes, denn ich weiss nicht, ob ich sonst in diesen Momenten eine Pause machen würde. Eine Umstellung, die mir schwerfiel, war, dass ich in der Nacht oft einen hohen Blutzucker hatte. Ich konnte ihn mittlerweile einstellen, aber die erste Woche habe ich sehr schlecht geschlafen, weil er andauernd zu hoch war.
Ich möchte selber bestimmen können
Ich hatte das erste Mal einen Traum, in dem sich der hohe Blutzucker eingeschlichen hat. Ich habe geträumt, dass ich eine Operation hatte und der hohe Blutzucker eine Folge davon sein kann. Ich bin aufgewacht, habe ihn kontrolliert, und er war auf 16,4, was sehr hoch für mich ist. Verrückt, wie mein Unterbewusstsein mich durch den Traum auf meinen Blutzucker gelenkt hat.
Ich glaube, Reisen mit meinem Diabetes heisst für mich auch, mit Diabetes selber bestimmen zu können, was ich will. Dass ich meinen Diabetes den Umständen anpassen kann und nicht umgekehrt. Wenn ich heute 100 Kilometer fahren möchte, dann schaue ich, dass ich genügend Sportwerte zu mir nehme, und dann kann ich die 100 Kilometer fahren. Punkt. Es heisst aber auch, achtsam mir gegenüber zu sein. Wenn mein Körper eine Pause braucht, dann braucht er eine Pause. Wenn ich ein Hypo habe, suche ich mir ein schönes Schattenplätzchen und warte halt. Ich will mich nicht schuldig fühlen, wenn mein Blutzucker zu hoch oder zu tief ist, denn das würde bedeuten, dass ich mich schuldig fühle, weil ich eben lebe, und da läuft nun mal nicht alles auf einer geraden Linie ab. An dem arbeite ich: Achtsamkeit und Wohlwollen mir gegenüber. Das ist gar nicht immer so einfach, aber eine gute Lektion für Diabetikerinnen und Diabetiker wie auch für Nicht-Diabetikerinnen und Nicht-Diabetiker.
Ahoi, eure Fanny
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