«Tschau Bäääse!!! Scho weder sone Hügel!» Eigentlich macht das Runterfahren mit dem Fahrrad ja ziemlich viel Spass. Aber hier in Nordspanien auf dem Camino del Norte nach Santiago de Compostela kann ich mir sicher sein: nach dem Runterfahren wartet schon der nächste Hügel auf mich.
Das Hochfahren finde ich interessant. Ich mag es, wie sich der Atem nach einer Weile anpasst. Das ist für mich wie eine Art Meditation und ich bin ganz da, präsent im Moment und es gibt nur meinen Atem im Hier und Jetzt. Doch beim dritten Hypo, also einer Unterzuckerung, habe ich die Schnauze voll. Ich beschimpfe meinen Sensor, den Camino del Norte, mein Langzeit-Insulin, mich, die diese dumme Idee hatte, diese Reise zu machen, um zu dokumentieren, wie es ist, als Diabetikerin zu reisen und diesen blöden Jakobsweg.
Unterwegs mit Pilgerinnen und Pilgern
Apropos Jakobsweg. Ich habe mich nie wirklich mit ihm auseinandergesetzt. Ich habe gewusst, es gibt Wege, die sind lang und die machen die Leute, wenn sie zum Beispiel etwas verarbeiten oder einfach laufen wollen. Aber! Das ist ja eine riesige Gemeinschaft und ich bin jetzt aus Versehen Teil davon geworden.
Das war so: Ich plane meine Routen via Komoot-App. Und auf der App habe ich gesehen, wie jemand, der aus Spanien ist, bereits eine Radreise durch Nordspanien geplant hat. Super, hab ich gedacht und diese Route übernommen. Sie hiess «Camino del norte».
Dann, an den ersten beiden Tagen, haben mir immer wieder Leute zugerufen: «Buen Camino!» «Muchas gracias!», hab ich geantwortet und mir nur gedacht, woher bei allen guten Sensoren wissen die meine Route? Ist diese Route hier irgendwie bekannt? Auch sind mir beim Vorbeiflitzen die Schilder mit den Sonnenstrahlen aufgefallen und ich dachte: Ah, da muss irgendetwas dahinterstecken.
Übernachten im Massenlager
Am Abend vom zweiten Tag habe ich eine Herberge gesucht, in der ich zwei Tage bleiben wollte, um diesen Blogeintrag hier zu schreiben. Als ich da ankam, waren schon etwa zehn Menschen mit Rucksäcken am Warten, weil die Herberge erst um 15 Uhr öffnete. Ich wartete, hatte ein gutes Gefühl in dieser zusammengewürfelten Truppe, liess mein Fahrrad abgeschlossen da und ging einen Kaffee trinken.
Als es dann Zeit war und wir eintreten konnten, hat die Besitzerin der Herberge mir gezeigt, wie das funktioniert. Ich besitze jetzt eine Stempelkarte für die Herbergen auf dem Jakobsweg. Man zahlt zwei Euro für die Herbergs-Kasse und einen Soli Beitrag. Die meisten geben 10 Euro fürs Übernachten. Dann bekommt man einen Plastiküberzug fürs Bett und schläft in einem Massenlager.
Vino und gute Gesellschaft
Das ist aber noch nicht alles. Mit einer Gruppe von Menschen, die ich kennengelernt hatte, gings dann ab in die Bar ein Bier trinken. Da hat mir eine Frau erzählt, dass es jetzt dann Abendessen gibt. Drei-Gänge Menü mit Vino (guter Vino!) für 13 Euro. Das gehöre auch zum Camino.
Ich fand das alles ziemlich abgefahren und toll. Ganz verschiedene Menschen waren an einem Tisch versammelt. Ein älterer Mann aus Holland, der auf dem Weg die Asche seiner verstorbenen Frau verteilt, ein Ex-Polizist aus Deutschland, der sehr systemkritisch geworden ist über die Jahre und noch auf die Antwort seines letzten Briefes an den Finanzminister wartet, eine Lehrerin, eine Elektrikerin und ein Pfleger aus Deutschland. Ein bunter Haufen, der hier in der Pampas in Nordspanien zusammen zu Abend isst und bei einem Glas Rotwein über das Leben philosophiert.
Insulin kühlen und Hypo-Food kaufen
Danach geht’s weiter und ich übernachte auf einem Camping, wo ich meine Satteltaschen ausräume und neu packe. Ich werde mir bald einen Ort suchen, an dem ich zwei Tage sein kann, um mein Insulin in einem Kühlschrank zu kühlen und die Kühltasche mal ganz zu trocknen. Denn wenn sie immer etwas nass in meiner Satteltasche ist, habe ich Angst, dass sie zu schimmeln beginnt. Wie ich das Insulin unterwegs kühle? In der Babywanne vom Camping lege ich meine beiden Kühltaschen im Wasser ein, während ich dusche. Sie sind wieder super kühl und bereit, um morgen weiterzufahren! Beim Wildcampen schaue ich, dass ein Fluss in der Nähe ist, damit ich mein Insulin so kühlen kann.
Snickers statt getrocknete Aprikosen
Weil ich gestern und vorgestern so viele Hypos hatte, habe ich mir vorgenommen, heute neuen Hypofood zu kaufen, bevor ich morgen losfahre. Zum Glück hatten auch am Sonntag ein paar Mini-Supermarkets in der Stadt offen. Getrocknete Aprikosen, Farmer und Bananen fand ich leider nicht. Aber mit Snickers, Vollkorn-Cracker und Gummisüssigkeiten komme ich bestimmt zum nächsten Ort. Meinen Notfall-Saft (1 Teelöffel enthält 25 Gramm Zucker) fasse ich erst an, wenn alles andere weg ist.
Fiese Nebenwirkung
Gestern, als all mein Hypofood aufgegessen war, musste ich zu meinem 100-prozentigen Zucker-Pulver greifen. Zwanzig Minuten später sass ich in einem Kaffee und hatte Durchfall. Ich glaub, es war die Kombination aus dem Zuckerpulver und dem Wasser, das ich dummerweise für einmal nicht durch meinen Filterbeutel gelassen habe. Durchfall auf einer langen Fahrradtour, das wünsche ich niemandem. Einen Tag und zwei Imodium später, geht’s mir aber schon wieder gut. Ich freu mich jetzt auf die letzten zehn Tage Camino!
Ahoi! Eure Fanny
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