Was jeder gegen Demenz tun kann

Demenz 356355911 1 Bild: AdobeStock, Urheber: unbekannt

Ab welchem Alter sollte man sich mit Alzheimer beschäftigen?

Mein jüngster Patient war 38 Jahre alt. Eine so frühe Erkrankung ist aber sehr selten. In der Regel gilt: Je älter eine Person ist, desto häufiger kommt Alzheimer vor. Wenn ab 50 Jahren die typischen Schwierigkeiten auftreten, sollte man ernsthaft an diese Krankheit denken.

Davor macht es keinen Sinn?

Nein, das ist unnötig. Es reicht, wenn man die ersten Symptome erkennt und dann handelt.

Dr. med. Irene Bopp-Kistler, Leitende Ärztin ambulante Dienste/­Memory Clinic, Stadtspital Zürich Waid.

Die Vergesslichkeit ist wohl das berühmteste Anzeichen. Auf was sollte man sonst achten?

Auf alle Symptome, die auf eine Hirnleistungsstörung hindeuten. Zum Beispiel Orien­tierungsstörungen oder Probleme mit der Sprache. Das Gedächtnis muss nicht zwingend schlechter werden.

Wie meinen Sie das?

Bei der frontalen Demenz verändert sich in erster Linie die Persönlichkeit. Ich betreue Patienten, die weiterhin im Kader arbeiten. Das Gedächtnis funktioniert zwar noch einwandfrei, aber die Entscheidungen sind oft irrational.

Diese Patienten halten sich für gesund?

Genau, das macht es so schwierig. Vor allem, weil die frontale Demenz meistens jüngere Personen, unter 60 Jahren, trifft. Oft eskaliert die Situation irgendwann. Wenn sich jemand plötzlich anders verhält, sollte man das nicht nur psychologisieren. Mit 50 Jahren wird man sehr selten noch schizophren oder entwickelt eine Border-Line-Störung. Was man auch nicht vergessen darf: Ein Burnout ist ein häufiges erstes Symptom einer Demenz.

Können Sie das ausführlicher erklären?

Alzheimer-Symptome wie Vergesslichkeit führen oft zu Stress am Arbeitsplatz. Man fühlt sich ständig ausgepowert, wird immer korrigiert, der Arbeitgeber ist nicht mehr happy –, das alles führt dann schlussendlich zu einem Burnout. Die meisten Burnout-Pa­tienten haben zwar keine Alzheimer-Demenz, aber man sollte immer im Hinterkopf haben, dass diese Möglichkeit besteht.

Dafür gibt es aber spezielle Abklärungen, oder?

Ja, die Neuropsychologie und eine breite medizinische Abklärung, inklusive Bildgebung und in gewissen Fällen auch eine Hirnflüssigkeitsuntersuchung, können recht gut aufzeigen, ob es sich um eine Aufmerksamkeitsstörung, eine Depression oder wirklich um eine Beeinträchtigung der Hirnleistung handelt.

Helfen Kreuzworträtsel bei der Prävention?

Nein, weil sich die Wörter oft wiederholen.

Was schlagen Sie vor?

Immer wieder etwas Neues zu lernen. Egal wie alt man ist. Wenn jemand den Mut hat, eine neue Sprache oder ein neues Instrument zu lernen, ist das sagenhaft. Vor allem die Musik stimuliert das Gedächtnis extrem.

Gilt das Gleiche für Gespräche?

Ja, für alles, das emotional ist. Wichtig ist, dass man nicht verstummt. Leider ziehen sich im Alter viele zurück. Ich sage immer: Unser Hirn braucht unbedingt das Emotionale und das Kommunikative.

Dann sind Alleinstehende besonders gefährdet?

Genau. Leute, die einen Partner haben, sind häufiger im Austausch. Gruppenangebote sind deswegen eine gute Möglichkeit für Alleinstehende. Eine der besten Präventionsmassnahmen sind übrigens Enkel: Es passiert immer etwas und die Zeit mit ihnen löst positive Emotionen aus. Beim Tanzen ist das ähnlich.

Ist die Pensionierung ein ­Demenzrisiko?

Meiner Meinung nach ist es nicht gut, mit einem Schlag von 100 auf 0 herunterzufahren. Man sollte sich gut überlegen, welche neue Beschäftigung einen erfüllen könnte. Immer nur Ferien machen, kann nicht der neue Lebensinhalt sein.

Welchen Einfluss hat die Ernährung?

Viele Studien zeigen, dass sich eine mediterrane Ernährung, ergänzt durch weitere Empfehlungen, bewährt. Zum Beispiel wenig rotes Fleisch, Olivenöl, viel Fisch, Gemüse und Hülsenfrüchte. Auch Beeren sind sehr gesund. Sie sind antioxidativ und sollen den Zellabbau verhindern.

Gibt es an dieser Krankheit auch etwas Gutes?

Das Leben mit Demenz ist häufig sehr entschleunigend. Man lernt, gelassen zu bleiben, obwohl man gerade sehr viel verliert. In einem sind demente Personen allen anderen voraus: im Loslassen. Und das bewundere ich.

Ratgeber Demenz

Was hilft wirklich? In diesem ­Rat­geber von Dr. med. Irene Bopp-­Kistler erklären Experten die ­Fakten, und Betroffene erzählen aus ihrem Alltag mit Demenz.

Demenz Buch
demenz.
ISBN 978-3-907625-90-3
Ab Juni erhältlich.

Energiequelle fürs Gehirn

Für Menschen mit leichten kognitiven Störungen gibt es Hoffnung. Prof. Dr. Reto W. Kressig über seine Erfahrungen mit der Ketonkörper-Therapie.

In der Schweiz leiden schätzungsweise etwa 40 000 bis 60 000 Menschen an leichten kognitiven Störungen oder medizinisch ausgedrückt an Mild Cognitive Impairment MCI. MCI kann das Vorstadium einer Demenz sein. Dabei ist die Hirnleistung verglichen mit der Norm klar schlechter, aber – im Gegensatz zu einer Demenz – noch ohne wesentliche Einschränkungen im Alltag.

Die Ursachen und Mechanismen, die zu einer leichten Hirnleistungsstörung führen, sind vielfältig und, wie auch die Demenz­erkrankung, immer noch nicht vollends verstanden. Neben Veränderungen in der Nervimpulsübermittlung gibt es auch eine Verschlechterung in der Energieversorgung des Gehirns mit Glukose. Ketonkörper können neben Glukose als einzige andere Energiequellen das Hirn mit Energie versorgen. Ob sie deswegen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Atherosklerose oder Morbus Alzheimer verhindern können, ist wissenschaftlich nicht bewiesen.

Verbesserung der Gedächtnisleistung durch Ketone

Ketonkörper haben aber eine generell ­anti-entzündliche Wirkung auf den Körper. Da in den genannten Erkrankungen entzündliche Prozesse eine wesentliche Rolle spielen, ist es wahrscheinlich, dass Ketonkörper hier eine verlangsamende, möglicherweise aufschiebende Wirkung haben. Im Hirn stellen sie eine zusätzliche Energiequelle zu Glukose dar.

Einige wenige Studien belegen eine Verbesserung der Gedächtnisleistung durch Ketone. Dabei sah man bei Patienten mit MCI nach sechsmonatiger Einnahme eines ketogenen Drinks signifikante Verbesserungen in den Hirnleistungsbereichen Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Denkgeschwindigkeit und Sprache.

Da diese ketogenen Drinks in der Schweiz erst seit Kurzem auf dem Markt sind, sind meine Erfahrungen bei Patienten noch sehr begrenzt. Es braucht etwas Zeit, bis sich Hirn und Körper auf eine Energieversorgung mittels Ketonkörper umstellen. Deshalb ist es wichtig, eine Ketonkörper-Therapie mit tiefer Dosierung zu beginnen und die tägliche Trinklösungsmenge über mehrere Wochen langsam und kontinuierlich zur vollen, wirksamen Dosierung zu erhöhen.

Kressig Bild Experte Prof. Reto W. Kressig
Prof. Reto W. Kressig