Wenn der Darm verreist

Reisedurchfall

Rund ein bis zwei Kilo Bakterien bevölkern den Darm. 400 bis 500 verschiedene Arten bei jedem Menschen. Gesunde Bakterien, die unter anderem dafür sorgen, dass die verschiedenen Nährstoffe aufgenommen werden. Bakterien, die in ihrer Vielfalt das Immunsystem unterstützen und krankmachende Eindringlinge verdrängen.

Wodurch wird diese einzig­artige Bakterienkultur beeinflusst?

Prof. Dr. Stephan Vavricka, Leiter der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie am Stadtspital Triemli in Zürich: Erst einmal durch die Gene jedes Einzelnen. Dann durch sein Alter, das Geschlecht, die Umwelt, durch Stress und die Ernährung, aber auch durch Medikamente und besonders durch Antibiotika.

Was bringt den Darm auf Reisen aus dem ­Gleichgewicht?

Viele Menschen sind vor einer Reise angespannt und nervös. Der psychische Stress kann den Darm schon in diesem Moment aus dem Rhythmus bringen. Doch es gibt auch Faktoren, die den Darm rein physisch belasten. Bei einer Flugreise zum Beispiel. Wegen der raschen Veränderungen des Luftdrucks in der Kabine zwischen Start und Landung dehnen sich die Darmgase aus und ziehen sich wieder zusammen. Viele Leute neigen beim Fliegen deshalb zu Flatulenzen. Besonders unangenehm sind die Druckunterschiede für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten. Bei ihnen können sich die Entzündungsmerkmale verstärken.

Und wie kommt es zu Reisedurchfall?

Durchfallbakterien gelangen am Ferienort mit dem Essen oder Trinken in den Körper. Wer sich in Risiko-Ländern aufhält, sollte vorsichtig sein. Ägypten und Mexiko sind typische Destinationen. Hier gilt die Regel: cook it, peel it, boil it or forget it. Und wenn man trotzdem akuten Durchfall bekommt, helfen  Coca Cola und Hühnerbouillon. Alkohol sollte man meiden.

Was passiert im Darm bei Durchfall?

Durchfall ist meist die Folge einer Entzündung, bei der die innere Schutzschicht der Darmwand löchrig wird. Durchfallbakterien dringen ein und verstärken die Entzündung. Die Schutzschicht geht immer mehr kaputt, die Entzündung wird grösser und grösser. Ein Teufelskreis beginnt. Geht der Durchfall mit Fieber oder Blut im Stuhl einher, braucht es rasch Antibiotika. Was viele Leute nicht wissen: Sinnvoll ist auch die Gabe von Probiotika, selbst als Unterstützung bei einer Antibiotika-Therapie. In jedem Fall aber zur Vorsorge von verschiedensten Darmproblemen.

Welche Aufgaben erledigen Probiotika denn im Darm?

Sie beeinflussen die Zusammensetzung der Darmflora positiv und erhöhen die Schutzfunktion der Darmschleimhaut. Sie stärken aber auch die Immunabwehr, indem sie das Immunsystem durch Botenstoffe – sogenannte Cytokine – stimulieren. Daneben können sie die Darmwandbarriere wiederherstellen und allein durch ihre Anwesenheit dafür sorgen, dass sich keine krankmachenden Keime ansiedeln.

Es gibt viele Probiotika-Stämme. Weiss man, ­welche wozu gut sind?

In Studien wurden schon etliche Stämme untersucht. Hefekulturen wie der Stamm S. boulardii helfen demnach besonders gut in akuten Fällen von Reisedurchfall – auch bereits zur Reisevorbereitung – sowie begleitend zu Antibiotika-Behandlungen. Lactobacillus rhamnosus GG wirkt ebenso bei Reisedurchfall und wird zur Verhinderung von Durchfall bei einer Antibiotika-Therapie eingesetzt. Auf Lafti B94 haben bei akuten Magen-Darm-Infektionen vor allem Kinder gut angesprochen. Andere Probiotika-Stämme erhöhen die Diversität der Darmflora und tragen so zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Ich selber bin davon überzeugt, dass die Versorgung mit Probiotika dem Körper guttut. Wichtig ist, dass sie den aggressiven Magensaft bei der Magenpassage überleben und somit am Ort der Wirkung – im Darm – heil ankommen. Sie sollten daher von guter Qualität sein.

Prof. Dr. Stephan Vavricka, Leiter der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie am Stadtspital Triemli in Zürich

 Profitieren auch Menschen ohne Darmprobleme von Probiotika?

Auf jeden Fall. Es gibt sogar erste Studien, die zeigen, dass gewisse Probiotika-Stämme die Hirnaktivität verändern und damit einen Einfluss auf die Psyche haben. Fermentierte Milchprodukte und Probiotika reduzierten in diesen Versuchen die Verarbeitung von Emotionen. Bedrohungen wurden weniger intensiv wahrgenommen. Gefängnisinsassen waren weniger aggressiv, wenn man ihnen spezifische Probiotika-Stämme verabreicht hatte. Und offenbar haben Probiotika auch einen positiven Einfluss auf Menschen mit chronischem Erschöpfungssyndrom. Das sind sehr spannende Ergebnisse und es wird weiterhin sehr intensiv geforscht.

Warum leiden vor allem Frauen in den Ferien an Verstopfung?

Dazu gibt es keine Daten. Ich denke, es hat mit den veränderten Lebensumständen am Ferienort zu tun. Man setzt sich nicht gerne auf fremde Toiletten und verklemmt sich den WC-Gang bis zum Gehtnichtmehr. Zusammen mit dem fremdländischen Essen kommt es dann zur Verstopfung. Vielleicht können Probiotika auch hier eine lösende Wirkung auf die Psyche haben.

Wann muss man mit einer Präventionstherapie vor einer Ferienreise beginnen?

Ich würde eine Woche vor Abreise damit beginnen. So hat der Darm Zeit, sein Mikrobiom umzubauen. Wichtig ist, dass man die Probiotika während der Reise weiter nimmt.