Die Tragweite des Problems und die Zahlen sind bekannt: In der Schweiz gibt es rund 300’000 alkoholabhängige Personen. Fünf bis zehn Prozent aller Mitarbeiter in einem Betrieb haben ein Alkoholproblem. 3’500 Menschen sterben jährlich an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Dazu kommen über 100 Tote bei Verkehrsunfällen, die von Alkoholisierten verursacht werden. Zusammen mit Angehörigen im nächsten sozialen Umfeld sind eine Million Menschen unmittelbar von einem Alkoholproblem betroffen.
Genusstrinker oder schon abhängig?
Alkohol wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem und kann hochgradig abhängig machen. Die Grenze zwischen Genuss und Sucht ist schmal und ist rasch überschritten. «Der echte Genusstrinker, der nicht wegen der stimmungs- und verhaltensverändernden Wirkung des Alkohol trinkt, ist seltener als angenommen», sagt Sozialpädagoge und Suchttherapeut Heiner Frank aus Worb, Mitglied des Schweizerischen Fachverbandes Sucht FVS. «Viele bezeichnen sich als Genusstrinker und stehen vor der Abhängigkeit. Typisch beim Übergang zur Abhängigkeit sind Bagatellisieren und Verheimlichen. Oder wenn man sich zu rechtfertigen beginnt.»
Der Alkohol als legale, gesellschaftlich akzeptierte, billige und überall erhältliche Droge bietet sich gerade an, um Ärger herunterzuspülen, Stress abzubauen, Langeweile zu überbrücken, überhaupt das Leben erträglicher zu machen. Das Gehirn speichert die wohltuende Wirkung und erinnert sich in vergleichbaren Situationen daran, sodass man mehr und mehr verlernt, Schwierigkeiten nüchtern zu bewältigen. Besonders anfällig ist man bei Einschnitten in der Lebensgeschichte, beim Einstieg in den Beruf, der Midlife-Crisis, bei der Pensionierung, aber auch bei Brüchen wie Arbeitslosigkeit, Scheidung, dem Auszug der Kinder oder beim Tod von Angehörigen.
Betroffene verdrängen das Problem
Auch wenn der Krankheitsverlauf von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist, gibt es Gemeinsamkeiten. Die Erkrankung entwickelt sich schleichend. Die Betroffenen verdrängen ihr Problem viel zu lange, das Umfeld verschliesst die Augen. Bis eine Fachperson beigezogen wird, dauert es meist 10 bis 15 Jahre. Der Hausarzt wäre eine gute erste Anlaufstelle, doch hat er oft zu wenig Zeit oder zu wenig Erfahrung mit Suchtproblemen. Und der Gang zu einer Suchtberatungsstelle, die mit Psychiatern und Suchtkliniken zusammenarbeitet, fällt oft auch nicht leicht.
Genau hier will Frank mit seinem kostenlosen Selbstanwendungsprogramm zum definierten Trinken ansetzen, im Interesse einer frühen Intervention, wenn man die Ehefrau, den Führerschein und die Arbeit noch nicht verloren hat. «Das Programm ist für Menschen, die realisieren, dass es langsam zu viel ist, und dass sie eigentlich Hilfe brauchen. Das Selbsthilfeprogramm ist ein optimaler Einstieg in die persönliche Auseinandersetzung mit dem Konsum, weil es vom Prinzip der Eigenverantwortung ausgeht.»
Zuerst überlegen, dann trinken
Das Selbstanwendungsprogramm «Definiertes Trinken DT®» nimmt die Unterscheidung von Genussmittel und Suchtmittel auf, indem eine klare Trennung zwischen «wichtigem» und «weniger wichtigem» Alkohol gemacht wird. Frank: «Unter ‹wichtigem› Alkohol versteht das Programm jene alkoholischen Getränke, die für die Konsumierenden in einer speziellen Situation wichtig und die auch aus gesundheitlicher und sozialer Sicht unbedenklich sind. Also zum Beispiel: Das Glas Wein zum Anstossen und ein oder zwei Gläser dann noch zum Essen, aber nicht täglich. Im Unterschied dazu werden jene alkoholischen Getränke, die aus gesellschaftlicher und gesundheitlicher Sicht ausserhalb des Geniessens einzustufen sind und bereits im Bereich des suchtbildenden Missbrauchkonsums liegen, als ‹weniger wichtig› verstanden. Also der alkoholhaltige Apéro, das vierte Glas Wein und allenfalls weitere Gläser zum Essen sowie der Schnaps zum abschliessenden Kaffee – oder aber auch täglicher Alkoholkonsum.» Das professionell aufgebaute Programm gibt selber keine fixen Trinkziele und keinen Zeitplan vor. Definiertes Trinken heisst, nur noch so trinken, wie man es sich vorgenommen hat. Man überlegt sich vorher, was und wie viel man wann trinkt. «Mehr als zwei Drittel erreichen die nötige Verbesserung bei ihrem Suchtproblem selber oder mit nur wenig Hilfe», sagt Frank. «Es ist sehr sinnvoll, möglichst frühzeitig einen Alkoholtest wie hier abgebildet zu machen und bei Bedarf ein Selbsthilfeprogramm zu nutzen, anstatt zuzuwarten und später in eine viel aufwendigere Behandlung gehen zu müssen.»
Brechen Sie das Schweigen!
Sprechen Sie das Thema Alkohol direkt und offen an, wie jedes andere gesundheitliche Problem auch. Machen Sie keinen Bogen um dieses Thema. Sie tun damit niemanden einen Gefallen. Es gibt heute neue Behandlungsmöglichkeiten, mit denen es gelingt, die gesamte Trinkmenge und die Anzahl Tage mit hohem Alkoholkonsum zu reduzieren. Reden Sie darüber mit Ihrem Arzt!