Wieviel Lügen braucht die Liebe?

Oder anders gefragt, wieviel Ehrlichkeit hält die Liebe aus? Henri Guttmann, Paartherapeut in Winterthur, über White Lies, Lügen als Trennungsgrund und Hinweise, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht.

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Bild: AdobeStock, Urheber: pathdoc

Die Unwahrheit hat einen schlechten Ruf. Zu Unrecht? Erst durch Schwindeleien wird das Zusammenleben erträglich. Viele der Alltagslügen dienen dazu, sich in einem besseren Licht zu zeigen oder dem Gegenüber ein besseres Gefühl zu geben. Man stimmt jemandem zu, obwohl man seine Meinung nicht teilt. Oder man erfindet eine Verabredung, um sich vor einer Einladung zu drücken. Wer die Wahrheit vertuscht, macht sich und andere glücklicher, besonders in der Liebe.

Jessika fragt nach neun Jahren Beziehung ihren Freund Ben beim Nachtessen: „Möchtest Du mich heiraten und mit mir eine Familie gründen?“ Ben: „Wenn Du mich so direkt fragst, wird mir bewusst, dass ich eigentlich seit Jahren darauf warte, eine Bessere zu finden.“ Jessika total enttäuscht: „Ich wünschte, ich hätte nie erfahren, dass Du so denkst.“ Ben sagt darauf: „Ich wollte eigentlich nur ehrlich zu Dir sein.“ Jessika wäre lieber belogen worden.

White Lies

Oft lügen wir, weil wir nicht wollen, dass unser Partner oder Partnerin sich unnötig Sorgen macht. Also erfinden wir eine Ausrede für unser Verhalten und rechtfertigen uns damit, dass er oder sie es sowieso nicht verstehen würde. Engländer nennen diese Form von harmlosen Lügen „White Lies“. Diese nicht ganz wahren Aussagen sind das Schmiermittel des sozialen Zusammenlebens. Wären wir immer ehrlich oder sogenannt authentisch, wäre alles viel anstrengender und der Alltag ein Minenfeld von Kränkungen und Beleidigungen.

Lügen gehören zur Beziehungspflege

Paartherapeuten sind sich einig: Lügen gehören zur Beziehungspflege. Das achte Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist der Niedergang jeder Liebesbeziehung. Insbesondere vermeintlich ehrliche und letztlich kränkende Diskussionen gilt es zu vermeiden. Es ist oft klüger, nicht alles zu sagen.

Was totale Ehrlichkeit anrichtet, sieht man besonders gut im Film „Das perfekte Geheimnis“. Hier machen befreundete Paare ein gefährliches Experiment. Sie lassen an einem Abend ihr Handy auf dem Tisch liegen. Jedes ankommende Gespräch muss für alle hörbar geführt und alle eintreffenden Nachrichten müssen offen vorgelesen werden. Unvermittelt wird allen klar, da wurde gelogen, dass sich die Balken biegen. Untreue und sexuelle Neuorientierung werden plötzlich schonungslos aufgedeckt. Der Abend endet als totales Fiasko. Als Paartherapeut kann ich von einem solchen Psychospiel nur abraten. Die bekannte Schweizer Sozialtherapeutin Ruth Cohn sagte: „Alles was Du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles, was wahr ist, muss gesagt werden.“

Bei wichtigen Dingen die Wahrheit sagen

Anders verhält es sich mit wirklich wichtigen Angelegenheiten. Hier – so der allgemeine Konsens – ist es lebensklug, die Wahrheit zu sagen. Der Deutsche Sexual- und Familientherapeut Ulrich Clement schreibt in seinem Buch „Wenn Liebe fremdgeht“, das Lügen und Abstreiten einer Affäre, die als Tatsache bereits bekannt ist, sei eine zusätzliche Beleidigung für die Partnerin oder den Partner. Er oder sie fühle sich dadurch für dumm verkauft, was eine künftige Vertrauensbildung noch schwieriger mache. Besser sei es, die Affäre zu beichten, ohne auf Einzelheiten einzugehen.

Kein Kreuzverhör machen

Wenn Lügen ans Licht kommen, hinterlassen sie immer ungute Gefühle. Sie verursachen in einer Beziehung eine grössere Schieflage als wenn man mit der Wahrheit herausrückt. Machen Sie aber bitte kein Kreuzverhör. Denken Sie zuerst darüber nach, weshalb Sie das Gefühl haben, dass Ihr Partner nicht die Wahrheit sagt und warum er das wohl tut. Vielleicht weiss er oder sie noch nicht ganz klar, wie er oder sie zu einer Sache steht und braucht einfach etwas Zeit. Würden Sie ihn dann immer noch als Lügner bezeichnen? Vielleicht. Es könnte aber auch ein Hinweis sein, dass es ihm schwer fällt, sich angemessen auszudrücken.

Wie merke ich, dass er oder sie lügt?

Zwar gibt es keine untrüglichen Anzeichen, ob Sie belogen werden. Es gibt allerdings einige Körpersignale, die darauf hinweisen und Ihren Verdacht bestätigen können. Treffen mehrere dieser Hinweise auf Ihren Gesprächspartner zu, ist es wahrscheinlich, dass er nicht die Wahrheit sagt:

  • Die Hände berühren sich.
  • Die Hände berühren das Gesicht.
  • Die Arme sind verschränkt.
  • Er oder sie lehnt sich beim Sprechen zurück.

Sind Sie sicher, dass Ihr Partner Sie belügt, ist es klug festzustellen, ob es sich um einen einmaligen Ausrutscher handelt oder ob Sie es mit einem notorischen Schwindler zu tun haben. Animieren Sie ihn zur Ehrlichkeit, indem Sie andeuten, dass Sie nicht gleich bei jeder Auseinandersetzung ausrasten. Verzeihen Sie aber nicht zu rasch, sonst liefern Sie ihm keine Anreize, sein Verhalten zu ändern.

Die Erfahrung zeigt: Das eigene Bauchgefühl reicht völlig aus, um Lügen in der Partnerschaft zu erkennen. Sie brauchen sich keinen Lügendetektor anzuschaffen, vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Unsere Sinne nehmen weit mehr wahr als wir bewusst verarbeiten. Wenn Sie ein ungutes Gefühl haben, ist mit Sicherheit irgendetwas nicht im Lot.

Sind grosse Lügen ein Trennungsgrund?

Natürlich muss das jedes Paar für sich entscheiden. Denn eine Liebesbeziehung ohne gegenseitiges Vertrauen ist nicht lebensfähig. Wenn Sie vermuten, angelogen zu werden, fragen Sie sich zuerst, warum Ihr Partner Ihnen nicht die Wahrheit sagt. Verheimlicht er Ihnen Kleinigkeiten oder geht es um wichtige Dinge, die Sie unbedingt wissen sollten? Will er mit den Lügen nur Ihre Gefühle schonen oder vor allem sich selber das Leben einfacher machen?

Ehrlich und offen sein

Wenn die Unwahrheit Ihr Leben und Ihre Partnerschaft direkt betrifft, sollte das thematisiert werden. Sprechen Sie Ihren Verdacht direkt und ohne Umschweife aus, vermitteln Sie Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner das Gefühl, dass er jederzeit mit Ihnen darüber sprechen kann, auch wenn er gelogen hat. Denn in der Liebe geht es genau darum: ehrlich und offen miteinander zu sein und das Vertrauen, das Sie sich in der Vergangenheit aufgebaut haben, zu erhalten.

Henri Guttmann, Paartherapeut

www.henri-guttmann.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 21.03.2024.

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