Wir können etwas tun – auch bei Demenz

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Besser kommunizieren Teil 11. Prof. Jürgen Steiner von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich nennt Regeln für Gespräche, die von Demenz überschattet sind.

 

 

 

  • Demenz – der falsche Begriff. Das Wort „Demenz“ ist allgemein gebräuchlich. Es ist aber abwertend und unpassend, da der Begriff „Ohne-Geist-Sein“ bedeutet. Demenzbetroffene Menschen sind aber nicht ohne Geist und auch nicht ohne Sprache. Und schon gar nicht haben Menschen mit Demenz den Status „Ohne-Würde-Sein“. Die Autonomie, besser vielleicht die Souveränität, bleibt immer erhalten. Und unsere Gefühlsfähigkeit bis zuletzt.
  • Vielfalt des Erscheinungsbildes: Eine Demenz zeigt sich sehr unterschiedlich. Die Situation für Denken, Sprache, Orientierung kann sich völlig anders gestalten je nach Art der Demenz, Krankheitsstadium, Alter des Betroffenen, Lebenskontext, Wohnsituation und Lernbiographie. Eine frontotemporale Demenz im mittleren Stadium bei einer 85-jährigen, wenig an Bildung interessierten Patientin im Wohnheim ist etwas völlig anderes als eine Alzheimersche Erkrankung im frühen Stadium bei einem 65-jährigen Patienten, der zu Hause mit seiner Partnerin lebt und sich immer schon dem lebenslangen Lernen verpflichtet fühlt.
  • Medikamente als einzige Lösung? Medikamente sind wichtig. Sie können Aufmerksamkeit und Verhalten positiv beeinflussen. Die Betroffenen und Angehörigen, alle Beteiligten, sollten informiert sein und ab und zu eine Bilanz ziehen. Und zusätzlich zu Medikamenten braucht es, vor allem in der frühen Phase, ein Angebot der Aktivierung. Logopädie ist das Angebot der Aktivierung über Sprache.
  • Therapie hat Voraussetzungen: Die Grundvoraussetzung zur Therapie ist ausreichend belastbar, so um die 20 Minuten, ausreichend orientiert und zum Vertrauensvorschuss bereit zu sein sowie der eigene Wunsch des Patienten. Das ist in den früheren Phasen der dementiellen Erkrankung meist gegeben.
  • Bedeutung der Sprachfähigkeit: Sprache verwenden können bedeutet in Kontakt bleiben mit sich, dem Gegenüber und der Welt. Deshalb ist die Stützung zur Aufrechterhaltung der Sprachfähigkeit sehr wichtig. Sprache ist Verstehen und Sprechen, Lesen und Schreiben. Ein gelingendes Gespräch ist wie ein Kunstwerk. Und Lesen und Schreiben sichert den Zugang zu Kultur und zum individuellen Gedächtnis.
  • Gespräch und Zweisamkeit. Eine Partnerschaft lebt vom Dialog. Zwischen dem gelingenden Gespräch und dem Wohlfühlen mit sich selbst und in einer Beziehung gibt es Parallelen. Zwiegespräch und Zweisamkeit. Das ist das Gegenteil von Einsamkeit.
  • Gespräche steuern. Gespräche kann man bewusst lenken. Wenn Sie sprechen, ist zum Beispiel eine besonnene Wortwahl wichtig. Wenn es im Verlaufe des Dialoges mal ein Missverständnis gibt, dann machen Sie einfach weiter. Oder Sie sagen noch einmal, wie Sie das Gesagte wirklich gemeint haben. Oder wie Sie das Gehörte wirklich verstanden haben. Ein gutes Gespräch bleibt beim Thema und wechselt nicht abrupt. Fragen Sie nach. Wiederholungen tun jedem Gespräch gut. Und ungeteilte Aufmerksamkeit auch. All das sind Beispiele, wie Sie Gespräche steuern können.
  • Aktionen, die helfen: Zum Gespräch gehören immer zwei Menschen Im Falle der Demenz übernimmt aber der gesunde Gesprächspartner mehr Verantwortung und muss sich gleichzeitig zurückhalten. Hilfreiche Muster sind:

Die Initiative zum Sprechen – auch Grussformel und andere Floskeln – belohnen wir mit Aufmerksamkeit.

Fragen bekommen eine Antwort.

Wir bleiben beim Thema.

Wenn wir etwas Bestätigen, Aufgreifen, Wiederholen, Bezug nehmen auf Gesagtes, intensivieren wir             das Gespräch.

Wir sprechen nicht langsamer, aber einfacher und kürzer und geben mehr Raum für Kommentare des Gegenübers.

  • Auch ohne Worte. Zuhören ist das Wichtigste, wenn man sich verstehen will. Das signalisieren Sie mit Worten aber auch mit Gesten, mit Gesichtsausdruck (nonverbal), Tonfall und Tempo (paraverbal). Im Falle einer Demenz bleiben Sie als Gesprächspartner höflich, entspannt und reduzieren Ihre Erwartungen. Geben Sie positive Signale über den verbalen, nonverbalen und paraverbalen Kanal. Dann bleiben Sie im Gespräch.
  • Klima und Rhythmus vor Information. Es ist nicht so wichtig, ob Aussagen richtig oder wahr sind. Gespräche dienen nicht nur der Informationsvermittlung. Wir sind zusammen und verstehen uns. Dieses Gefühl entsteht über Rhythmus und Klima im Gespräch: Wir nehmen uns wahr, geben uns Raum, reagieren aufeinander und greifen Gefühle und Wünsche auf.
  • Sich als kompetent erleben: Das möglichst lange Aufrechterhalten des Erlebens der eigenen Person als kompetent („Ich kann etwas“), als interessant („Ich weiss etwas“) und als orientiert („Ich kann etwas/mich kontrollieren“) ist sehr wichtig – Gespräche und Lesen / Schreiben spielen dabei eine wichtige Rolle.
  • Ressourcen: Sowohl die Schriftsprachkompetenz als auch der Wunsch nach Kommunikation und Kooperation gehören zu den erwartbaren Ressourcen bei Menschen mit einer Alzheimerschen Erkrankung. Dies gilt umso mehr, wenn die erkrankten Menschen immer gerne gelesen und geschrieben haben.
  • Kein Pattern-Drill: Menschen mit Demenz sollten sicher nicht stur üben. Das Ausfüllen von Arbeitsblättern mit Sätzen, in den die fehlenden Präpositionen gesucht werden, ist nicht sinnvoll. Einer Therapie, die aktiviert, geht es darum, Sinn zu stiften, Orientierung zu ermöglichen und Selbstwirksamkeit im konkreten Tun zu erleben. Deshalb wird sie die Anknüpfung an die Biografie in der Vergangenheit und in der Aktualität suchen.
  • Meine Rechte: Ob alt oder dement – wer krank ist, hat ein Recht auf Therapie. Sie kann sinnvoll sein, wenn sie der Betroffene selbst wünscht. Vielleicht geht es auch zunächst einmal um einen Therapieversuch, der befristet sein kann. Der Slogan „es wird ohnehin immer schlechter“ ist völlig unsinnig und ethisch nicht in Ordnung, weil er abwertet, ja verurteilt. Es kommt eben darauf an. Fragen Sie Ihren Arzt nach Möglichkeiten.
  • Was uns bleibt. Unsere Emotionen bleiben uns auch in einer späten Phase der Demenz. Sie sind eine uneinnehmbare Burg. Das ist tröstlich. Tipps für emotionale Gespräche sind:

Wir sorgen selbst für Freude und, wo möglich, für Humor. Wenn wir Freude bei unserem Gegenüber sehen, teilen wir diese.

Werden wir mit Ärger konfrontiert, nehmen wir das nicht persönlich und lenken ab. Wir beruhigen unser Gegenüber über Stimme, Gestik und Berührung.

Wer Angst hat, wird über Worte, Gestik und über Nähe beschützt.

Wer traurig ist, wird getröstet.

 

Alle anderen Lektionen von „Besser kommunizieren“ finden Sie hier

 

Prof. Dr. habil. Jürgen Steiner HfH MitarbeiterInnen 2013

www.hfh.ch

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 17.04.2015.

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